Riedls Dax-Radar

Schwaches Europa mit starken Aktien

Der rückläufige Euro, starke Technikwerte und das Comeback der Versicherer beflügeln den Dax.

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Steigende Dax-Kurve (Symbolbild). Quelle: dpa

EZB-Chef Mario Draghi macht nichts, und das kommt gut an den Börsen. Dass Draghi die Leitzinsen unverändert lässt, war zu erwarten. Vielleicht hatte sich mancher etwas mehr zu den Anleihekaufprogrammen gewünscht – doch mehr als die bisherige Grundbotschaft gibt es nicht: Die EZB werde alles tun, was die wirtschaftliche Lage erfordere.

Die Märkte können damit gut leben, weil die Hoffnung wächst, dass Draghi eines fernen Tages doch die behutsame Rückführung der expansiven Geldpolitik gelingen könnte. Das wird ein Drahtseilakt, das haben die bisher empfindlichen Reaktionen der Märkte gezeigt. Doch ähnlich wie Janet Yellen könnte Draghi auf einen Gewöhnungseffekt setzen, der die Märkte Schritt für Schritt unempfindlicher macht. Und substanziell abwürgen wird Draghi die Konjunktur sicherlich nicht.

Man könnte sogar ein Argument der EZB-Kritiker umdrehen: Wenn die expansive Geldpolitik der EZB zuletzt schon nicht mehr Wirkung zeigte, dann muss man auch keine Angst haben, wenn sie eines Tages wieder restriktiver wird.

Immerhin, die Umlaufrendite hat sich in den vergangenen Wochen zwischen minus 0,3 und minus 0,1 Prozent stabilisiert. Das ist noch nicht die große Wende, zeigt aber, dass die Renditen am langen Ende nicht endlos sinken müssen.

Der Euro kann bis auf 1,05  Dollar sinken

Bemerkenswert ist die Reaktion des Euro. Er ist gegenüber dem Dollar seit Oktober auf dem Rückzug. Gut möglich, dass er in den nächsten Wochen sogar Werte um 1,05 Dollar ansteuert, die Untergrenze seiner mittelfristigen Schwankungen.

Hintergrund ist zum einen die Erwartung der Anleger, dass es zunächst unverändert mit der expansiven Geldpolitik der EZB weitergeht, wohingegen in den USA wohl noch in diesem Jahr eine Erhöhung möglich ist. Am langen Ende sind die US-Renditen der zehnjährigen Staatspapiere seit drei Monaten in einer stabilen Aufwärtsbewegung. Mit 1,76 Prozent bieten sie genau 1,76 Prozentpunkte mehr als vergleichbare Bundesanleihen.

Zum anderen signalisiert der rückläufige Euro deutlicher als bisher die Schwäche Europas, die sich durch den Austritt der Briten aus der EU manifestiert. Sowohl die Folgen für die britische Wirtschaft als auch die Rückwirkungen auf die EU werden mittlerweile zu recht kritischer gesehen als noch Mitte des Jahres.

Dem deutschen Aktienmarkt kommt die Schwäche des Euro gelegen. Denn wie die jüngste Umsatzwarnung von Daimler zeigt, ist das Geschäft der großen Exporteure vor allem in Amerika nicht einfach geworden. Kritische Beobachter der USA sehen das in einem Zusammenhang mit dem harschen Vorgehen gegen Volkswagen und besonders der Deutschen Bank.

Stärke für deutsche und europäische Aktien

Der Euro-Schub verleiht den europäischen und deutschen Aktien eine Stärke, die der US-Aktienmarkt derzeit nicht hat. Nur mit Mühe kann sich der Dow Jones über der Untergrenze von 18.100 Punkten halten. Gut möglich, dass er sogar noch bis 17.700 absinkt, hier verläuft die 200-Tage-Linie.

Wenig Rückhalt gibt es für US-Aktien derzeit im Wahlkampf. Dass die Chancen des Kandidaten Trump sinken, wird an Wall Street nicht honoriert. Andererseits leiden Pharma- und Biotechaktien unter der Aussicht einer Präsidentin Clinton, die sich mehrmals gegen besonders teure Arzneimittel ausgesprochen hat. Dabei waren die in der Tat enorm teuren Medikamente in den vergangenen Jahren eine zentrale Triebkraft für Pharma- und Biotechwerte.

Der stärkste Aktientrend, der derzeit aus Amerika kommt, sind die großen Technologiewerte. Hier schlagen sich die Megatrends nieder – Internet, Digitalisierung, Onlinehandel, Cloud-Computing. Besonders Microsoft beweist, wie ein klassischer Software-Konzern vorne dabei bleibt, ohne seine Basis zu kappen.

Favoriten für die nächsten Monate: SAP, BASF, Allianz, Münchener Rück

Im Dax erntet SAP die Früchte, die in den vergangenen Jahren mit der Expansion in die Cloud gesät wurden. SAP ist (wie Microsoft) Basiswert in einem langfristigen Aktiendepot. Die Stärke der Technologiewerte (neben SAP vor allem Infineon und noch Siemens) ist auch im Dax derzeit die wichtigste Triebkraft.

Ein zweiter Anschub kommt vom möglichen Comeback der Finanzwerte – wobei hier die Versicherer Allianz und Münchener Rück gemeint sind und nicht die Banken. Auch das ist eine Indikation dafür, dass die Zinsen wohl nicht mehr endlos sinken. Beide Aktien sind günstig, bieten eine hohe Dividendenrendite und die Unternehmen haben eine exzellente Marktposition.

Dritte wichtige Entwicklung im Dax ist die Renaissance von BASF, mit 73 Milliarden Euro Börsenwert immerhin die Nummer vier im Index. Hinter der aktuellen Stärke steht vor allem die Aussicht auf höhere Ölpreise und langfristige Einnahmen aus der Gasförderung.

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Am anderen Ende erweisen sich die Autowerte und Conti derzeit als Bremsklotz. Allerdings dürfte deren Schwäche nicht dauerhaft sein. Bei Conti sind es vorübergehende Gründe, die zu moderateren Gewinnen führen. Daimler hält an seiner Gewinnprognose fest, rechnet aber wegen des schwierigen US-Geschäfts mit etwas weniger Umsatz. Das könnte bei einem weiter nachgebenden Euro bald wieder anders aussehen. Und BMW geht beim Elektroauto endgültig in die Offensive, nachdem die Bayern mit ihrem wenig attraktiven i3 und dem überteuerten i8 weit am Massenmarkt vorbeigeschrammt sind.

Im Dax hat sich die Chance auf eine Jahresendrally weiter erhöht. Die wichtige Widerstandszone bei 10.700 bis 10.750 Punkten ist zwar noch nicht genommen, doch der erwartete Dreh der 200-Tage-Linie nimmt langsam Formen an. Wenn es in den USA nicht zu einer Wahlenttäuschung kommt und der Dow sich spätestens im Bereich um 17.700 wieder stabilisiert, sollte das die Aktienmärkte weiter anziehen lassen. Und dieses Mal hat Europa die Nase vorn.

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