Riedls Dax-Radar
Der wilde Dax: Bullenmarkt zum Jahresende 2016. Quelle: Getty Images

Von der Impfstoff-Hoffnung zur Aktienrally

Industrieaktien schaffen ihr Comeback, Technologieaktien kommen wieder, Finanzwerte stabilisieren sich. An den Börsen entsteht ein positiver Mix, der den Aktienmärkten mittelfristig neues Kurspotenzial eröffnet.

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Nach den ersten, schnellen Bewegungen auf die Nachrichten von neuen Impfstoffen erfolgt nun eine Beruhigung. Das gilt besonders für die Anleihemärkte. Hier hatte es in den vergangenen Wochen den stärksten Renditeanstieg seit Frühjahr gegeben. In Amerika sind die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen fast bis auf ein Prozent gestiegen. Seitdem bröckeln sie wieder ab, aktuell liegen sie bei 0,83 Prozent erreicht. Bei Bundesanleihen gab es einen Anstieg von minus 0,65 auf minus 0,53 Prozent. Nun haben sie sich bei minus 0,57 Prozent eingependelt. 

Bemerkenswert dabei ist die unterschiedliche Tendenz. Während die Renditen in den USA seit August schrittweise zulegen, gehen sie in Deutschland eher zurück. Hinter dieser Divergenz dürfte nicht nur die Hoffnung auf eine stärkere Erholung der US-Wirtschaft stecken, vor allem unter einer neuen Regierung. Sie zeigt auch die wachsende Skepsis, mit der Investoren die Entwicklung in Europa generell betrachten. Spannend ist die Frage, ob der Dollar sich in diesem Umfeld wirklich so deutlich abschwächen wird, wie es viele Experten erwarten. 

Die amerikanische Stärke zeigt sich auch in den Aktienindizes. Der Dow Jones hat trotz der jüngsten Beruhigung seinen kompletten Novemberanstieg weitgehend verteidigt. Hinter dieser Stabilität steckt die enorme Bedeutung, die von den Impfstoffergebnissen ausgeht. Erstmals seit Monaten ist damit eine Überwindung der Coronakrise greifbar – selbst wenn bis dahin noch viele Monate vergehen. 

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die aktuellen Schwankungen des Dow Jones zwischen 29.000 und 30.000 Punkten die Startrampe für den nächsten, dynamischen Anstieg bilden. Der könnte dann, ähnlich wie die Kletterpartie von 26.000 auf 30.000 Punkte, bis auf 33.000 oder 34.000 Zähler gehen.

Hightech-Aktien sind stärker als ihr Ruf

Auch die Technologiebörse Nasdaq ist keineswegs, wie vielfach befürchtet, angezählt. Im Nasdaq-100-Index läuft seit September eine klassische Konsolidierung und keine Abwärtswende. Zum einen verlaufen die aktuellen Notierungen deutlich über der 200-Tage-Linie; zum anderen hat sich der Index gerade in den vergangenen Wochen wieder im Bereich um 12.000 Punkte stabilisiert. Nasdaq-Aktien sind keine Verlierer des Impfstoffszenarios. An der fundamentalen Bedeutung der Megatrends Internet, Digitalisierung und neue Energien hat sich ohnehin nichts verändert. Ein deutlicher Anstieg über 12.000 Punkte könnte eine neue, mittelfristige Aufwärtsbewegung starten, die weit über 14.000 Punkte hinausgehen kann. 

Wenn nun die klassischen Aktien als Folge von Impfstoff- und Konjunkturhoffnung in eine vielversprechende Ausgangsposition rücken und auch die Technologiewerte nicht (etwa im Zuge einer Rotation) abkippen, dann entwickelt sich an der Börse ein Szenario, das noch ein enormes Steigerungspotenzial birgt. 

Das zeigt sich auch immer deutlicher im Dax. Durch die Impfstoffrally haben sich die klassischen Industrieaktien (vor allem BMW, BASF, Daimler, Covestro, Siemens und VW) sowie die Versicherer substanziell verbessert. Alle Aktien aus diesen Branchen notieren nun deutlich über ihren mittlerweile steigenden 200-Tage-Linien. Mit anderen Worten: Würde man einen Dax nur aus diesen Werten zusammensetzen, hätte er eine Hausse-Quote von 100 Prozent. 

RWE unter Strom, MTU in der Warteschleife

Dazu kommen vielversprechende Sonderentwicklungen. Bei RWE zahlt sich die Volte hin zum Schwerpunkt erneuerbare Energien immer mehr aus. In den Niederlanden startet RWE ein Großprojekt, um aus Müll Wasserstoff zu gewinnen. Ähnliche Vorhaben gibt es bei anderen Energiekonzernen, etwa der dänischen Orsted oder BP. Das zeigt, dass Wasserstoff in der zukünftigen Energiewirtschaft neben der Stromgewinnung aus Wind und Solar die Hauptrolle spielen wird.

von Jacqueline Goebel, Daniel Goffart, Rüdiger Kiani-Kreß, Hannah Krolle, Jürgen Salz, Heike Schwerdtfeger, Thomas Stölzel, Cordula Tutt, Silke Wettach

Wichtig für Aktionäre: RWE hat sich nicht nur sichtbar als zukunftsträchtiges Unternehmen positioniert, auch die Zahlen werden besser. Im Krisenjahr 2020 steuert RWE auf einen Nettogewinn von etwa einer Milliarde Euro zu. Mit Kursen um 34 Euro haben RWE-Aktien wieder das Top-Niveau von 2020 erreicht. Es sollte nur eine Frage der Zeit sein, bis der Kurs diese Hürde nimmt.

Zu den Dax-Werten, die sich in den vergangenen Wochen besonders deutlich erholt haben, gehört Triebwerksspezialist MTU Aero Engines. Immerhin, der Geschäftsverlauf von MTU ist keineswegs so schwach, wie man angesichts der Krise in der Luftfahrtbranche befürchten könnte. Das gesamte Auftragspolster hat sich seit Jahresanfang fast gehalten. MTU profitiert vor allem vom Comeback der asiatischen Märkte und von der Tatsache, dass energiesparende und umweltfreundliche Triebwerkstechnik, zentrale Produkte von MTU, gerade angesichts der Krise gefragt sind. Allerdings, selbst die MTU-Manager gehen davon aus, dass es noch mehrere Jahre dauern wird, bis das Geschäft wieder Vorkrisenniveau erreichen wird. Ein vorübergehender Rückgang der Aktie in den Bereich 180 bis 160 Euro wäre eine Kaufgelegenheit. 

Ungewöhnlich schwach ist derzeit die Aktie der Deutschen Börse. Dahinter steckt immer noch die Enttäuschung des Marktes, dass es bisher nicht zu einer großen, übergreifenden Fusion gekommen ist. Dabei kommt die Deutsche Börse durch Übernahmen sehr wohl voran, wie gerade der milliardenschwere Kauf des Analyse- und Datendienstleisters ISS zeigt. Über die indirekte Beeinflussung von Investoren geht die Bedeutung des Deals hinaus über den reinen wirtschaftlichen Vorteil, der im operativen Geschäft erst einmal bei zweistelligen Millionengewinnen liegen dürfte. Den Aktien der Deutschen Börse sollte dies im Bereich zwischen 120 und 140 Euro zu einer Bodenbildung verhelfen. 


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Fazit für den Dax: Die Aussicht auf eine Überwindung der Coronakrise und die Hoffnung auf eine konjunkturelle Erholung beflügeln immer mehr Einzelwerte. Alle großen Indizes haben sich in den vergangenen Wochen aus der kritischen Absturzzone befreit. Kurzfristig sind nach wie vor Schwankungen möglich, die den Dax durchaus noch einmal unter 13.000 Punkte drücken könnten. Solange der Dax aber nicht unter den Bereich um 12.500 rutscht, ist das positive Szenario intakt. Die Chancen, dass der Leitindex in diesem Jahr doch noch einen positiven Abschluss findet (dazu müsste er über den 2019er Schlussstand von 13.249 Punkte klettern), stehen also gut.

Mehr zum Thema: Die Euphorie ist groß, eine Zeit ohne Covid-19 scheint greifbar nahe zu sein. Doch zu viele Fragen rund um den Impfstoff sind noch ungeklärt.

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