Riedls Dax-Radar

US-Märkte retten europäische Aktien

Nach sieben Tagen Kurserholung im Dax steigt die Stimmung. Auch in den nächsten Wochen dürften positive Signale aus den USA den Ausschlag geben. Trotzdem ist die Zitterpartie noch nicht ausgestanden.

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Börse: US-Aktien auf neuen Höhen beflügeln den DAX. Quelle: AP/dpa

Während in Europa die Optimisten den Brexit-Crash als Kaufgelegenheit feiern und die Pessimisten eine neue Bankenkrise beschwören, ziehen US-Aktien zu neuen Höhen. Mit 18500 Punkten hat der Dow Jones souverän ein Top markiert. Im marktbreiten S&P 500 ist die Tendenz fast genauso stark, nur der Nasdaq 100 ist noch nicht soweit. Die großen Technologiewerte sind seit einigen Monaten auf der verhaltenen Seite. Das ist nicht das Ende des langfristigen High-Tech-Aufschwungs, aber diese Pause kann sich durchaus noch einige Monate hinziehen.

Schon im Frühjahr haben US-Aktien ein wichtiges Kaufsignal gegeben, das in WirtschaftsWoche 21/2016 frühzeitig vorgestellt wurde. Im Brexit-Crash ging es dann noch einmal auf die 200-Tage-Linie hinab, die inzwischen wie aus dem Lehrbuch nach oben dreht – und seitdem steigen US-Aktien.

Der Mix für Aktien stimmt in den Vereinigten Staaten. Das Zinsniveau ist niedrig, aber nicht so wirtschaftsfremd wie in Europa. Die regulative Funktion der Zinsen bleibt damit erhalten – und im Falle eines Falles könnte die Notenbank die Zinsen auch wieder senken. Sie hat mehr Spielraum als die EZB, die nur noch mit exzeptionellen Maßnahmen ihre Geldpolitik am Laufen hält.

Sichere und rentierliche Investments nach dem Brexit

Die Wirtschaft in den USA befindet sich weiterhin in einer moderaten Aufwärtsbewegung. Es wird oft darauf hingewiesen, dass die US-Unternehmen ihre Gewinne gar nicht mehr wirklich erhöhen würden. Diese Perspektive erfasst die Dow-Werte nicht angemessen. Klassiker wie Johnson & Johnson, Pfizer, McDonald’s oder Coca-Cola kommen in ihrer Expansion durchaus voran. Nicht spektakulär und auch nicht immer mit neuen Quartalsrekorden, aber sie entwickeln sich positiv auf hohem Niveau. Apple und Microsoft müssen zwar vorübergehende Rückschläge hinnehmen, dafür sind sie andererseits nicht mehr überteuert. Und IBM oder Exxon sind mittlerweile sogar Turnaround-Werte.

Was macht die Fed?

Für US-Aktien gibt es zwei Unsicherheiten: Erstens die Zinspolitik. Sollte sich die Tendenz am Arbeitsmarkt weiter verfestigen, könnte die Fed in den nächsten Wochen einen kleinen Schritt nach oben vornehmen. Allerdings dürften sich hierbei die Brexit-Folgen bremsend auswirken, da die USA kein Interesse daran haben, dem Dollar gegenüber Pfund Sterling und Euro weiter Auftrieb zu geben. Auch die abermals nicht überschäumende chinesische Wirtschaft dürfte die Falken am Boden halten. Nachdem die amerikanische Zinspolitik in den vergangenen Monaten aus der Sicht der Märkte durchaus erfolgreich war, ist nicht zu befürchten, dass sich dies in den nächsten Monaten ändert.

Die zweite Unsicherheit ist die Präsidentschaftswahl. Auch wenn ein Sieg von Trump in den USA wahrscheinlich nicht die Folgen hätte, die man in Europa fürchtet, dürften die amerikanischen Asset-Märkte lieber eine Präsidentin Clinton sehen. Das Trump-Risiko ist für die Märkte damit nicht eliminiert, doch deshalb jetzt auf schwache US-Aktien zu setzen, ist wenig sinnvoll. An dieser Stelle sei die Prognose gewagt, dass Clinton die Wahl gewinnt.  

Die Brexit-Folgen sind keineswegs vom Tisch - im Gegenteil

Im Fahrwasser der starken US-Entwicklung hat der Dax die Marke von 10.000 Punkten wieder genommen. Das ist, wie vor einer Woche hier festgestellt, durchaus ein gutes Zeichen für die nächsten Monate – wenngleich das Thema Brexit an den Börsen damit keineswegs schon Vergangenheit ist.

Bisher hat der Dax noch nicht einmal nicht einmal die Kurslücke komplett geschlossen, die er durch den Brexit-Crash am 24. Juni gerissen hat. Am 23. Juni endete der Parketthandel im Dax bei 10257 Punkten, nachbörslich ging es noch ein paar Punkte nach oben. Am 24. Juni setzte der Handel dann mehr als 1000 Punkte weiter unten ein. Der Dax müsste also erst mindestens bis etwa 10250 Punkte steigen, erst dann hätte er das Brexit-Gap geschlossen. Das heißt aber nicht, dass es selbst in einem solchen Fall bruchlos nach oben weiter geht – im Gegenteil. Aus klassischer Sicht ist gerade das Schließen von Lücken oft ein Signal dafür, dass es danach wieder in die andere Richtung geht.

Fundamental werden sich die Folgen des Brexits erst Schritt für Schritt zeigen. Der britische Immobilienmarkt wackelt gewaltig. Das bekommen auch Anleger hierzulande zu spüren – etwa wenn sie einen braven Fonds wie den klassischen Hausinvest im Depot haben. Der ist nämlich keineswegs nur harmlos, denn ein Viertel seiner Assets steckt in britischen Immobilien.

Zur Entwarnung wird gern darauf hingewiesen, dass britische Aktien nach dem Brexit doch so deutlich gestiegen seien. Das ist richtig, aber nur, wenn man den Gesamtdurchschnitt FTSE 100 nimmt. Die Entwicklung einzelner Aktien ist aber sehr unterschiedlich: Immobilienpapiere stehen weiterhin massiv unter Druck, Banken sind reihenweise angeschlagen. Manche Kurskurven sehen so desaströs aus wie in der Finanzkrise 2008/2009. Das ist kein vertrauenserweckendes Umfeld, vor allem nicht für Banken auf dem europäischen Festland.

Kräftig gestiegen sind die Gewinner des schwachen Pfunds. Und da die meisten britischen Unternehmen, die großen börsennotierten zumal, weltweit ausgerichtet sind, hat sich diese Schwäche unterm Strich für den britischen Aktienmarkt positiv ausgewirkt. Noch nicht ausgewirkt haben sich dagegen die möglichen Hemmnisse im Handel mit der EU. Denn faktisch gilt nach wie vor die bisherige Ordnung nach EU-Regeln. Und auch mögliche Umzüge und Investitionsentscheidungen werden sich erst Schritt für Schritt in hochgerechneten Zahlen niederschlagen.

Mit anderen Worten: Derzeit profitieren die britischen Unternehmen erstens vom schwachen Pfund und zweitens von den derzeit weiter bestehenden alten Handelsmöglichkeiten mit der EU. Dieser doppelte Vorteil macht aus dem britischen Aktienmarkt zunächst einen Gewinner. Diesen doppelten Vorteil wird es für die Briten aber nicht auf Dauer geben. Die negativen Folgen für britische Unternehmen werden erst in den nächsten Monaten oder Jahren sichtbar.

Nicht der Gesamtmarkt ist robust, sondern nur die defensiven Klassiker

Auch im Dax sieht es hinter der reinen Kurskurve bisher allenfalls gemischt aus. Im Grunde gibt es nur eine Aktie, die sich in einem lupenreinen, langfristigen Aufwärtstrend nach oben entwickelt: Adidas. Analytisch ist das Papier schon seit Monaten teuer; ob der außergewöhnliche Anstieg eventuell mit Aufkäufen zu tun hat, ist eine offene Frage. So gut wie der Adidas-Kurs läuft das Adidas-Geschäft nun auch wieder nicht.

Dahinter gibt es im Dax sieben Aktien, die man in einer moderaten und intakten Aufwärtsentwicklung sehen kann: Beiersdorf, Fresenius und FMC, HeidelbergCement, Infineon, SAP und Vonovia. Bei diesen Unternehmen lässt sowohl die geschäftliche Entwicklung als auch der Kurs weiteren Zuwachs erwarten. Die Gefahr einer Abwärtswende besteht hier aktuell nicht.

Interessant sind derzeit im Dax einige Aktien, die eine deutliche Korrektur hinter sich haben, nun aber klare Anzeichen einer Erholung zeigen. Das Chance-Risiko-Verhältnis ist hier positiv: Henkel, Merck, BASF, Deutsche Post und – eigentlich schon als Turnaround – Daimler. Henkel wird von der strategischen Erweiterung seines Konsumchemiegeschäfts getrieben, Merck von der Pharma-Hoffnung, BASF von der langsamen Erholung des Ölpreises, die Post hat ihre technischen Probleme im ersten Halbjahr überwunden, und Daimler steht vor einem fundamentalen Unternehmensumbau – und auch operativ läuft es bei den Stuttgartern gut.

So gesehen lassen sich 13 Aktien von 30 derzeit auf der positiven Seite einordnen. Das heißt nicht, dass die anderen nicht auch ein paar Tage steigen können. Siemens etwa hält sich robust im Bereich um 90 Euro, ProSiebenSat.1 ist antizyklisch interessant und hochrentabel. Doch kurstechnisch kann es einige Monate dauern, bis sich bei diesen Aktien der langfristige Aufschwung fortsetzt.

Fazit für den Gesamtmarkt: Die Erholung in Dax wird nicht von nachhaltigen Trends seiner großen Werte getragen sondern ist im Grunde zwei Tendenzen zu verdanken: Der robusten Verfassung der klassischen Defensivwerte und der Zugkraft des Dow Jones. Um den Dax nachhaltig nach oben zu drehen, bedarf es mehr; vor allem müssten dazu die klassischen Indexschwergewichte (Bayer, Allianz, SAP, Siemens, Daimler) deutlicher anziehen.

Kurzfristig wird sich der Dax bei 10.100 Punkten an der 200-Tage-Linie schwerer tun. Ein Rückfall bis auf 9800 wäre kein Problem, spätestens von da aus sollte er dann aber einen neuen Anlauf starten.

Entwarnung gibt es erst, wenn der Dax 10.300 Punkte, besser noch 10.500 Punkte nach oben überschreitet. Das wird nicht einfach werden in den nächsten, traditionell wackligen Ferienwochen. Und dann steht von Ende August bis September auch noch die gefährlichste Phase des Jahres an. Ob mit oder ohne Briten – die Zitterpartie im Dax ist noch nicht ausgestanden.

 

Hinweis: Der nächste Dax-Radar erscheint erst wieder Ende Juli.

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