Riedls Dax-Radar

US-Techwerte stabilisieren den Dax

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US-Anleiherenditen von mehr als 2,50 Prozent wären keine Überraschung

Für die wichtigste Zinskurve der weltweiten Kapitalmärkte, die Rendite zehnjähriger US-Anleihen, wäre damit mittelfristig folgendes Szenario möglich: 

In der ersten Phase des Zinsanstiegs, der getragen war von der fundamentalen Erholung der Wirtschaft nach dem Coronatief, stiegen die Anleihezinsen von Anfang August 2020 bis Ende März 2021 in acht Monaten von 0,5 Prozent auf 1,75 Prozent. Rechnerisch war das ein durchschnittlicher Anstieg pro Monat um 0,16 Prozentpunkte. 

Seit der Spitze im März, als die allgemeine Inflationsangst einen Höhepunkt erreicht hat, läuft eine Gegenbewegung. Binnen drei Monaten haben die Renditen dabei von 1,75 auf aktuell 1,50 Prozent nachgegeben. Das sind 0,08 Prozentpunkte im Monatsdurchschnitt. Die Abwärtsdynamik der vergangenen drei Monaten ist also genau halb so hoch wie die Dynamik in der vorangegangenen Aufwärtsbewegung. Das ist typisch für eine Korrekturbewegung und nicht für einen neuen Trend. 

Das bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass der große Zinstrend nach oben gerichtet ist und dass es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, bis die US-Renditen aus der Schwankungszone der vergangenen Monate ausbrechen und ihre dynamische Aufwärtsbewegung fortsetzen. Wann genau dieser nächste, große Zinsschub beginnt, lässt sich nur vermuten. Viel tiefer als bis zu den 1,35 Prozent vom 21. Juni dürfte es vorerst mit den Renditen wahrscheinlich nicht mehr gehen; dagegen spricht der jüngste, schnelle Abverkauf an den US-Anleihemärkten, der die Zinsen im Gegenzug gleich wieder auf 1,5 Prozent hochgetrieben hat. 

Sollten die Renditen etwa von einer Basis von rund 1,40 Prozent noch einmal in ähnlicher Weise wie von August bis März um 1,25 Prozentpunkte klettern, ergäbe das eine Projektion bis auf 2,65 Prozent. Schon einmal, 2017 bis 2019, kam es auf diesem Niveau am US-Zinsmarkt mehrmals zu Hoch- und Tiefspitzen. Ein Anstieg der US-Anleihezinsen in den Bereich 2,50 bis 3,00 Prozent wäre also bei einem Zeithorizont bis nächstes Jahr alles andere als eine Überraschung. 

An den Aktienmärkten steht die Zinsprobe noch bevor  

Könnten die Aktienbörsen einen solchen Zinsanstieg verkraften? Beim letzten Zinsanstieg ist der Dow Jones von 26.000 auf 33.000 Punkte gestiegen, der Nasdaq-100-Index von 11.000 auf 14.000 Punkte und der Dax von 13.000 auf 14.500 Zähler. Das ist zwar keine Garantie, dass es beim nächsten Mal wieder so läuft, spricht aber nicht dafür, dass die Aktienmärkte automatisch von den Zinsen abgewürgt werden. 

Für die aktuelle Entwicklung im Dax bedeutet das: Auch wenn die Äußerungen der Fed über eine mögliche Verschärfung der Zinspolitik für Unruhe gesorgt haben, hat sich am großen Bild nichts geändert: Die Erholung der Konjunktur nach Corona kommt weltweit gut voran, an den Rohstoffmärkten dürfte sich die Aufwärtstendenz fortsetzen, ein weiterer Anstieg der Anleiherenditen sollte nur eine Frage der Zeit sein. 

Natürlich wäre eine überbordende Inflation, also dauerhafte Teuerungsraten oberhalb der Marke von fünf Prozent, ein Risiko, das vor allem in der Realwirtschaft zu großer Verunsicherung führen dürfte (und dann in einer zweiten Phase auch die Anlagemärkte erfassen könnte). Doch solange die Teuerung nicht aus dem Ruder läuft, ist sie für den Aktienmarkt keine Belastung, sondern über die reichlich vorhandene Liquidität sogar ein Treibsatz. 

Aus diesem Grund weist der deutsche Aktienmarkt auch keine innere Schwäche auf. Bei 23 von 30 Dax-Werten verlaufen die aktuellen Kurse oberhalb der 200-Tagelinie. Das ist eine Haussequote von 77 Prozent; ein typisches Zeichen für einen robusten Markt. Das spiegelt sich auch in der Dax-Kurve selbst, die gut zehn Prozent über ihrem 200er-Durchschnitt verläuft. 

Kurzfristig wäre es gut, wenn der Dax weiterhin das Niveau um 15.500 Punkte verteidigen kann. Sollte das wider Erwarten nicht gelingen, läge die nächste Auffangzone dann bei 14.800 Punkten. Doch selbst ein solcher Rückschlag wäre noch nicht das Ende der generellen Aufwärtstendenz an der deutschen Börse. 

Wer dennoch über die Aussichten des Dax beunruhigt ist, sollte einen Blick auf die jüngste Entwicklung der für die weltweiten Börsen wichtigsten Aktien werfen: Microsoft, Google Alphabet, Facebook und Nvidia stoßen seit kurzem wieder in neue Höhen vor. Selbst Apple und Amazon, bei denen es in den vergangenen Monaten zu längeren Korrekturen gekommen ist, rücken wieder in vielversprechende Startpositionen. Wenn die besten Börsenunternehmen der Welt so sichtbar nach oben ziehen, wird der Dax nicht einfach nach unten wegrutschen – ein solches Eigenleben hatte er noch nie seit seiner Einführung 1987/88. 

Mehr zum Thema: Die US-Notenbank Fed und ihr Chef Jerome Powell ziehen eine sanfte Straffung der Geldpolitik in Erwägung. Die Reaktionen an den Finanzmärkten geben widersprüchliche Signale. Anleger sollten sich eine Sommerpause gönnen und Geld vom Tisch nehmen.

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