Riedls Dax-Radar
Giuseppe Conte Quelle: dpa

Zittern um Italien, den Euro und die Deutsche Bank

Politische Risiken drücken den Dax, immer mehr Industrieaktien kippen ab. In den nächsten Wochen kommt es darauf an, dass der Aktienmarkt möglichst das Niveau um 12.500 bis 12.700 verteidigt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wenn der Dax in zwei Tagen 400 Punkte verliert, sollte das kein Anleger auf die leichte Schulter nehmen. Das war, von Dienstag bis Donnerstag der abgelaufenen Woche, der stärkste Verlust, seit der Dax Ende März seine Zwischenerholung startete.

Anlass der Turbulenzen ist die Entwicklung in Italien. Dass Italien hohe Schulden mit sich schleppt und nach Griechenland gemessen an der Wirtschaftsleistung den größten Schuldenberg hat, ist zwar nicht neu, wird aber durch die aktuelle politische Konstellation zum Problem. Für Anleger hat das mehrere, gefährliche Facetten:

Italien ist eine der großen Volkswirtschaften in Europa und hat damit eine andere Dimension als die Krise um Griechenland. Das Italien-Problem lässt sich wegen der Schuldenhöhe in absehbarer Zeit weder finanziell lösen, noch zeichnet sich angesichts der schwierigen Regierungsbildung eine politische Lösung ab. Von der Vorbildfunktion für Wackelkandidaten – gerade im Umfeld der Brexit-Verhandlungen – ganz abgesehen.

Wie brisant die Situation ist, zeigt sich an den Währungsmärkten. Der Euro hat mittlerweile die gleiche Abwärtsdynamik erreicht wie in seiner großen Baisse im Frühjahr 2014 bis zum Frühjahr 2015. Damals verlor er gegenüber dem Dollar in einem Jahr ein Viertel seines Werts. Soweit muss es jetzt nicht kommen, dennoch signalisieren die in der Regel feinfühligen Währungsmärkte, dass Euro-Land auf eine virulente Krise zusteuert.

Das zweite Risiko, das für den deutschen Aktienmarkt immer gefährlicher wird, ist das problematische Verhältnis zu den USA. Für den Dax ist das eine mehrfache Hypothek. Nordamerika ist für viele Unternehmen ein großer Markt, der nun sehr unsicher geworden ist. Die Relation Euro zu Dollar schlägt sich im internationalen Geschäft sofort nieder, der Austausch von Rohstoffen findet praktisch komplett im Dollar statt. Wenn die Zinspolitik USA versus Europa immer weiter auseinanderdriftet, wächst das Risiko von Währungsturbulenzen bis hin zu einer neuen Schwellenländerkrise. Und wenn die Politik der USA zu einem neuen Kalten Krieg mit Russland und weiteren Ölpreisturbulenzen führt, werden das deutsche Unternehmen früher oder später sehr konkret zu spüren bekommen.

Industrieaktien angeschlagen, Versicherungen korrekturbedürftig

In der gesamten Erholungsphase seit Ende März hat der Dax die aufkommenden politischen Risiken relativ gut weggesteckt. Dass der Markt aber nicht in seiner vollen Breite nach oben zog, sondern nur von einigen führenden Papieren getragen wurde, zeigte die Brüchigkeit der Erholung. Und das wird für Börsianer nun zum Problem. Denn nachdem der Dax in zwei Monaten um zwölf Prozent zugelegt hat, kommt es jetzt darauf an, dass er von diesem Zwischengewinn so viel wie möglich verteidigt.

Um ein positives Szenario für das zweite Halbjahr zu entwickeln, wäre es gut, wenn der Dax nach einem Gewinn von 1400 Punkten nun nicht mehr als 500 bis 600 Punkte verliert. Das ergäbe ein Korrekturniveau um 12.500 Punkte. Bei 12.700 verläuft schon die 200-Tage-Linie, die seit Anfang Mai wieder leicht nach oben dreht – ein gutes Zeichen. So gesehen wäre es für den späteren Jahresverlauf sogar besser, wenn der Dax in den nächsten Wochen gar nicht unter 12.700 sinkt. Hat er dazu die Power?

Die Hälfte der Dax-Aktien verläuft oberhalb ihrer 200-Tage-Linie, die andere Hälfte darunter. Darin spiegelt sich eine unentschiedene Marktverfassung wider. Relativ gut sehen derzeit die typischen Defensivwerte aus (Adidas, Beiersdorf, Fresenius, FMC, Deutsche Börse) – die aber sind meist wenig repräsentativ für die Ausschläge des Dax. Eine Stütze ist die relative Stärke der Technikaktien SAP und Infineon, auch Siemens lässt sich hier derzeit dazuzählen.

Dennoch, das Gros der Industrieaktien ist angeschlagen, Versicherungen sind reif für eine Korrektur, die Banken zeigen nach unten. Bei Daimler sorgen neue Abgasvorwürfe für abermals gedrückte Kurse. Die Deutsche Lufthansa, ein Überflieger des vergangenen Jahres, reagiert sensibel auf Handelsrisiken und teure Treibstoffpreise. Für den Gesamtmarkt dürfte es in den nächsten Wochen schwierig werden, das wichtige Niveau zwischen 12.500 und 12.700 Punkten zu verteidigen. Wenn das nicht gelingt, kann es schnell in Richtung 12.000 und darunter gehen.

Die Schwünge im Dax verlaufen in diesem Jahr nach klassischem Muster: Starker Januar, Abschwung bis März und neuer Anstieg bis Mai. Geht es nach diesem Fahrplan weiter, käme zunächst eine indifferente Sommerpause mit leichter Stabilisierung von Juli bis August – bevor es dann in die gefährlichen Monate September und Oktober ginge.

Wende-Spekulationen um die Deutsche Bank

Zwei Sonderfälle im Dax werden in den nächsten Monaten risikofreudige Anleger wie ein Magnet anziehen: Die Deutsche Bank und Thyssenkrupp.

Bei der Deutschen Bank haben die ersten Sanierungsankündigungen überhaupt keine positiven Kursreaktionen hervorgerufen. Das zeigt die gesamten Enttäuschungen, die Anleger nach zahlreichen Wendeversprechen mit der Aktie bisher erlebt haben.

Die aktuelle Schwäche des Kurses bedeutet aber nicht automatisch, dass es auch dieses Mal wieder schiefgeht. Ganz im Gegenteil: Nach dem Prinzip des Antizyklischen wäre die Desillusionierung der Anleger der beste Nährboden für einen erfolgreichen Turnaround.

Die spannendsten Aktien im Dax

Das größte Risiko für Aktionäre der Deutschen Bank besteht darin, dass in dem Moment, in dem die Sanierung zu scheitern droht, der Staat zur Rettung einsteigen dürfte. Dass die Bundesregierung die Deutsche Bank pleitegehen ließe, ist mit Blick auf die wirtschaftlichen Folgen und das Beispiel der Commerzbank schlichtweg undenkbar. Auf der anderen Seite hat gerade der Fall der Coba gezeigt, dass dann letztlich freie Aktionäre über die Verwässerung ihrer Anteile die Zeche bezahlen. Die Angst davor ist ein wesentlicher Grund für die Schwäche der Deutschen-Bank-Aktie.

Die Deutsche Bank kündigt die Streichung von rund 10.000 Stellen an. Das zeigt, wie tief die Sanierung geht und dass sie um jeden Preis aus eigener Kraft erfolgen soll. Das wiederum ist ein Indiz dafür, dass der Turnaround in den nächsten Monaten langsam Form annehmen könnte, womöglich zu Kursen zwischen neun und 15 Euro.

Eine Zerlegung von Thyssenkrupp wird immer wahrscheinlicher

Bei Thyssenkrupp ist nun Paul Singer mit dem Hedgefonds Elliot eingestiegen, bisher offiziell mit weniger als drei Prozent. Zusammen mit den 18 Prozent des schwedischen Finanzinvestoren Cevian wären das schon rund 20 Prozent. Das sind noch keine 25 Prozent, mit denen beide eine Sperrminorität aufbauen und wichtige Beschlüsse des Vorstands blockieren könnten. Doch erstens wäre eine entsprechende Aufstockung nicht allzu teuer, und zweitens werden nun die Befürworter einer Thyssen-Aufspaltung so oder so neue Nahrung erhalten.

Und das bedeutet: Sollte sich das von der bisherigen Führung geplante Zusammengehen mit dem europäischen Geschäft von Tata nicht auszahlen, dürfte die Stimmung auch bei bisher friedlichen Anlegern kippen. Thyssenkrupp in seiner bisherigen Form könnte dann schneller Geschichte sein als jetzt noch angenommen. Dass sich beide Finanzinvestoren, Cevian und Singer, nun wieder aus Thyssen zurückziehen, ist ziemlich unwahrscheinlich geworden. Damit läuft die Spekulation.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%