Riedls Dax-Radar
Es knirscht im Aufwärtstrend: Ausgerechnet Continental, einer der Favoriten im Dax, überrascht mit einer Gewinnwarnung. Quelle: imago images

Zwischenerholung auf wackligen Beinen

Kurzfristig hat der Dax noch Luft bis in Richtung 13.000 Punkte. Doch die Risiken um Zinsen, Inflation und politische Turbulenzen steigen. Auch Gewinnenttäuschungen wie die von Continental könnten zunehmen.

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Die deutsche Wirtschaft ist auf gutem Weg. Um 2,2 Prozent, so die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, dürfte die Konjunktur in diesem Jahr zulegen. Im nächsten Jahr sollen es dann 2,0 Prozent werden. Für die Börsen wäre eine so wohltemperierte Wirtschaft ein gutes Umfeld: Stark genug, damit nicht gleich die nächste Rezession um die Ecke kommt; aber auch nicht so stark, dass gleich eine Überhitzung droht.

Angesichts der aktuellen Marktbewegungen stellt sich allerdings die Frage, wie treffsicher diese Prognosen sind. Denn Ökonomen, die mögliche Folgen des Handelskriegs zwischen den Großmächten stärker berücksichtigen, machen Abstriche. Und sollten sich an den Rohstoffmärkten die Preisausschläge der vergangenen Wochen fortsetzen, dürfte das bald auf Inflation, Zinsen und Konjunktur durchschlagen.

Immerhin entwickelt sich derzeit die wichtigste Rohstoffkurve überhaupt, der Preis für Rohöl, ganz anders, als vielfach angenommen. Es ist noch nicht lange her, da war es Common Sense von ewig billigem Öl auszugehen. Jede Aufschwungsphase an den Ölmärkten wurde als vorübergehend abgetan – sei es mit dem Argument, dass die Zukunft ohnehin elektrisch und digital sei, oder mit dem Hinweis auf die Produktion aus amerikanischem Schiefergestein, die früher oder später wieder den Preis dämpfe. Und dann natürlich der Papiertiger Opec. Sie sei, so die Skeptiker, nur noch ein Schatten vergangener Glorie aus den Siebzigern.

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Doch nun hat der Preis für ein Fass Brent mit knapp 74 Dollar den höchsten Stand seit vier Jahren erreicht. Weder die aktuelle Dynamik des Preisaufschwungs noch die Höhe der Reserven oder die Situation bei Angebot und Nachfrage deuten auf eine schnelle Entspannung hin. Mehr noch: Es sieht ganz danach aus, dass die Opec gemeinsam mit den Russen daran interessiert ist, die Förderung über das Jahr 2018 hinaus zu drosseln. Auf der anderen Seite ist von einer Verringerung des Konsums, wie vielfach angenommen, weit und breit nichts zu spüren. Das große Verbraucherland China hat in den ersten Monaten dieses Jahres abermals deutlich mehr Rohöl importiert. Die Internationale Energieagentur rechnet damit, dass der weltweite Ölverbrauch in diesem Jahr einen neuen Rekord erreicht. Mittelfristig könnte sich der Ölpreis damit im Bereich 70 bis 85 Dollar einpendeln; langfristig sind auch dreistellige Notierungen nicht auszuschließen.

Öl ist nicht der einzige Rohstoff, der teurer wird. Regelrecht durch die Decke ist der Preis für Aluminium gegangen. Um 25 Prozent sind die Notierungen hier in wenigen Tagen wegen der neuen amerikanischen Zölle gestiegen. Einen solchen Preissprung hat es auf diesem Markt seit zehn Jahren nicht mehr gegeben. Aluminium ist einer der zentralen Werkstoffe der modernen Industrie, damit wird es reichlich Folgewirkungen geben.

von Christof Schürmann, Georg Buschmann

Prognosen von robuster Konjunktur auf der einen Seite, anziehende Rohstoffnotierungen auf der anderen, und das Ganze im Rahmen einer extrem großzügigen Geldpolitik. Ein solcher Mix wird früher oder später fast zwangsläufig zu mehr Inflation führen. Noch sind die aktuellen Daten hier beruhigend niedrig, in der Eurozone genauso wie etwa in Großbritannien. Allerdings, der IWF warnt davor, dass die Inflation wegen der starken Konjunktur und der noch niedrigen Zinsen schneller als erwartet zurückkommen könnte. Dass die Bondrenditen am US-Kapitalmarkt in den vergangenen Tagen der Drei-Prozent-Marke gefährlich nahegekommen sind, ist ein Warnsignal.

Börsen lassen sich vom Rohstoffrisiko nicht bremsen – bisher

Den Dax haben anziehende Ölpreise und Zinssorgen in den vergangenen Wochen kaum beeindruckt. In einer kontinuierlichen Aufwärtsbewegung hat er im April bisher zunächst das wichtige Niveau um 12.000 Punkte verteidigt, dann das Zwischenhoch von Ende Februar erreicht und steht nun kurz vor der 200-Tage-Linie, die aktuell bei 12.660 Punkten verläuft.

Konjunkturunabhängige Aktien sind gefragt – ein Warnsignal

Es ist keineswegs notwendig, dass der Dax diese wichtige Hürde im ersten Anlauf nimmt. Ein kurzer Rücksetzer, etwa bis in den Bereich um 12.300, wäre durchaus erlaubt. Allerdings, spätestens danach müsste ein dynamischer Anstieg erfolgen, der im Frühjahr dann bis in Richtung 13.000 Punkte gehen könnte. Das wäre, wie vor einer Woche hier beschrieben, das positive Szenario.

Doch es knirscht im Aufwärtstrend. Beispiel Continental: Ausgerechnet einer der Favoriten im Dax überrascht mit einer Gewinnwarnung. Und der Grund ist nicht ein spezielles Versagen von Conti, sondern das Währungsumfeld, schlichtweg der starke Euro. Er versalzt den Hannoveranern das Ergebnis in ihrer wichtigsten Sparte, dem Reifengeschäft.

Wenn aber ein Industriekonzern wie Conti unter dem starken Euro so leidet, dann trifft das auch andere Industriekonzerne im Dax. Es ist deshalb kein Wunder, dass derzeit vor allem die großen Exporteure im Dax weniger gut laufen. Auf der anderen Seite ist ausgerechnet Adidas bombenfest. Adidas ist ein Euro-Gewinner, weil das meiste außerhalb des Euros (günstig) produziert wird, im Euro aber immer noch ein großer Teil (teurer) verkauft wird. Auch wenn das Risiko des starken Euro derzeit nicht im Fokus der Meldungen zum Dax steht, wird sich dieser Effekt immer deutlicher durch die Geschäftszahlen der Dax-Unternehmen ziehen.

Währungsrisiko, Zinsrisiko, politisches Risiko (Handelsstreit und Sanktionen), Marktrisiko (hohe Bewertungen, Hausse im Reifestadium) sind letztlich die Gründe dafür, dass die aktuelle Erholung im Dax holprig verläuft. Selbst wenn sie im positiven Szenario bis 12.900/13.000 Punkte kommen sollte, bräuchte der Markt dann einen fundamentalen Katalysator, um noch viel weiter zu steigen. Das könnte ein überraschend deutlicher Zinsrückgang sein, ein plötzlich wieder schwächerer Euro, unerwartet hohe Gewinnsteigerungen bei den Unternehmen oder auf politischer Ebene eine neue Ära echter Freundschaft – mit anderen Worten: ziemliches Wunschdenken.

Fazit für den Dax: Die Zwischenerholung im Dax ist weiterhin intakt und kurzfristig nicht gefährdet. In den nächsten Tagen sollte sich der Index deutlich über 12.300 halten, in Kürze die 200-Tage-Linie anlaufen, überspringen und dann in Richtung 12.900 ziehen. Je eher ihm vor der Zone um 12.900 die Puste ausgeht, desto größer ist die Gefahr, dass es danach im Sommer oder Spätsommer wieder deutlich nach unten geht.

Bei den Einzelwerten im Dax machen derzeit die Defensiven und wenig industrienahen Werte Boden gut: Allianz ist wieder über die 200-Tage-Linie gekommen, die Münchener Rück glänzt mit hoher relativer Stärke. Beide sind übrigens Gewinner steigender Zinsen. FMC und Merck könnten vom langsamen Comeback der Pharmabranche profitieren – wenn es denn kommt. Bei Merck ist der Verkauf der rezeptfreien Medikamente ein Vorteil, auch wenn der Erlös nicht ganz so hoch ausfiel, wie es sich die Darmstädter ausgemalt hatten. Dass hier mittlerweile die Realität wieder Einzug hält, kann man als Marktbereinigung interpretieren.

Insgesamt verlaufen derzeit bei 13 Dax-Werten die aktuellen Notierungen oberhalb der 200-Tage-Linie. Das ist eine Hausse-Quote von nur 43 Prozent. Ein solcher Wert ist weit von einem robusten Aufwärtstrend entfernt; hier liegt diese Quote bei über 70 oder 80 Prozent. Die fehlende Marktbreite ist für den Gesamtmarkt ein Schwächesignal. Die aktuelle Erholung steht damit auf viel wackligeren Beinen als etwa die Aufschwungsphase im vergangenen Herbst.

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