Riedls Dax-Radar
Die Aussicht auf ein Abflauen der Coronapandemie hat die Kurse an den Börsen getrieben. Quelle: imago images

Starke Tech-Aktien und Corona-Boost machen 17.000 Punkte erreichbar

Die Hoffnung auf moderate Zinsen treibt Technologieaktien; die Krise um Corona hilft Pharma- und Biotechtiteln. Dank starker Favoriten könnte der Dax bis Jahresende in die Nähe der 17.000er-Marke kommen.

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Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen, die wichtigste Kurve der weltweiten Anleihemärkte, ist in den vergangenen zwei Tagen leicht von 1,65 Prozent auf 1,55 Prozent gesunken. Dennoch ist die Gefahr, dass die Anleihezinsen in den nächsten Wochen über die entscheidende Schwelle um 1,75 Prozent klettern, noch nicht vom Tisch. Ein Anstieg über 1,75 Prozent hinaus könnte schnell eine Rendite von zwei Prozent und mehr zufolge haben. An den Anleihemärkten dürfte dies zu einer Verkaufswelle führen – die wahrscheinlich dann auch die Aktien nicht kalt lassen würde. 

Noch ist die Entscheidung darüber nicht gefallen. Maßgeblich dafür ist die weitere Entwicklung an den Rohstoffmärkten, der substanziell wichtigste Grund für die allgemeine Teuerung und den Zinsanstieg. Hier gibt es seit einigen Wochen divergierende Tendenzen. Öl der Nordseesorte Brent tritt zwischen 80 und 85 Dollar auf der Stelle. Als es im Juli auf dem Ölmarkt letztmals zu einer solchen Korrektur kam, dauerte die Pause fast zwei Monate.

Im Kupfer, dem wichtigsten Industriemetall, das vor allem durch die E-Mobilität und die neue Kommunikation gefragt ist, halten die richtungslosen Preisschwankungen schon seit Mai an. Aluminium hat nach der extremen Preisspitze Mitte Oktober einen schweren Dämpfer bekommen und ist bis auf das Augustniveau zurückgekommen. Der Preis für Eisenerz hat sich seit Ende Juli sogar halbiert. 

Eine endgültige Entspannung an den Rohstoffmärkten dürfte dies kaum sein. Doch die Entwicklung zeigt, dass vor allem in großen Preistrends die Schwankungen weitläufig ausfallen können. Gerade weil die Aufwärtsbewegung an den Rohstoffmärkten seit dem Coronatief so dynamisch verlaufen ist und sogar in breiten Durchschnittskurven wie dem HWWI-Index zu einer Verdreifachung führte, könnte eine allgemeine Korrektur mehrere Monate umfassen, ohne an der langfristigen Aufwärtstendenz etwas zu ändern. Schon eine solche vorübergehende Entspannung aber könnte dazu beitragen, dass die Inflationsraten in den nächsten Wochen an Aufwärtsdynamik verlieren. Vor allem im Dollarraum, in dessen Währung Rohstoffe überwiegend gehandelt werden. 

Zusätzlicher Inflationsdruck durch Weichwährung Euro 

Im Euroraum allerdings kommt eine Hypothek dazu: die schwache Währung, die Rohstoffe für Europäer zusätzlich verteuert. Allein seit Jahresanfang ist der Euro gegenüber dem Dollar von 1,23 auf 1,13 gesunken. Hintergrund ist die mittlerweile auf Zinserhöhungen zielende Geldpolitik der Amerikaner im Gegensatz zu der weiterhin expansiv ausgerichteten Linie der EZB.

Der aktuelle Rückgang des Euro hat eine ähnliche Dynamik wie 2018. Damals verlor die europäische Währung fast 15 Prozent gegenüber dem Greenback. Käme es jetzt zu einer vergleichbaren Entwicklung, könnte dies ein Abgleiten des Euro bis in den Bereich von 1,05 Dollar bedeuten. 

Ob es wirklich soweit kommt, hängt nicht nur von der weiteren Politik der EZB ab, sondern auch davon, ob Jerome Powell Chef der Fed bleibt. Auch wenn die amerikanische Notenbank viel mehr als zu Zeiten Alan Greenspans nun als Gremium handelt, ist der Chef der Fed noch immer eine Schlüsselfigur für die Anlagemärkte. Powell, der von Trump eingesetzt wurde, hat sich insgesamt durchaus als eigenständig erwiesen und den Weg in Richtung Zinswende beschritten – ohne Konjunktur und Märkte dabei abzuwürgen. Sollte ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin diesen Ansatz zunichte machen, könnte sich der Euro schnell wieder erholen. 

Ein wichtiger Indikator, der vorerst eher gegen einen neuen, massiven Zinsanstieg spricht, ist die aktuelle Stärke der Technologieaktien. Dies hat zwar auch mit der jüngsten Verschärfung der Coronakrise zu tun, die manchem Internet- und Softwaregiganten in die Hände spielt und Bio- und Medizintechniker beflügelt. Wichtiger aber ist, dass die führenden Indizes der Nasdaq-Börse im Schatten niedriger oder sinkender Zinsen eher gut laufen, weil vor allem junge Wachstumsunternehmen auf Finanzierungen angewiesen sind. Für die schwerreichen Protagonisten wie Apple und Microsoft gilt dieser Zusammenhang allerdings nicht mehr. 

Mit fast 16.500 Punkten hat der Nasdaq-100-Index ein neues Allzeithoch erreicht. Getragen wird die Aufwärtsbewegung vor allem von den haussierenden Halbleiteraktien; der hier führende Philadelphia Semiconductor Index ist seit Mitte Oktober auf steilem Rekordkurs. Hinter den Chipwerten kommen nun auch die Klassiker Apple, Adobe und Amazon ins Laufen; Microsoft bleibt Dauerfavorit. 

Für den Dax ist das eine wichtige Vorgabe. Auch hier stehen die Technologiewerte im Vordergrund. Infineon hat mit mehr als 43 Euro ein neues Zwanzigjahreshoch erreicht. Wie bei anderen Halbleiterherstellern ist die Produktion voll ausgelastet, ein Abflauen der Nachfrage ist auf absehbare Zeit kein Thema. Die Bewertung der Aktie ist hoch, aber nicht astronomisch. Die jüngsten Aufschläge beim Branchenprimus Nvidia haben gezeigt, dass Anleger nach wie vor sehr gute Geschäftszahlen honorieren. Infineon könnte in diesem Jahr noch Luft bis auf 50 Euro haben. 

Seiner Ausrichtung auf Digitalisierung und Automatisierung und der cleveren Abspaltungspolitik verdankt Siemens neue Höchstkurse von deutlich über 150 Euro. Vor allem die Sparte Healthineers erweist sich mitten in der größten Gesundheitsherausforderung der vergangenen Jahrzehnte als ausgesprochen erfolgreich. Healthineers-Aktien bleiben ein Top-Favorit im Dax. Bei der Energietochter Siemens Energy wächst zumindest die Hoffnung auf einen langsamen Turnaround. Im Aktienkurs ist die Bodenbildung zwischen 21,50 und 25,50 Euro in Arbeit. 

Einen enormen Lauf hat die Merck-Aktie. Hier kommen mehrere starke Entwicklungen zusammen: die wichtigen Zulieferungen für die Chipindustrie, für Coronaimpfstoffe und die langsame Stärkung des klassischen Pharmageschäfts. Für eine solche Erfolgskombination ist die aktuelle Gewinnbewertung nach wie vor günstig – vor allem im Vergleich zu amerikanischen Protagonisten. Bis Jahresende könnte die Aktie noch auf 240 bis 250 Euro klettern. 

Ein neues Hoch hat Qiagen gebildet. Um den Dax-Neuling gibt es Übernahme- und Fusionsgerüchte – wieder einmal. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Qiagen früher oder später in einen größeren Verbund eingeht. Durch die Coronakrise ist der weltweite Diagnostikmarkt im Aufbruch. Die Topanbieter Roche, Thermo Fisher und Abbott Laboratories erzielen hohe, zweistellige Wachstumsraten. Auch Qiagen legt deutlich zu, könnte aber etwa im Verbund mit einem Partner wie der französischen Biomérieux nun die erste Liga der Branche aufsteigen. Familienaktionäre, die sich einer Fusion verweigern, gibt es nicht; hinter Qiagen stehen große Finanzadressen, und die sind zuallererst an Rendite interessiert. Qiagen-Aktien sind ein spekulativer Favorit im Dax. Und wenn es vorerst doch nicht zu einer Fusion kommt, dann wird das aktuell dynamische Geschäft um Coronatests und der Nachholbedarf bei klassischen Produkten, etwa für Labore, für neue Rekordzahlen sorgen. 

Fazit für den Dax: Zumindest kurzfristig sollte eine Pause im Zinsanstieg die Aktienmärkte weiter beflügeln. Dies hilft derzeit besonders den Technologiewerten, im Dax vor allem Infineon und Siemens. Die stärksten Gewinner um Corona sind Merck und Qiagen. Mit bis zu 16.290 Punkten im Tagesverlauf hat der Dax zwar ein neues Hoch markiert, der breite Markt allerdings ist von der Dynamik noch nicht erfasst. Große Aktien wie Allianz, SAP und neuerdings auch Volkswagen liegen deutlich unter ihren Rekordkursen. Negativ betrachtet ist das eine innere Schwäche des deutschen Aktienmarkts, die ein vorsichtiges Schlaglicht auf nächstes Jahr wirft. Zudem passt sie zu prominenten Warnungen, die etwa Allianz-Chef Oliver Bäte gibt, der das deutsche Finanzsystem derzeit für sehr anfällig hält. Dass vor allem Technologieaktien aktuell sehr hoch bewertet sind, trifft dabei durchaus zu - ist aber typisch für die aktuelle Marktphase; dass Autoaktien ebenfalls irrational bewertet seien, wie Bäte meint, trifft angesichts einstelliger KGVs von VW, Daimler und BMW und den dort ebenfalls soliden Bilanzen, vor allem bei BMW, nicht zu.  

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Kurzfristig, für die nächste Woche, wäre es gut wenn der Dax bei seinen Korrekturen mindestens das Niveau um 16.000 Punkten hält, hier lag die letzte vorangegangene Kursspitze im August. Die Anstiegsphase der Jahresendrally, die Anfang Oktober begann, ist nach wie vor intakt und könnte den Dax bis Ende Dezember noch in die Nähe der 17.000er-Marke bringen.

Mehr zum Thema: Manche Impfskeptiker würden ihre Meinung ändern, gäbe es ein proteinbasiertes Vakzin, etwa den Totimpfstoff von Novavax. Die Novavax-Aktie legt wegen der Aussicht auf baldige Zulassung in Europa zu. Können Anleger profitieren? 

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