Riedls Dax-Radar
Aspirintablette von Bayer Quelle: dpa

Starke Aktien in wackligem Börsenumfeld

Die Hoffnung auf expansive Notenbanken kann den Börsen im Juli noch einen Schub geben. Im Dax entstehen spekulative Chancen bei Bayer, Vonovia und Infineon.

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Entscheidend für den aktuellen Trend an den Börsen ist derzeit, dass der Markt nach dem dynamischen Juni-Anstieg nur wenig von seinen Gewinnen wieder preisgegeben hat. Das ist bemerkenswert, da das Börsenumfeld derzeit unwägbar ist:

- Ob sich auf politischer Ebene durch die aktuellen Gespräche in Japan echte Fortschritte ergeben, darf bezweifelt werden. Und selbst wenn, ist fraglich, ob sie danach auch eingehalten werden. Zwischen Trump und Chinas Staatschef Xi Jinping gab es schon oft schön klingende Vereinbarungen und kurz danach ging es dann wieder zurück in die alte Kampfrhetorik. Geht es nach den Umfragepanels, erwarten drei Viertel der Beobachter keine oder nur wenig erfreuliche Ergebnisse vom G-20-Treffen.

- Die Angst vor einer Rezession wächst. Eine nur moderat laufende Wirtschaft ist für die Börse nicht schlecht; sie nährt die Hoffnung auf das Anziehen der Konjunktur und sorgt gleichzeitig für ein niedriges Zinsniveau. Kippt eine Konjunktur aber unerwartet in die Rezession, wird es gefährlich für die Kurse. Noch sollte das Thema Rezession eher ein Stimmungsproblem sein und kein faktisches Risiko.  

- Die Zitterpartie um die Europa-Probleme Italien und Großbritannien geht weiter. Immerhin sind die Erwartungen der Märkte hier so minimal, dass es schon einer mittleren Katastrophe bedürfte, die Aktienmärkte einbrechen zu lassen. Durch ihr schlechteres Abschneiden im Vergleich zu US-Papieren haben europäische Aktien den wackligen Zustand Europas schon eingepreist. Bezeichnenderweise ist die beste europäische Börse derzeit die, die gegenüber der EU das größte Eigenleben hat: die Schweizer Börse. Mit knapp 10.000 Punkten notiert der SMI-Index am Allzeithoch.

Skepsis an den Märkten ist ein großer Vorteil

Dow Jones, Nasdaq 100 und S&P 500 notieren nahe ihrer bisherigen Rekordstände. Wenn ein Aktienmarkt am Hoch notiert und die Stimmung dabei glänzend ist, wäre das ein Gefahrensignal. Es zeigt, dass die meisten Anleger schon investiert und die positiven Erwartungen bezahlt sind. Von glänzender Stimmung aber ist derzeit weit und breit nichts zu spüren. Skepsis allein führt natürlich nicht automatisch zu höheren Kursen. Doch kommen dazu unerwartete, positive Signale, kann dies die Notierungen schnell beflügeln.

Positive Signale sind von drei Seiten möglich: Politische Vereinbarungen könnten die Angst vor den Folgen des Handelskonflikts nehmen; die wirtschaftlichen Daten könnten sich in den nächsten Wochen nicht mehr weiter verschlechtern; und vor allem könnte es durch die Notenbank Fed eine Zinssenkung und expansive Aussichten geben.

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Bayer sucht die Bodenbildung

Zu positiven Veränderungen am Markt kommen Spezialsituationen. Vor allem im Dax gibt es reichlich Möglichkeiten.

Beispiel Bayer. Das Unternehmen werde erst dann an der Börse wieder reüssieren, wenn es zu einer Lösung für das Monsanto-Problem kommt – das war bisher an dieser Stelle der Tenor. Genau darauf setzt Hedgefonds-Guru Paul Singer, der nun bei Bayer eingestiegen ist. Dass er mit einem Anteil von rund zwei Prozent nur ein kleines Aktienpaket hat, das für Finanzinvestoren (Versicherungen, Fonds, Pensionskassen) völlig normal ist und an der Börse tausendfach vorkommt, spielt keine Rolle.

Entscheidend ist, dass sich durch den Singer-Einstieg der Blick der Anleger auf die Aktie um 180 Grad gedreht hat: Bayer wird jetzt nicht mehr als Krisenunternehmen mit verfehlter Strategie und unwägbaren juristischen Risiken betrachtet, sondern als Ansammlung versteckter Werte, die durch neue, clevere Aktionen gehoben werden können. Die Spannweite reicht dabei von einem juristischen Moratorium im Fall der Glyphosat-Klagen bis hin zu einer kompletten Aufspaltung des Konzerns.

Allerdings, so heftig die erste Reaktion der Börse auf Singer auch ist, eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Die zähe Entwicklung bei Thyssenkrupp, wo Singers Hedgefonds Elliot ebenfalls eingestiegen ist, zeigt, dass nach er ersten Euphorie Taten folgen müssen. Und substanzielle Änderungen brauchen Monate. Im Fall von Bayer könnte das bedeuten, dass die Aktie zwar nicht mehr nach unten durchgereicht wird, aber erst einmal einen Boden bilden müsste, der zwischen dem bisherigen Tief um 55 Euro und dem zyklischen Hoch vom März um 73 Euro liegen könnte. Einen Anstieg darüber hinaus dürfte es erst geben, wenn es zu einer umfassenden Lösung des Glyphosat-Problems kommt.

Fehlstart bei Daimler, Abwarten bei Vonovia, Hoffnung für Infineon

Ein Problemfall im Dax ist mittlerweile Daimler geworden. Im Mai, im Umfeld der Hauptversammlung (inklusive Dividendenabschlag) hat die Aktie erheblich verloren; im Juni trotz allgemeiner Erholung nichts dazugewonnen. Das ist vor allem insofern enttäuschend, da mit dem Antritt des neuen Chefs Ola Källenius große Hoffnungen verbunden waren. Stattdessen macht Daimler Schlagzeilen mit neuen Massenrückrufen von Dieselfahrzeugen.

An der Börse ist der Antritt des neuen Chefs ein Fehlstart; Daimler-Aktien müssen das erst einmal verarbeiten. Womöglich kommt es dabei noch einmal zu einem Test der bisherigen Tiefpunkte um 45 Euro. Ein weiteres Durchrutschen ist zwar nicht ausgeschlossen, angesichts der hohen Dividende aber wenig wahrscheinlich. Von einer nachhaltigen Wende nach oben ist Daimler derzeit weit entfernt. Dazu müsste die Aktie über 60 Euro hinaus klettern.

Vonovia mit Regulierungsrisiko

Zu den festen Größen im Dax gehörte lange Zeit Vonovia. Der Aufschwung auf dem Immobilienmarkt und die robuste operative Entwicklung von Deutschlands größtem Wohnungsvermieter hat den langfristigen Kursanstieg untermauert. Doch mit der Diskussion um Mietgrenzen und Enteignungen hat die Aktie einen Knick bekommen. Operativ ist Vonovia kaum betroffen, nur etwa ein Zehntel seiner 400.000 Wohnungen sind in Berlin.

Allerdings leidet der Vonovia-Kurs darunter, dass sich der Blickwinkel der Investoren verändert: Dass der Wohnungsmangel auf absehbare Zeit bestehen dürfte, wird nicht mehr als Nachfragevorteil für Vonovia eingestuft, sondern als Risiko, dass sich das regulatorische Umfeld verändert. Zudem passt dies zur generellen Tendenz, die auch andere Branchen – vor allem Energie, Nahrungsmittel, Autos - seit längerem zu spüren bekommen: Kriterien wie Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein und soziale Verträglichkeit fließen mehr und mehr in die Aktienbewertung mit ein.

Obwohl Vonovia-Aktien derzeit deutlich unter ihrem Nettoinventarwert (Wohnungen und Immobilien minus Nettoschulden) von mehr als 45 Euro notieren, werden sie nicht automatisch gekauft. Bei der Suche nach der neuen Bewertung könnte sich der Abschlag sogar noch ausdehnen und die Aktie in den Bereich 36 bis 38 Euro drücken. Damit allerdings, mit einem Abschlag von bis zu 20 Prozent zum Nettoinventarwert, sollten dann die neuen, weichen Kriterien ausreichend berücksichtigt sein.

Infineon: Übernahme bietet Chancen

Zunehmend erholen kann sich Infineon, nachdem die wichtige Unterstützung um 14 Euro gehalten hat. Mehr und mehr dürfte sich durchsetzen, dass in der angepeilten Übernahme des Konkurrenten Cypress Semiconductor langfristig erhebliche Chancen liegen: Infineon würde damit führender Chipanbieter für die weltweite Umstellung auf moderne Mobilität und Top-Lieferant für Halbleiter und Software für das Internet der Dinge. Der hohe Kaufpreis dürfte mittlerweile durch den Kursabschlag berücksichtigt sein. Wahrscheinlich ist die Übernahme erst 2020 in trockenen Tüchern. Die erste Kapitalerhöhung bei professionellen Anlegern hat der Kurs überstanden, eine zweite ist noch möglich. Wahrscheinlich wird bei Infineon deshalb erst einmal zwischen 14 und 16 Euro eine Stabilisierung ablaufen.

Fazit zum Dax: Die innere Stärke der führenden Aktienmärkte und die verbreitete Skepsis vieler Anleger sprechen dafür, dass die im Juni eingeleitete Aufwärtsbewegung noch nicht zu Ende ist. Positive Überraschungen von politischer Seite und die Hoffnung auf weitere, expansive Schritte der Notenbanken könnten den Kursen noch einmal einen Schub verleihen. Kurzfristig läge das Ziel im Dax bei 12.800 Zählern, dem Hoch vom August. Wenn es gut geht, etwa durch ein expansives Bekenntnis der Fed, könnte der Dax sogar die 13.000er-Marke anlaufen. Genug Zeit für eine Spekulation darauf besteht, die nächste Fed-Sitzung ist erst Ende Juli.

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