Riedls Dax Radar
New York, Shanghai, Frankfurt: An den Börsen rund um die Welt geht es abwärts. Quelle: imago images

Weltbörsen auf Rezessionskurs

Erst der Inflationsschock, nun hat die Angst vor dem Konjunkturabsturz die Börsen im Griff. Immerhin gibt es genau deshalb Signale, wann die Baisse an den Aktienmärkten enden könnte. 

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Die Börse in Schanghai macht etwas vor, das auch dem Dax den Weg aus dem Tief zeigen könnte: Mit einem Stand von 3350 Punkten hat der Schanghai Composite Index den seit Januar laufenden Abwärtstrend überwunden und ist bis an den unteren Rand seiner mittelfristigen Schwankungen vorgedrungen. Nächstes Ziel wäre die 200-Tagelinie um 3400 Punkte. Im Dax, dessen struktureller Verlauf ähnliche Schwünge aufweist wie der chinesische Leitindex, entspräche dies einem Anstieg bis auf 15.000 Punkte. 

In China hat sich die Wirtschaft nach dem Absturz im April wieder stabilisiert. Im Mai legte die Industrieproduktion um 0,7 Prozent zu; im Juni dürfte sich der Aufwärtstrend dank staatlicher Hilfen sogar beschleunigt haben. Die Investitionen ziehen an. Der Einzelhandel ist zwar weiter schwach, hier macht sich vor allem die harsche Lockdownpolitik bemerkbar; mit 6,7 Prozent aber fiel der Umsatzrückgang im Mai weniger heftig aus als befürchtet. Wirtschaft und Börse in China zeigen Muster einer moderaten, aber aussichtsreichen Erholung. Krönendes Signal dafür wäre es, wenn der Schanghai Composite Index in den nächsten Wochen den Sprung über die wichtige Kurszone um 3400 Punkte schafft. 

Von chinesischer Power sind die Wertpapiermärkte der westlichen Industrieländer weit entfernt. In den USA steuern die Börsenindizes auf die größten Halbjahresverluste seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre zu. Bei US-Staatsanleihen gar – das haben die Analysten der Deutschen Bank herausgefunden – sind die Verluste so hoch wie seit 1788 nicht mehr; also der politisch und wirtschaftlich turbulenten Phase um die Verfassungsbildung der damals erst entstandenen jungen USA und der Wahl zum ersten Präsidenten George Washington. 

von Malte Fischer, Silke Wettach, Bert Losse, Christian Ramthun, Dieter Schnaas, Cornelius Welp

Notenbankchef Jerome Powell bezeichnet die US-Wirtschaft derzeit zwar immer noch als robust. Die Zweifel aber wachsen, ob angesichts der geplanten massiven Zinserhöhungen nicht doch eine harte konjunkturelle Landung droht. Die Bank of America taxt die Wahrscheinlichkeit einer bevorstehenden Rezession auf 40 Prozent.

Der Dow Jones konnte sich zwar in den vergangenen Tagen nach seinem Abtauchen unter die Marke von 30.000 Punkten erholen; an der seit April vorherrschenden Abwärtsdynamik aber hat sich nichts geändert. Mehr noch: Gerade der schwache Juni des Dow Jones, in dem besonders die konjunkturnahen Werte Caterpillar (Baumaschinen) und die Ölkonzerne Chevron und Exxon schwer unter Druck gerieten, ist ein Omen für eine bevorstehende Rezession.

Noch drückender ist die Entwicklung hierzulande. Dass Deutschland wegen seiner hohen Energieabhängigkeit von Russland durch den Ukrainekrieg und dessen Folgen schwer getroffen wird, ist an den Märkten seit Monaten klar. Doch dass sich die Versorgungslage jetzt so gefährlich zuspitzt, war bisher nicht auf der Rechnung.

Massive Produktionsausfälle in der Industrie und enorme neue finanzielle Belastungen der ohnehin schon in die Enge getriebenen Verbraucher könnten nun sogar zu einem regelrechten Absturz der Wirtschaft führen. Besonders schwach sind derzeit konjunkturnahe Aktien im Umfeld Chemie (BASF, Covestro, Brenntag, Henkel), Fahrzeuge (Daimler Truck), Industrie (Siemens) und zunehmend auch Finanzen (Deutsche Bank, Allianz).

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Konjunkturelle Warnsignale kommen auch von den meist weniger beachteten Barometern mittlerer und kleinerer Aktien hierzulande. Der M-Dax, in dem zahlreiche klassische Industriewerte, Anlagen- und Maschinenbauer stecken (Dürr, Aurubis, Fuchs Petrolub, GEA, Jungheinrich, Kion), dazu zahlreiche Immobilienaktien (Aroundtown, Deutsche Wohnen, Grand City Properties), ist auf den Stand von 2020 zurückgefallen. Angesichts der jüngsten Abwärtsdynamik könnten schnell weitere zehn Prozent Verlust dazu kommen. Noch schlimmer hat es den Spezialwerteindex S-Dax erwischt, der mittlerweile schon über 30 Prozent vom Hoch verloren hat.

Hoffnung am Zinsmarkt: Die Inflationsangst könnte ihren Gipfel erreichen

Immerhin, die zunehmenden Rezessionsgefahren haben für die Märkte einen positiven Nebeneffekt: Die zuletzt heftige Inflationsangst tritt langsam in den Hintergrund. Der Hauptpreistreiber Rohöl driftet derzeit in Richtung 100 Dollar je Fass ab. Am Kupfermarkt kam es seit März zu einem Preiseinbruch von 25 Prozent; die seit dem Ukrainekrieg besonders beachteten Weizenpreise gingen binnen vier Wochen um 27 Prozent zurück. Die Chancen wachsen, dass die Inflationsdynamik in den nächsten Wochen ihren Höhepunkt erreichen könnte. 

Rezessionsfurcht und ein möglicher Inflationspeak haben die Zinsen an den Anleihemärkten seit kurzem deutlich sinken lassen. In den USA sind die Renditen der taktgebenden zehnjährigen Staatsbonds binnen weniger Tage von 3,5 Prozent auf 3,0 Prozent zurück gekommen. Die Renditen für zehnjährige Bunds sind in der gleichen Zeit von 1,8 auf bis zu 1,3 Prozent gesunken.

Beides dürften zwar zunächst vor allem technische Reaktionen auf den vorangegangenen Anleihecrash sein. Doch sollte sich die Rezessionsperspektive verfestigen, und zugleich die Inflation nicht noch einmal in neue Höhen vorstoßen, dürften die Anleihemärkte erst einmal das Schlimmste hinter sich haben. Für die Aktienmärkte könnte sich daraus dann im zweiten Halbjahr der Boden für die Kurse entwickeln.  

Fazit für den Dax

Die Inflationsdynamik dürfte nahe an ihrem Hoch sein; wie tief die Konjunktur nun abkippt, ist aber noch ziemlich offen. Dass die Märkte die Risikoverschiebung von der Inflation zur Rezession schon verarbeitet haben, ist angesichts der hohen Abwärtsdynamik derzeit eher unwahrscheinlich.

Wie dies ablaufen könnte, dafür gibt es ein klassisches Muster: Die Aktienmärkte eskomptieren die konjunkturelle Entwicklung und erreichen dann ihren Tiefpunkt, wenn die Rezession faktisch eintritt.

Im ersten Quartal 2022 hatte die deutsche Wirtschaft noch zugelegt: plus 3,7 Prozent zum Vorjahresquartal, plus 0,2 Prozent zum direkten Vorquartal. Sollten nun das Frühjahresquartal und das Sommerquartal schwächer ausfallen, würde zum September dann nach zwei rückläufigen Quartalen faktisch Rezession bestehen. 

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Verlaufen die Börsen nach klassischem Muster, könnten sie im September ihr Tief erreichen und von da aus wieder nach oben drehen. Dieses Zeitschema würde sowohl zum statistisch schwachen Börsenmonat September passen wie auch zum kurstechnisch theoretischen Abwärtspotenzial, das sich aus der bisherigen Baisse-Entwicklung seit Januar ableiten lässt (siehe Dax-Radar vom 17. Juni 2022) und das bis in den im Bereich um 11.500 Punkte geht. Bis dahin signalisiert die erhöhte Volatilität des Marktes weiterhin heftige Schwankungen – zwischen Panikattacken und Hoffnungsläufen.

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