João Tavares lenkt einen Pick-up über die Kopfsteinpflasterwege seiner Kakaofarm São Pedro im Nordosten Brasiliens. Wenn er aus dem Fenster schaut, kann er den Fortschritt der Ernte kontrollieren. Arbeiter schlagen mit Macheten die Früchte von den vier Meter hohen Kakaobäumen, die im Schatten von Urwaldriesen stehen. „Vor zehn Jahren musste ich fast komplett neu anfangen, ein Pilz hatte die Ernte dezimiert“, sagt Kakaofarmer Tavares. Noch immer kämpft er mit den Folgen: Wo sein Vater in den Fünfzigerjahren auf 1000 Hektar bis zu 1000 Tonnen Kakaobohnen im Jahr produzierte, erntet der 50-Jährige heute auf einem Drittel der Fläche nur noch 90 Tonnen. Von den glorreichen Fünfzigern sind nur die gepflasterten Wege übrig, auf denen Maultiere Körbe mit Kakaobohnen zur Tavares-Farm bringen.
Als sein Vater die Farm gründete, war Brasilien noch weltgrößter Kakaoexporteur, heute gehen allenfalls noch wenige Hundert Tonnen auf den Weltmarkt. Ein Teil davon immerhin stammt von Tavares, der an den belgischen Chocolatier Pierre Marcolini verkauft. Von Depression ist denn auch wenig zu spüren: Auf Tavares’ Plantage und auf den benachbarten Farmen geht es geschäftig zu: Schokoladenhersteller kündigen ihre Besuche an; Zwischenhändler wollen neue Kontrakte abschließen. Selbst Finanzinvestoren lassen sich in der Region blicken, was meist davon zeugt, dass es etwas zu verdienen gibt.
So funktioniert der Rohstoffhandel
Bei einem Future-Contract kauft der Investor Rohstoffe nicht an regulären Märkten zu aktuellen Preisen sondern handelt auf Terminmärkten wie der deutsch-schweizerischen EUREX, der Chicago Mercantile Exchange (CME) zu der die Chicago Board of Trade (CBoT) gehört oder der London International Financial Futures Exchange (LIFFE). Hier wird der jeweilige Rohstoff zu einem Termin in der Zukunft gekauft. Der Investor bestellt beispielsweise im Februar Kakao, der im Juli geliefert werden soll.
Spot-Geschäfte mit ihren kurzen Erfüllungsfristen sind das Pendant zu den Terminmärkten. Zwischen Bestellung und Lieferung liegen maximal zwei Börsentage. Der Spot-Preis ist dementsprechend der Preis, den Händler kurzfristig für den jeweiligen Rohstoff zahlen beziehungsweise erzielen. Bei Kassa-Preis dagegenhandelt es sich um den aktuellen Preis von Finanztiteln.
Die Costs of Carry bei Rohstoffen setzen sich beispielsweise aus Lager- und Speditionskosten zusammen. Der Wert eines Future-Kontrakts besteht aus dem Kassa-Preis, also dem bei Vertragsabschluss herrschendem aktuellen Kakaopreis, und den Costs of Carry. Deshalb liegen die Future-Preise bei Termingeschäften anfangs meist über den Kassa-Preisen. Wenn ein Investor im März Kakao für Dezember bestellt, entstehen schließlich Lagerkosten für neun Monate. Er zahlt also den aktuellen Preis plus die Lager- und Speditionskosten. Der Händler kann die Lagerkosten aber über die neun Monate hinweg abschreiben - je näher der Liefertermin rückt, desto stärker nähert sich der Future-Preis dementsprechend wieder dem Kassa-Preis an.
Der Nearby-Future ist der Rohstoff-Kontrakt mit der kürzesten Fälligkeit. Das Gegenteil, also der Future-Kontrakt mit der längsten Laufzeit, heißt dagegen Most-Distant-Futures-Contract.
Wer direkt in Rohstoffe investieren will, kauft statt einer Aktie oder eines Zertifikats einen Future-Kontrakt mit einer bestimmten Laufzeit und einem Erfüllungszeitpunkt. Der Erfüllungszeitpunkt ist nichts anderes als der Liefertermin. Das heißt, wer ein Kakao-Future mit einer Laufzeit bis Juli 2013 kauft, bekäme im Juli 2013 auch die gekaufte Menge Kakao geliefert.
Ursprünglich ging es bei Warentermingeschäften schließlich um den Kauf physischer Rohstoffe. Mittlerweile sind viele der Kontrakte Spekulationsgeschäfte. Wer nur Geld verdienen und nicht auf zig Tonnen Kakao sitzen möchte, muss also vor Ende der Laufzeit seinen Kontrakt verkaufen und einen neuen mit einem späteren Liefertermin kaufen. Dieser Vorgang nennt sich rollen.
Beim Rollen können Anleger sowohl Gewinne als auch Verluste machen: Wer seinen alten Kontrakt günstig verkauft und den neuen Kontrakt teuer kauft, erwirtschaftet eine negative Rollrendite, macht also Rollverluste. Verkauft er dagegen teuer und kauft billig, fällt die Rollrendite positiv aus, er macht Rollgewinne.
Bei einer Contango-Situation ist der Spot-Preis geringer als der ausgemachte Preis bei Fälligkeit des Future-Kontrakts. Wenn ein Anleger seinen Vertrag in so einer Situation weiterverkauft und in einen Most-Distant-Futures-Contract investiert, kann er Gewinne abgreifen. Wer dagegen bei niedrigem Spot-Preis und hohem Terminpreis seine Kontrakte abstößt und Kontrakte mit nächstmöglicher Lieferzeit kauft (Nearby-Futures) riskiert Verluste.
Das Gegenteil von Contango ist eine Backwardation.
Bei der Bachkwardation-Situation liegt der Preis der Future-Kontrakte unter denen am Kassamarkt. Der Anleger verkauft also vor Liefertermin seinen Kontrakt bei aktuell hohem Preis und kann günstig einen den Nearby-Future erstehen. Er verbucht also Rollgewinne.
Brasiliens Exporteure arbeiten an ihrem Comeback. Brasilianischer Kakao soll wieder an der New Yorker Börse gehandelt werden. Das wäre ein erster Schritt zurück zu alter Größe auf dem Weltmarkt.
Wachsende Lücke
Der Grund für die Renaissance: Knappheit. Laut Internationaler Kakaoorganisation (ICCO) fehlen in diesem Jahr bei einer weltweiten Produktion von 4,2 Millionen Tonnen 38 000 Tonnen Kakao. Und das Defizit werde weiter wachsen. Inzwischen haben auch Mittelschichtsbürger in den Schwellenländern Lust auf Schokolade. Das Research-Institut Euromonitor schätzt, dass allein die Chinesen in diesem Jahr 11,5 Prozent mehr Schokolade kaufen als im Vorjahr, die Inder gar 23,4 Prozent.
Seit Januar 2012 ist der Kakaopreis an der New Yorker Börse von 2115 Dollar je Tonne auf zuletzt 3344 Dollar gestiegen, ein Plus von 58 Prozent. In deutschen Supermärkten war folgerichtig im April die Tafel Schokolade 15,9 Prozent teurer als im Vorjahr. Seit 2012 haben sich die Preise für Milka, Lindt und Co. im Schnitt um 60 Prozent erhöht.
Vieles spricht für weiter steigende Preise: „Wetterextreme verursacht durch die Klimaanomalie El Niño, bedrohen die Ernten im pazifischen Raum“, sagt Jonathan Parkman, Rohstoffanalyst des Londoner Brokers Marex Spectron. El Niño tritt etwa alle vier Jahre auf, zuletzt 2009/10. Stürme und starke Regenfälle in Südamerika sowie Trockenheit in Südostasien und Australien sorgen dabei für Missernten und steigende Agrarpreise. Erste Vorzeichen von El Niño sind bereits erkennbar: So droht Ecuador wegen heftiger Regenfälle 15 Prozent seiner Kakaoernte zu verlieren.
In Ghana, dem zweitwichtigsten Erzeuger, dezimiert Pilzbefall die Ernte, und es fehlen den Kakaobauern Arbeiter, die lieber als Schürfer in den Minen arbeiten. Prognose für die Erntesaison 2014/15: minus 24 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitrum.
Die Folge: Wetten auf einen steigenden Kakaopreis an den Terminbörsen – wo Preiserwartungen, keine physische Ware gehandelt wird – haben den höchsten Stand seit Oktober 2011 erreicht.
Der Einfluss der Finanzmärkte auf den weltweiten Kakaohandel und damit auch auf den Preis der Schokolade wächst.
Hängepartie in der Karibik
Als der Hamburger Kakaomakler Hans-Werner Lembke den Telefonhörer abnimmt, seufzt er. Schon der vierte Anruf aus der Karibik innerhalb von drei Tagen. Ein Exporteur aus Trinidad&Tobago sitzt auf einem Container im Hafen von Port of Spain.
Der Premiumkakao im Container ist schon verkauft. Allerdings steht nur der Aufschlag auf den jeweiligen Börsenpreis für Kakao guter Qualität bereits fest, das Differential. Zuschläge auf den Börsenpreis sind bei Edelkakaos beispielsweise aus Trinidad&Tobago, Ecuador oder Peru üblich. Erst wenn der Container auf dem Schiff ist, muss sich der Exporteur auf einen Börsenpreis festlegen.
Noch spielt der Exporteur auf Zeit, denn der Börsenpreis steigt. „Eigentlich sollte er das Geschäft jetzt eintüten, aber er versucht jeden Dollar mitzunehmen“, sagt Lembke.
Pokerspiel am Markt
Der Geschäftsführer des Maklerunternehmens HCCO kennt den Druck, unter dem Exporteure und Händler stehen. Er selbst hat mehr als 25 Jahre im Kakaohandel gearbeitet. Als Makler vermittelt er jetzt zwischen Exporteuren, Händlern und der Schokoladenindustrie. Lembke berät auch mittelständische Farmer, damit die den richtigen Zeitpunkt für den Verkauf ihrer Ernte nicht verpassen. Eigene Termingeschäfte an der Börse abzuschließen, um Preise abzusichern, lohnt sich für die meisten Farmer wegen der kleinen Mengen nicht.
Auch wenn die Farmer nicht selbst an der Börse aktiv sind, den Einfluss der Finanzmärkte spüren sie doch – über den Preis. „In den vergangenen Jahren hat sich der Markt spürbar verändert“, sagt Lembke, „der Einfluss der Spekulanten ist deutlich größer geworden.“
Mehr Jobs, mehr Schokolade
Börsenhändler Jack Scoville drängt sich um sechs Uhr morgens mit Hunderten anderer Pendler in einen Vorortzug nach Chicago. Kaum hat er einen Sitzplatz ergattert, streichen seine Finger über sein Smartphone, um die neuesten Kurse für Kakao abzurufen. Scoville vermittelt über die Börse Termingeschäfte, mit denen sich Unternehmen aus der Kakaobranche gegen schwankende Preise absichern können. Auch Hedgefonds, die mit Agrarrohstoffen zocken, gehören zu seinen Kunden.
In London, dem nach New York zweitwichtigsten Terminmarkt für Kakao, ist es zwölf Uhr, der Handel ist in vollem Gange: Die Tonne kostet umgerechnet 3060 Dollar. Noch sieht alles nach einem ruhigen Tag aus. Erst als Scoville den Zug verlassen und sein Büro im 13. Stock im Gebäude der Chicagoer Terminbörse erreicht hat, dreht der Markt auf: 3100 Dollar je Tonne. Europa, weltgrößter Abnehmer von Rohkakao, hat überraschend gute Arbeitsmarktdaten gemeldet. Mehr Jobs, mehr Einkommen gleich mehr Nachfrage nach Schokolade.
Der Börsenhandel ist für Exporteure wie für Verarbeiter das wichtigste Preisbarometer. Ernteprognosen, Wetteraussichten, Lagerbestände und die Nachfrage aus der Schokoladenindustrie – all das spiegelt sich im Börsenpreis wider.
Was Anleger bei Kakao-Investments beachten müssen
Wer über Zertifikate oder Futures in Kakao investiert ist, sollte daran denken, dass die Gefahr besteht, einen billigen Kontrakt in einen teureren tauschen zu müssen, der zu einem anderen Zeitpunkt fällig ist.
Der Ertrag einer Kakao-Ernte hängt von diversen Faktoren ab, eine wichtige Rolle spielt das Wetter. Sowohl Überschwemmungen als auch Dürreperioden können zu massiven Ernteeinbußen führen.
Dementsprechend wichtig für Qualität und Ertrag der Ernte ist Wasser. Kommt es - egal ob witterungs- oder konfliktbedingt - zu einer Wasserknappheit, nimmt auch die Kakaoernte Schaden. Dann steigt der Preis.
Rohstoffe wie Kakao oder Kaffee stammen überwiegend aus politisch instabilen Regionen. So sorgten politische Krisen an der Elfenbeinküste, dem weltweit größten Anbieter von Kakao, immer wieder für Preisausschläge.
Wie bei allen anderen Agrarrohstoffen auch, ist die Qualität der Kakaoernte oft abhängig von winzig kleinen Tieren und Organismen. Sind die Pflanzen von Pilzen wie dem sogenannten Hexenbesen oder der Kakaomotte befallen, bringen sie keine gesunden Früchte mehr hervor.
Doch selbst, wenn den Kakaobohnen an sich nichts geschehen ist, sollten Anleger auch an das Risiko des Transports von Südafrika oder Lateinamerika nach Europa denken. Unwetter und Streiks in Häfen können die Reise verlängern und so den Preis beeinflussen.
Gehandelt wird hauptsächlich in New York, das den Dollar-Raum in Südamerika und Asien abdeckt, sowie London, das die in Pfund abgerechneten Preise für Kakao aus Westafrika auslotet.
Scovilles Telefon klingelt im Minutentakt. Inzwischen steht Kakao bei 3120 Dollar. 60 Terminkontrakte über 600 Tonnen im Wert von zwei Millionen Dollar setzt Scoville um; für ihn ein überdurchschnittlich guter Tag. Bis zum Handelsschluss in den USA legt Kakao um rund 60 Dollar je Tonne zu.
„Mitunter passiert tagelang gar nichts, und dann kommt die eine Nachricht, die den Markt bewegt, das macht den Job so spannend“, sagt Scoville. Er ist Vize-Präsident der Broker- und Analystenfirma The Price Futures Group, die an der Warenterminbörse Chicago Board of Trade (CBOT) sitzt. An der CBOT werden Industrie- und Edelmetalle, Agrarrohstoffe, aber auch Gas und Öl gehandelt.
Termingeschäfte ohne Lieferung
Was diesen Deals gemein ist: Bei einem Termingeschäft vereinbaren Käufer und Verkäufer, eine bestimmte Menge Kakao für einen vereinbarten Preis zu einem festgelegten Termin zu liefern.
Geliefert wird in der Regel aber nicht.
Der physische Handel mit Kakao läuft parallel zu den Börsendeals. An der Börse wetten Käufer und Verkäufer nur auf den Preis bei Lieferung. So sollen Verluste im physischen Handel mit Gewinnen an der Börse kompensiert werden. Da jede Wette eine Gegenseite braucht, sind Spekulanten wie Hedgefonds oder Banken in diesem Geschäft unerlässlich.
Kakao zieht Spekulanten an, weil der Weltmarkt mit etwa zwölf Milliarden Dollar vergleichsweise klein ist. Zum Vergleich: Bei Weizen ist der Markt 140 Milliarden Dollar schwer. Hinzu kommt, dass 70 Prozent der Ernte aus Westafrika stammen. Schlechte Nachrichten, etwa Bürgerkrieg oder Ebola, sowie gute Nachrichten, etwa optimales Wetter, aus dieser Region, können den Preis in kurzer Zeit kräftig nach oben oder nach unten schnellen lassen. Starke Preisschwankungen aber fördern die Wetten der Hegdefonds.
Wettkönig beim Kakao ist der britische Hedgefondsmanager Anthony Ward; Spitzname Schokofinger. Mehrfach versuchte er, Millionengewinne abzuschöpfen, indem er große Mengen Kakao kaufte. Seine Handelsabteilung für Agrarrohstoffe verkaufte er 2013 an die schweizerische Ekom. Das Zocken aber kann Ward nicht lassen. Sein Fonds CC+ wettet nach wie vor auf Kakao und Kaffee.
Gefährlich wird das, wenn ein Hedgefonds versucht, in den physischen Handel einzugreifen, um die eigenen Wetten zu pushen. Ebenso kritisch ist es, wenn Termingeschäfte vorab ausgekungelt werden – zum Schaden übriger Marktteilnehmer. So verurteilte die CFTC im Januar den Kakaokonzern Olam, weil die Handelsabteilungen zweier Tochterunternehmen sich bei ihren Börsendeals abgesprochen haben sollen.
Zehn Paletten für die Börse
Normalerweise haben Finanzinvestoren kein Interesse an physischem Kakao. Sie wickeln ihre Termingeschäfte ab, bevor die Ware ausgeliefert wird. In der Zwischenzeit liegt der Kakao in einem Lager wie dem des Hamburger Logistikers Cotterell. Die an der Börse gehandelten Kakaosäcke sind an den weißen Zetteln an jeder zehnten Palette zu erkennen. Zehn deshalb, weil auf jeder Palette etwa eine Tonne liegen. Zehn Tonnen sind die kleinste Handelsgröße für Kontrakte an der Londoner Kakaobörse. Palettenware wird bis zu 100 Tonnen, Schuttgütware bis zu 1000 Tonnen je Termingeschäft an der Börse gehandelt.
Mehrfach wechselt dieser Kakao den Besitzer, bevor er physisch ausgeliefert wird. Wer an der Börse Kakao kauft, weiß zunächst nicht, woher die Ware stammt. Laut Vorgaben der Londoner Börse sollen die Lagerhäuser in der Nähe der für den Kakaohandel wichtigen Häfen, darunter Amsterdam, Antwerpen, Hamburg und Liverpool, stehen. Der in Europa gelagerte Kakao kommt in einen Pool, der an der Börse gehandelt wird.
„Für die Kakaoverarbeiter ist dieser Pool eine eiserne Reserve für den Fall, dass die im physischen Handel georderte Menge nicht ausreicht“, sagt Thomas Cotterell. Er hat gerade seinen Tesla von der Ladestation genommen und fährt über das Hamburger Hafengelände zu einer seiner sieben Lagerhallen für Rohkakao. Dort schiebt ein Radlader seine mannshohe Schaufel in den mehrere Hundert Tonnen schweren Berg aus Kakaobohnen. Es staubt und knirscht. Die Arbeiter tragen Mundschutz, ihre blauen Overalls sind braun vom Staub. „Kakao ist ein Naturprodukt und immer dreckig“, sagt Thomas Cotterell.
Kakao, Käfer und Maden
Oft bringen die Schiffe mit dem Kakao auch unliebsame Gäste: Maden, Käfer und Würmer. Kakao dürfe daher nur separat gelagert werden, auch wegen des starken Aromas, das sich auf andere Waren übertragen würde. Die Kakaobohnen gehen von der Schaufel des Radladers direkt in einen Container, den Lkws zu den Kakaofabriken bringen.
Solche Fabriken betreibt Barry Callebaut aus der Schweiz. Gegen schwankende Preise an den Rohstoffmärkten wappnen sich die Schweizer so: Sie setzen in der Kalkulation für einen Liefervertrag die bei Abschluss geltenden Rohstoffpreise an. Auf die Preise für Kakaobohnen und andere Rohstoffe schlagen sie ihre Marge drauf. Zwischen Vertragsabschluss und Lieferung vergehen jedoch mehrere Monate. In der Zwischenzeit schwanken die Rohstoffpreise. Callebaut sichert sich daher zusätzlich über Termingeschäfte mit Kakao an der Börse ab.
Den Kakao selbst lagert Callebaut aber nicht bei sich. Das überlässt sie Dienstleistern wie Cotterell. Immer wenn in der Produktion Bedarf ist, rufen die Kakaoverarbeiter Rohkakao im Lager des Logistikers ab. So sparen sie eigene Lagerflächen und können auch außerhalb der Erntesaison Kakao just in time bestellen.
Die größte Schokofabrik der Welt
Im belgischen Wieze steht eines der Werke, in denen Barry Callebaut aus Kakaobohnen die Schoko-Grundmasse produziert. Arbeiter wuchten in einer dunklen Lagerhalle Jutesäcke mit Kakaobohnen von Holzpaletten. Am oberen Ende schlitzen sie die Säcke auf und kippen die Bohnen in große Trichter. In vier Meter langen, silberfarbenen Containern rösten die Arbeiter die Kakaobohnen etwa 20 Minuten lang. „Mit der Schale“, betont Alexandre Bourdeaux, Chef der Schokoladenakademie von Barry Callebaut in Wieze, „das gibt ein besseres Aroma.“
Die größte Schokoladenfabrik der Welt steht in einem Dorf mit etwa 800 Einwohnern. Eng und kurvig sind die Straßen von Wieze, knapp eine Autostunde nordwestlich von Brüssel, die Häuser klein und unauffällig. Die meisten der Dorfbewohner verdienen ihr Geld in der mehr als 100 Jahre alten Schokoladenfabrik von Barry Callebaut. Der Konzern aus Zürich mit 4,8 Milliarden Euro Umsatz und weltweit 9000 Mitarbeitern übernahm das Werk in den ,als er den belgischen Hersteller Callebaut schluckte.
Für die Kakaomasse zermahlen die Arbeiter die gerösteten Bohnen so lange, bis ein dunkler, zähflüssiger Brei entsteht. Essen lässt sich die Masse nicht – viel zu bitter. Brocken der inzwischen abgekühlten und damit festen Kakaomasse laufen per Förderband in eine weitere Maschine, die sie mit Walzen zu feinem Kakaopulver verarbeitet. Das anschließende Konchieren verleiht der Schokolade ihren Schmelz. Das Pulver wird dabei zusammen mit Kakaobutter, Zucker und Milchpulver in Rührwerken stundenlang durchgeknetet.
Die größten Kakaoproduzenten der Welt
Im Erntejahr 2011/2012 sind an der Elfenbeinküste 1,486 Millionen Tonnen Kakao produziert worden. Im Jahr 2012/2013 sollen es 16.000 Tonnen oder 1,1 Prozent weniger werden. Die ICCO rechnet mit einem Ertrag von 1,470 Millionen Tonnen.
Ghana lieferte 2011/2012 879.000 Tonnen Kakao. Im Erntejahr 2012/2013 sollen es nur noch 820.000 Tonnen, also 6,7 Prozent weniger sein.
Aus Indonesien sollen in diesem Jahr 475.000 Tonnen Kakao kommen. Das wäre ein Plus von 5,6 Prozent oder 25.000 Tonnen.
In Nigeria soll sich die Kakaoproduktion dagegen von 230.000 Tonnen auf 210.000 Tonnen reduzieren, was einem Minus von 8,7 Prozent entspräche.
Dafür soll die Brasilianische Kakaoproduktion etwas ansteigen: Brasilien war mit 220.00 Tonnen Kakao im Erntejahr 2011/2012 der größte Kakaolieferant Lateinamerikas. Im aktuellen Jahr soll sich die Ernte um 4,5 Prozent auf 230.000 Tonnen steigern.
Aus dem in Zentralafrika gelegenen Kamerun sollen in diesem Jahr 210.000 Tonnen Kakao kommen. Das wäre ein Plus von 1,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Ecuador ist das zweite südamerikanische Land in der Liste der internationalen Kakaoproduzenten. 190.000 Tonnen Kakao ernteten die Kakaobauern dort im vergangenen Erntejahr. Eine Veränderung am Ertrag ist derzeit nicht abzusehen.
In der Dominikanischen Republik soll die Ernte dagegen von 72.000 Tonnen auf 60.000 Tonnen zurückgehen. Das entspricht einem Minus von 16,7 Prozent.
Für Papua New Guinea erwarten die Experten von der Internationalen Kakao-Organisation in diesem Jahr eine gleichbleibende Ernte von 45.000 Tonnen.
Die flüssige braune Masse lagert Barry Callebaut in beheizten Tanks. Rohre führen nach draußen zur Laderampe. Hier wird die Schokoladenmasse in die Tanks der wartenden Lkws gepumpt, die sie zu den Fabriken der Schokoladenindustrie fahren. Dort werden sie in handliche Tafeln gegossen oder in anderen Süßigkeiten verarbeitet. Callebauts Kunden sind dann wiederum die Konzerne, deren Marken im Supermarkt auf Schokoholics warten: Unilever, Nestlé oder Mars zum Beispiel.
Wie viel die Multis an Callebaut zahlen, lässt sich zumindest abschätzen. Nach einer Studie von Voice Network, hinter der Umwelt- und Entwicklungshilfeorganisationen stehen, kostet eine Tonne Kakao, nachdem sie zu Vorprodukten für Schokolade verarbeitet wurde, 4434 Dollar einschließlich 211 Dollar Gewinn. Mars, Unilever und Nestlé packen als Schokoladenhersteller noch einmal 6425 Dollar je Tonne drauf. Daran verdienen sie etwa 870 Dollar. Den größten Anteil am Preis für Schokolade haben jedoch der Einzelhandel und der Fiskus mit 44 Prozent. Beim Farmer bleiben im Schnitt dagegen nur 6,6 Prozent vom Umsatz hängen. Bei einer Tafel Schokolade für einen Euro wären das nur etwa sieben Cent. Verdient wird mit Kakao vor allem am Ende der Produktionskette.
9,80 Euro für Luxus aus Südvietnam
Im Outlet-Store Smets in Strassen, am Stadtrand von Luxemburg, wabert Popmusik zwischen Schuhkartons, Kleiderständern und Achtzigerjahre-Devotionalien. Smets ist kein Schnäppchenmarkt: Trotz Rabatt kosten Schuhe von Manolo Blahnik immer noch 800 Euro. Nicht nur finanziell potent, auch schlank sollten die Kunden sein. Die eng geschnittenen Lederjacken von Dolce & Gabbana verzeihen keine Pölsterchen. Zu dumm, dass die Kunden am Eingang an der Vitrine des belgischen Chocolatiers Pierre Marcolini vorbei müssen: mit Mango gefüllte Schokotäfelchen, Karamellcreme, Macarons und Marzipan. Marcolini, dessen Familie ursprünglich aus Verona stammt, betreibt ein Franchisegeschäft im Smets.
Eine Mittdreißigerin zeigt mit dem Finger auf eine silberfarbene Pappschachtel in der Vitrine: „Was genau ist das?“„Dunkle Schokolade, 75 Prozent Kakao, von einer Plantage aus Vietnam mit..., wie sagt man auf Deutsch...?“, fragt die Verkäuferin mit französischem Akzent. „...Kakaobohnensplittern“, antwortet der Begleiter der Kundin. „Wenn du so schlau bist, dann kannst du auch zahlen“, sagt die Frau im Trenchcoat. Was sich als gutes Geschäft erweist: 80 Gramm kosten 9,80 Euro. Anders jedoch als bei der billigeren Massenschokolade wissen die Käufer bei Marcolini, von welcher Farm der Kakao stammt, aus dem die Tafel gemacht ist. Im Fall Vietnam ist es die Kooperative Cho Gao aus der südlichen Provinz Tien Gang, die auf zwei Hektar Premiumkakao anbaut.
João Tavares hat den Trend zum Lifestyle-Produkt Schokolade richtig erkannt. Statt Massenware zu produzieren, konzentriert er sich auf edle Kakaosorten. Die machen zwar mehr Arbeit, bringen aber auch höhere Preise. Sein Kakao ist die Basis für Marcolinis Edelmarke Brésil.
Vom Börsenboom profitiert Tavares denn auch mehr als viele seiner Kollegen: Für seinen Edelkakao zahlen Händler derzeit einen Aufschlag von 2000 Dollar auf den Börsenpreis für Standardware, der bei 3344 Dollar liegt.
Wie viel Mühe er in den Kakao steckt, wird bei einem Rundgang auf seiner Farm deutlich. „Hier mache ich meinen Profit“, sagt Tavares und zeigt auf den Fermentierschuppen, wo es nach Gärung und Hefe riecht. Beim Fermentieren verlieren die Bohnen einen Teil ihrer Bitterstoffe und bekommen ihre braune Farbe. Immer wieder kontrolliert Tavares die Fermentierung, indem er 50 Bohnen penibel auf einem Brett aufschneidet, um den Reifegrad zu prüfen.
Hinter dem Schuppen, auf dem noch das Baujahr 1945 zu sehen ist, trocknet er die Bohnen in der Sonne auf Zementboden, vor Regen geschützt durch ein Glasdach wie in einem Treibhaus. Er trocknet die Bohnen nicht über Öfen, die mit Holz beheizt werden – wie die meisten der Farmer. „Rauchspuren im Aroma bedeuten: beim Abnehmer durchgefallen“, sagt Tavares. Er kritisiert, dass die wenigsten Farmer heute noch die Sorgfalt und Geduld aufbringen würden, die es brauche, um guten Kakao herzustellen. „Die ehemals reichen Kakaobarone haben es versäumt, ihre Söhne und Töchter auf ein Leben und die Arbeit auf einer Plantage in der Provinz vorzubereiten.“