Riedls Dax-Radar
EZB-Zinsentscheid lässt die Börsen zittern. Quelle: imago images

Neue Zitterpartie an den Börsen: Von der Inflation zur Rezession

Zinswende und Konjunkturangst lassen die Kurse abkippen. Für den Dax wäre es gut, wenn er nach vier Wochen Zwischenerholung jetzt nicht wieder zu viel verliert – eine schwierige Mission.

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Wie ein Stein sauste der Bund-Future nach unten, als EZB-Chefin Christine Lagarde die neue Zinspolitik und die weiteren Annahmen der europäischen Notenbank bekannt gab. Der starke Rückgang des wichtigsten Zinsbarometers für den europäischen Anleihemarkt zeigt, dass die Finanzgemeinde offensichtlich negativ überrascht ist von den geplanten Aktionen der EZB. Mit bevorstehenden Zinserhöhungen und moderaten Konjunkturprognosen hatten die meisten Marktteilnehmer durchaus kalkuliert. Doch dass die EZB nach einer ersten, kleineren Zinserhöhung im Juli dann im September womöglich den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte nach oben setzen könnte, hatten sie nicht auf der Rechnung.

Schlimmer noch: Nun stuft auch die EZB die Inflation als hartnäckig und zäh ein. Zudem werde sich bis 2023 die Konjunktur merklich abschwächen. Für zusätzliche Verunsicherung sorgen Hinweise, die Notenbank werde die wirtschaftlichen Unterschiede der einzelnen Länder in Zukunft stärker berücksichtigen. Die einstmals strengen geldpolitischen Leitlinien der Notenbank, so die Befürchtung, könnten damit weiter aufgeweicht werden.

Durch den von der EZB ausgelösten Abwärtsschub bei Anleihen wird der europäische Bondmarkt mittlerweile auf den Stand von 2014 zurückgeworfen. Im Gegenzug ist die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen, die Anfang März noch um die Nulllinie pendelte, auf 1,44 Prozent geklettert. Das ist der heftigste Anstieg seit mehreren Jahrzehnten – und ein Ende des Ausverkaufs bei Anleihen ist nicht in Sicht.

Ein Crash am Anleihemarkt ist nicht nur das Spiegelbild steigender Zinsen. Er ist auch ein tiefes Misstrauensvotum in die wirtschaftliche Entwicklung der Emittenten – in diesem Falle der europäischen Wirtschaft. Frühzeitig und oft empfindlicher als der Aktienmarkt registrieren Bonds, wenn das Risiko für das angelegte Geld zunimmt. Kein Wunder, sind die Folgen bei Anleihen auch meist viel drastischer, wenn es darum geht, ob der Einsatz zurückgezahlt wird oder nicht.

Bestätigt wird die skeptische Einschätzung am Anleihemarkt durch die Schwäche des Euros. Normalerweise führen steigende Zinsen dazu, dass eine Währung ebenfalls zulegt, weil sie mehr Rendite bietet. Der Euro aber ist in Reaktion auf die EZB-Entscheidung gegenüber dem Dollar gleich um ein Prozent gefallen. Zwar steht noch nicht fest, ob damit die Zwischenerholung des Euro seit Mitte Mai beendet ist, doch die Gefahr eines erneuten Rückgangs in Richtung 1,04 Dollar ist wieder deutlich gestiegen.

Die Einpreisung einer Rezession dürfte erst begonnen haben

Der anhaltende Crash am Anleihemarkt und die Schwäche am Währungsmarkt sind keine guten Zeichen für Aktien. Zwar hat sich der Dax nach einer schnellen Erholung im März, einer moderaten Korrektur im April und einem zweiten Kletterversuch im Mai zuletzt sogar bis auf 14.700 Punkte hochgearbeitet; eine gute Leistung angesichts der Risiken durch Ukrainekrieg, Inflation und die Zinsstraffungen der Notenbanken. Doch nun kommt auch noch die Gefahr einer Rezession dazu.

In praktisch jedem Quartalsbericht, der in den vergangenen Wochen von Dax-Unternehmen veröffentlicht wurde, ist von der großen Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr die Rede. Oft werden deshalb auch keine Prognosen für 2022 mehr gemacht – und wenn, dann nur sehr vage.

Diese Zurückhaltung heißt aber nicht automatisch, dass die Aktienmärkte einen Wirtschaftsabschwung oder womöglich sogar eine Rezession schon eingepreist haben. Während die allgemeinen Konjunkturprognosen in den vergangenen Wochen schrittweise zurückgenommen wurde, blieben die Gewinnschätzungen zu den Unternehmen für 2022 und 2023 erstaunlich optimistisch. Zumindest ein Abkühlung dürfte damit in den nächsten Wochen hier wahrscheinlich sein.

Könnte mit dem Risiko einer Rezession dafür auf der anderen Seite die Chance bestehen, dass die Inflation bald ihren Höhepunkt erreicht und von da aus abklingt? Die Haupttreiber der Inflation, die Energiepreise, zeigen bisher allerdings noch keine Tendenz zur Schwäche. Die wichtigste Kurve, der Ölpreis, ist für die Sorte Brent mittlerweile auf über 120 Dollar geklettert; der höchste Stand seit 13 Jahren. Und sollte sich nun ausgerechnet die dominierende chinesische Wirtschaft durch große Konjunkturprogramme und ein Ende der desaströsen Lockdowns wieder erholen, wäre sogar ein weiterer Nachfrage- und damit Preisschub in Sicht. Aus markttechnischer Perspektive wäre ein Anstieg bis zum bisherigen Hoch aus dem Jahr 2008 um 140 Dollar durchaus möglich. Auch wenn der Ölpreis prozentual nicht mehr so große Sprünge machen sollte wie in den vergangenen Monaten, dürfte der Aufwärtsdruck bei den Energiepreisen auf weiteres akut bleiben.

Ukrainekrieg, Inflation, Zinswende und Rezessionsrisiko sind der gefährliche Cocktail, mit dem die Aktienmärkte wahrscheinlich auf Monate hinaus noch leben müssen. Dass der Dax hierbei seit März kein neues Tief mehr gebildet hat, sondern in eine weite Seitwärtsbewegung übergegangen ist, kann als Gewöhnung an die Risiken und damit als Stabilisierung interpretiert werden.

von Martin Gerth, Philipp Frohn, Niklas Hoyer, Saskia Littmann

Das Problem dabei: Sollte es an den Anleihemärkten – und darauf deuten die massiven Verluste der Bonds – nach vier Jahrzehnten Zinsrückgang wirklich zur großen Wende gekommen sein, dann dürfte es mit einigen Monaten schwacher Kurse nicht getan sein. In der Finanzkrise dauerte es vom Hoch aus gemessen 15 Monate, bis die Aktien ihren Tiefpunkt erreichten; in der Hightech-Baisse nach der Jahrtausendwende waren es 36 Monate. In der aktuellen Baisse sind nicht einmal sechs Monate sinkender und schwankender Märkte überstanden.

Fazit für den Dax: Nachdem die amerikanische Fed den Kurs in der Straffungspolitik vorgegeben hat, zieht auch die europäische EZB nach. Selbst wenn sie mittelfristig aus politischer Rücksichtnahme nicht so konsequent vorgehen dürfte wie die US-Notenbank, wird sich in den nächsten Monaten die monetäre Situation diesseits und jenseits des Atlantiks substanziell verschärfen.

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Und darin liegt die Gefahr für die Börsen. Bisher eskomptierten die Märkte die Aussicht auf steigende Zinsen. Die echte monetäre Verknappung (vor allem durch den Abbau der Fed-Bilanz) beginnt nun erst langsam und wird auch nicht nach wenigen Wochen beendet sein. Selbst wenn es an den Aktienmärkten immer wieder zu Erholungen kommt, dürfte es in diesem Umfeld kaum einen nachhaltigen Anstieg oder eine Fortsetzung des alten Aufwärtstrends geben.

Kurzfristig dürfte der Dax durch die Ernüchterung nach dem EZB-Votum seine Erholungsphase der vergangenen Wochen beendet haben. Nun kommt es darauf an, ob er sich im Bereich um 13.800 Punkte wieder stabilisieren kann. Sollte das gelingen und im Gegenzug sogar ein Anstieg über 14.700 Punkte zustande kommen, könnte das dann sogar eine längere Erholungsphase zufolge haben. Allerdings, angesichts der monetären Verknappung und der aufziehenden Rezessionsrisiken besteht eher die Gefahr, dass der Dax seine bisherigen Jahrestiefs noch einmal testet.

Lesen Sie auch: Lagardes grüne Geldpolitik torpediert das Mandat der EZB

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