Riedls Dax-Radar
Börsenhändler an der New Yorker Börse warten auf ein Wahlergebnis. Die Börse schöpft Mut.

Rückenwind aus USA hilft der Börse gegen das Corona-Tief

Turbulenzen um die US-Präsidentschaftswahl und Ängste vor einem abermaligen Wirtschaftsabsturz lassen den Dax zittern. Dabei sind viele Unternehmen mittlerweile resistenter gegen Corona geworden. Mit dem richtigem Rückenwind aus den USA wäre sogar eine Jahresendrally möglich. 

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Bei der Vorwegnahme wichtiger Ereignisse ist die Börse meist ein erstaunlich treffsicherer Indikator. Mit der robusten Entwicklung, die Dow Jones, S&P und Nasdaq in den vergangenen Tagen genommen haben, setzt die Börse ziemlich eindeutig auf einen Sieg Joe Bidens bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Dollar und Gold laufen entsprechend: Sieht es für Biden gut aus, ziehen Aktien und Gold kurzfristig an, der Dollar gibt nach. Kommen Zweifel am Sieg des Demokraten auf, gehen Aktien und Edelmetalle in die Knie, der Dollar erholt sich. 

Dass die Börse nun doch so offensichtlich für Joe Biden votiert, mag überraschen. Dabei geht es zuallererst weniger um mögliche Differenzen in der Programmatik, sondern um Sicherheit und klare Verhältnisse – und da ist Donald Trump mit seinen medialen Hakenschlägen für die Börse mittlerweile in rotes Tuch.

Natürlich sind die Märkte in den vergangenen vier Jahren mit einem Präsidenten Trump gut gefahren. Dennoch sieht es im Augenblick (am Freitag, 6. November, vormittags) eher danach aus, dass es zu einem Kursrutsch käme, wenn Trump doch noch das Rennen machen würde. 

Beim wirtschaftlichen und politischen Programm unterscheiden sich Demokraten und Republikaner oft nur in Nuancen. Natürlich gibt es die typischen Profiteure: Rüstungsaktien wie Lockheed Martin, Northrop Grumman oder Raytheon liefen unter Trump besonders gut. Doch auch unter den Demokraten wird die Rivalität mit China weitergehen. Langfristige Rüstungsausgaben wie der Bau des Kampfflugzeugs F 35, das teuerste Rüstungsprojekt aller Zeiten, werden von den Demokraten genauso getragen wie von den Republikanern. In der Gesundheitspolitik dürften die Demokraten zwar mehr für die allgemeine Absicherung des einzelnen in die Wege leiten. Für Börsenunternehmen wie Pfizer, Novartis oder die deutsche Merck KGaA wichtiger ist aber die Frage, auf welche Weise teure Medikationen gedeckelt werden können. Das Thema werden sich beide Parteien vorknöpfen. 

Zwei Aktienbereiche allerdings gibt es, bei denen sich Unterschiede herauskristallisieren: Die führenden High-Tech-Unternehmen, von Apple bis Amazon, von Facebook bis Twitter, stehen überwiegend im demokratischen Lager. Das zeigt sich besonders gut an der starken Entwicklung an der Nasdaq-Börse, immer dann, wenn Biden bei der Stimmauszählung einen Lauf hat. Zum zweiten betrifft es die Unternehmen für Solar, Windkraft und neue Energien. Die profitieren ganz besonders von der Hoffnung, dass ein Präsident Biden sich wieder den internationalen Klimaschutzbemühungen anschließen dürfte – wenn er hier nicht sogar eine führende Rolle übernehmen will. 

Praktisch keine Differenzen spürbar sind bei einem für die Börsen besonders wichtigen Thema, der Notenbankpolitik. An der extrem großzügigen Geldversorgung dürfte sich weder in einer zweiten Amtszeit Trumps noch unter Biden etwas ändern. An den Anleihemärkten ist die Entwicklung deshalb auch vergleichsweise ruhig, die Renditen für zehnjährige US-Bonds pendeln seit zwei Monaten zwischen 0,7 und 0,9 Prozent. 

Neue Konjunkturhilfen als Treibsatz für die Kurse

Die Börse setzt natürlich auch auf Biden, weil sie sich dann endlich die Entscheidung über neue, umfangreiche Konjunkturhilfen erhofft. Auch wenn weitere Hilfen unter Trump ebenso möglich wären, dürften die Demokraten dabei weniger auf Steuererleichterungen setzen. Das weckt dann nicht nur indirekt wieder Zinshoffnungen, das setzt vor allem auch den Dollar unter Druck. Deshalb hat sich seit einigen Tagen der Euro vom Tief bei 1,16 auf über 1,18 Dollar erholt. Ein weiterer Anstieg, über das jüngste Hoch bei 1,20 hinaus, ist bei einem Sieg Bidens durchaus möglich. 

Das Ringen um die US-Politik überlagert hierzulande sogar das Dauerthema Corona. Durch die Verschärfung der Pandemie und die neuen Lockdown-Maßnahmen ist der Dax binnen zwei Wochen von 13.000 auf 11.500 Punkte abgestürzt; durch Rückenwind aus den USA hat er innerhalb nur einer Woche wieder 1000 Punkte gutgemacht. Ein Vorteil waren auch gute Zahlen wichtiger Unternehmen – so zeigen etwa die jüngsten Ergebnisse von BMW, wie flott die gebeutelte Autoindustrie wieder in Fahrt gekommen ist. Der jüngste Lockdown ist in solchen Zahlen natürlich noch nicht enthalten. Indikationen, die nach vorne weisen, wie etwa vom Ifo-Institut veröffentlichte Erwartungen und Hochrechnungen, sehen deshalb deutlich trüber aus und sprechen für ein Abknicken der wirtschaftlichen Erholung. 

BMW, Allianz, Linde - immer mehr Unternehmen zeigen Power 

Wie diese widerstreitenden Kräfte den Dax im Griff haben, lässt sich direkt an der Entwicklung der Einzelwerte ablesen. Neuling Delivery Hero, der typische Coronagewinner, ist die einzige Aktie im Dax, die derzeit auf ein neues Hoch vorgedrungen ist. Aus analytischer Sicht ist das Verlustunternehmen zwar völlig überteuert. Doch smarte Geschäftsmodelle und Marktanteile um jeden Preis zählen in dieser New Economy mehr als Ebit-Margen oder Eigenkapitalquoten. Der Aufwärtstrend von Delivery ist von enormer Stärke geprägt, ein baldiger Abbruch ist nicht in Sicht. 

Eine Hilfe für den Dax ist die substanzielle Erholung von zwei Schwergewichten. Linde wird im operativen Geschäft weniger von Corona getroffen als befürchtet. Dabei hilft auch die führende Stellung, die der Industriegasekonzern mittlerweile auf den asiatischen Märkten hat. Corona spielt hier eine wesentlich geringere Rolle als in Europa. Die Aktie dürfte vorerst im Bereich 185 bis 215 Euro konsolidieren. Langfristig ist ein Anstieg darüber hinaus wahrscheinlicher als ein Ende des großen Trends. 


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Besser als erwartet schlägt sich auch die Allianz. Die Belastungen durch Corona dürften im zweiten Halbjahr wesentlich geringer ausfallen als in der ersten Hälfte des Jahres. Wie andere große Versicherer auch, etwa die französische Axa, haben die Assekuranzen vor allem beim Thema Ausfallversicherungen und Stornierungen mittlerweile gelernt, mit Corona zu leben. Nach dem jüngsten Absturz konnten Allianz-Aktien wieder deutlich zulegen. Mittelfristig stehen die Chancen gut, dass zwischen 150 und 180 Euro die Stabilisierung gelingt und Allianz dann im nächsten Jahr wieder deutlich über 200 Euro hinauskommt. 

Fazit für den Dax: Ein Sieg Joe Bidens und eine Erleichterungsrally in den USA wären für den Dax eine wichtige Hilfe beim Kampf gegen Corona. Der zweite Grund für stabilere Kurse ist die Entwicklung in den Unternehmen, die eben nicht mehr so hilflos dem Virus gegenüberstehen wie im Frühjahr. Der Dax hat zuletzt nicht nur bei 11.500 Punkten seine überfällige Erholung eingeleitet; er hat sogar den Rutsch unter die 200-Tagelinie (bei 12.070 Punkten) wieder ausgeglichen. 

Wenn jetzt keine unerwartete Überraschung aus Amerika kommt, sollte der Dax weiterhin das Niveau um 12.000 Punkte verteidigen können. Dann wäre sogar etwas möglich, an das Anleger in dem ganzen Rummel um Corona und Trump derzeit kaum noch denken – eine gesegnete Jahresendrally. 

Mehr zum Thema: Mit welchen Aktien Anleger auf Wasserstoff setzen können.

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