Riedls Dax-Radar
Stärketest für den Dax: Die nächsten Wochen entscheiden. Quelle: Collage: Marcel Reyle

Nächster Stärketest für deutsche Aktien

Hartnäckige Inflation und geopolitische Risiken dürften die nächsten Wochen überschatten. Für Dax-Aktien wäre es wichtig, dass sie dabei nicht wieder zu viel Boden verlieren. Dann bewahren sie sich die Chance auf einen versöhnlichen Jahresausklang.

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Als zu Beginn des Jahres durch die nachträglich veröffentlichten Protokolle der Fed offensichtlich wurde, dass die amerikanische Notenbank einen restriktiven Kurs einschlagen würde, kippten die Aktienmärkte ab. Aus den neuesten Veröffentlichungen der US-Notenbank jedoch werden die Märkte nicht so richtig schlau: Einerseits ist in den jüngsten Fed-Protokollen zu spüren, dass es in Notenbankkreisen durchaus Bedenken gibt, angesichts abflauender Wirtschaft die Zinsen weiter in großen Schritten heraufzusetzen. Auf der anderen Seite aber verharrt die Inflation in Amerika insgesamt auf so hohem Niveau, dass weitere, deutliche Zinsschritte notwendig erscheinen. Und bei der Rückführung der Liquidität durch den Abbau ihrer Bilanz, den die Fed erst zögerlich begonnen hat, könnte die Notenbank von September an den Geldhahn dann doch deutlicher zudrehen.

An den Aktienmärkten hat die Hoffnung auf eine sanftere Zinspolitik der Fed zu einer massiven Erholung geführt, vor allem in Amerika. Die klassischen Aktienbarometer Dow Jones und S&P 500 sind dabei sogar wieder bis an die Durchschnittslinie der vergangenen 200 Tage gekommen. Die Erholung seit dem Tiefpunkt Mitte Juni fiel bei US-Standardaktien ähnlich dynamisch aus wie der vorangegangene Abschwung im April und Mai. Aus dieser erstaunlichen Stärke der US-Börsen kann sich für den späteren Verlauf des Jahres durchaus ein tragfähiger Kursboden entwickeln.

Der Dax allerdings ist von einer solchen Stärke noch weit entfernt. Für eine Rückkehr bis zur 200-Tage-Linie, dem Barometer der mittel- bis langfristigen Markttendenz, hätte er bis auf 14.500 Punkte steigen müssen – stattdessen aber ist er knapp unter 14.000 hängengeblieben. Während in Amerika durch die starke Erholung von Dow Jones und S&P 500 zu Recht die Frage gestellt wird, ob es sich nun überhaupt noch um eine Bärenmarktrally handelt, eine zwischenzeitliche Erholung im größeren Abwärtstrend, oder schon um einen neuen Bullenmarkt, ist das Thema an der deutschen Börse noch eindeutig: Die überwiegende Abwärtsdynamik, der seit Januar bestehende Abwärtstrend und Notierungen weit unter der sinkenden 200-Tage-Linie sind klare Zeichen dafür, dass im Dax die große Richtung noch immer nach unten zeigt. Die Erholung seit Juli ist damit bis auf Weiteres eine Bärenmarktrally – und der könnte nach dem bisher klassischen Ausmaß von sechs Wochen seit dem Tief vom 5. Juli nun sogar ein neuer Abschwung folgen. 

Die Risiken dafür sind latent: Von echter Inflationsentspannung ist weder in Deutschland noch in Europa etwas zu spüren. So sind die Erzeugerpreise im Juli in Deutschland gerade wieder stärker gestiegen als erwartet. Wahrscheinlich wird die Notenbank EZB im September ein weiteres Mal die Zinsen erhöhen. An den Bondmärkten ist die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen mittlerweile mit 1,17 Prozent wieder auf den höchsten Stand seit Juli geklettert; zugleich ist der Euro fast bis zur Parität zum Dollar abgerutscht. Bei der zentralen Frage der Energieversorgung und der Energiepreise stehen womöglich ein rauer Herbst und Winter bevor. Und nachdem die deutsche Wirtschaft schon durch den Krieg in der Ukraine wesentlich stärker belastet wird als die US-Wirtschaft, droht bei einem Konflikt mit China ein neues, womöglich noch viel größeres Risiko. 

Ein Rückzug aus China hätte böse Folgen für den Dax

Sollten sich deutsche Unternehmen – aus welchen Gründen auch immer – aus China zurückziehen müssen, hätte das verheerende Folgen für den Dax. Volkswagen und Daimler verkaufen dort substanzielle Anteile ihrer Produktion, haben intensive Verbindungen zu lokalen Partnern oder, wie gerade BMW, investieren in milliardenschwere Werke. Empfindlich getroffen wären auch Chemiker wie BASF und Covestro mit umfangreichen Zulieferungen, Absatz und Produktion vor Ort, genauso wie Sportartikler Adidas oder Chiphersteller Infineon. Insgesamt machen die Dax-Unternehmen etwa ein Fünftel ihres Umsatzes in China. Dass die chinesische Wirtschaft derzeit an Fahrt verliert, ist eine zusätzliche Gefahr. Das erhöht den Druck auf die Führung in Beijing und macht geopolitische Ablenkungsmanöver wahrscheinlicher.

Nach heftigen Kursverlusten steht Henkel vor der strategischen Bewährungsprobe. Anlegern bietet sich womöglich eine lukrative Einstiegsgelegenheit. 
von Anton Riedl

Wie wackelig die jüngste Erholung im Dax ist im Vergleich zur Entwicklung in den USA zeigt eine Gegenüberstellung zentraler Einzelwerte: Während die führenden Technologieaktien SAP, Siemens und Infineon hierzulande weiter im Abwärtstrend stecken, hat Apple fast schon wieder sein Allzeithoch erreicht. Microsoft fehlen dazu nur noch wenige Prozente. Konsumchemiker Procter & Gamble notiert derzeit fast doppelt so hoch wie vor fünf Jahren, Henkel hat in dieser Zeit die Hälfte seines Werts verloren. Goldman Sachs und JP Morgan starten gerade eine dynamische Aufholjagd; die Deutsche Bank dagegen, an der Börse nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe, kämpft um eine mühsame Bodenbildung. Und die Autowerte hierzulande, noch vor wenigen Jahren die Spitze der globalen Fahrzeugindustrie, kommen in ihrer Börsenbewertung nicht einmal mehr auf ein Zehntel dessen, was die neue Benchmark der Branche auf die Straße bringt, der amerikanische Überflieger Tesla. Dass Gesundheitskonzern Fresenius mit seinem Ableger Fresenius Medical Care derzeit ausgerechnet durch sein umfangreiches US-Kerngeschäft in eine schwere Krise geraten ist, passt zum Bild des deutschen Abschwungs.

Fazit für den Dax: Nachdem der Dax in sechs Wochen seit dem Tief vom 5. Juli gut 1500 Punkte oder zwölf Prozent zugelegt hat, ist die Luft für weitere Zugewinne dünn geworden. Hartnäckig hohe Inflationszahlen, kaum Entspannung auf der Zinsseite, die offene Energiefrage, eine fragile Konjunktur und substanzielle geopolitische Risiken dürften die nächsten Wochen überschatten. Nur ein Viertel der Dax-Aktien hat es in der jüngsten Erholung auf Notierungen oberhalb die 200-Tage-Linie geschafft. Bezeichnenderweise sind darunter die typischen Defensiv- und Krisenaktien wie die Deutsche Börse, die Deutsche Telekom oder Beiersdorf. Dazu kommen Dauerläufer Linde und Stromprofiteur RWE, die Coronagewinner Qiagen und Sartorius sowie die Flugzeug- und Rüstungshersteller Airbus und MTU

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Für die nächsten, kritischen Wochen, zumal den statistisch gefährlichen September, wäre es für den Dax vorteilhaft, wenn er vom Zugewinn der vergangenen Wochen nur einen kleinen Teil wieder hergeben würde. Optimal wäre es, wenn er deutlich oberhalb von 13.000 Punkten wieder Tritt fasst. Dann könnte er im Herbst von da aus einen neuen Anlauf in Richtung 200-Tage-Linie starten, die dann im Bereich um 14.000 Punkte verlaufen dürfte. Eine fortgeschrittene Erholung der US-Märkte kämen den German Stocks dabei natürlich zugute. 

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