
João Tavares lenkt einen Pick-up über die Kopfsteinpflasterwege seiner Kakaofarm São Pedro im Nordosten Brasiliens. Wenn er aus dem Fenster schaut, kann er den Fortschritt der Ernte kontrollieren. Arbeiter schlagen mit Macheten die Früchte von den vier Meter hohen Kakaobäumen, die im Schatten von Urwaldriesen stehen. „Vor zehn Jahren musste ich fast komplett neu anfangen, ein Pilz hatte die Ernte dezimiert“, sagt Kakaofarmer Tavares. Noch immer kämpft er mit den Folgen: Wo sein Vater in den Fünfzigerjahren auf 1000 Hektar bis zu 1000 Tonnen Kakaobohnen im Jahr produzierte, erntet der 50-Jährige heute auf einem Drittel der Fläche nur noch 90 Tonnen. Von den glorreichen Fünfzigern sind nur die gepflasterten Wege übrig, auf denen Maultiere Körbe mit Kakaobohnen zur Tavares-Farm bringen.
Als sein Vater die Farm gründete, war Brasilien noch weltgrößter Kakaoexporteur, heute gehen allenfalls noch wenige Hundert Tonnen auf den Weltmarkt. Ein Teil davon immerhin stammt von Tavares, der an den belgischen Chocolatier Pierre Marcolini verkauft. Von Depression ist denn auch wenig zu spüren: Auf Tavares’ Plantage und auf den benachbarten Farmen geht es geschäftig zu: Schokoladenhersteller kündigen ihre Besuche an; Zwischenhändler wollen neue Kontrakte abschließen. Selbst Finanzinvestoren lassen sich in der Region blicken, was meist davon zeugt, dass es etwas zu verdienen gibt.
So funktioniert der Rohstoffhandel
Bei einem Future-Contract kauft der Investor Rohstoffe nicht an regulären Märkten zu aktuellen Preisen sondern handelt auf Terminmärkten wie der deutsch-schweizerischen EUREX, der Chicago Mercantile Exchange (CME) zu der die Chicago Board of Trade (CBoT) gehört oder der London International Financial Futures Exchange (LIFFE). Hier wird der jeweilige Rohstoff zu einem Termin in der Zukunft gekauft. Der Investor bestellt beispielsweise im Februar Kakao, der im Juli geliefert werden soll.
Spot-Geschäfte mit ihren kurzen Erfüllungsfristen sind das Pendant zu den Terminmärkten. Zwischen Bestellung und Lieferung liegen maximal zwei Börsentage. Der Spot-Preis ist dementsprechend der Preis, den Händler kurzfristig für den jeweiligen Rohstoff zahlen beziehungsweise erzielen. Bei Kassa-Preis dagegenhandelt es sich um den aktuellen Preis von Finanztiteln.
Die Costs of Carry bei Rohstoffen setzen sich beispielsweise aus Lager- und Speditionskosten zusammen. Der Wert eines Future-Kontrakts besteht aus dem Kassa-Preis, also dem bei Vertragsabschluss herrschendem aktuellen Kakaopreis, und den Costs of Carry. Deshalb liegen die Future-Preise bei Termingeschäften anfangs meist über den Kassa-Preisen. Wenn ein Investor im März Kakao für Dezember bestellt, entstehen schließlich Lagerkosten für neun Monate. Er zahlt also den aktuellen Preis plus die Lager- und Speditionskosten. Der Händler kann die Lagerkosten aber über die neun Monate hinweg abschreiben - je näher der Liefertermin rückt, desto stärker nähert sich der Future-Preis dementsprechend wieder dem Kassa-Preis an.
Der Nearby-Future ist der Rohstoff-Kontrakt mit der kürzesten Fälligkeit. Das Gegenteil, also der Future-Kontrakt mit der längsten Laufzeit, heißt dagegen Most-Distant-Futures-Contract.
Wer direkt in Rohstoffe investieren will, kauft statt einer Aktie oder eines Zertifikats einen Future-Kontrakt mit einer bestimmten Laufzeit und einem Erfüllungszeitpunkt. Der Erfüllungszeitpunkt ist nichts anderes als der Liefertermin. Das heißt, wer ein Kakao-Future mit einer Laufzeit bis Juli 2013 kauft, bekäme im Juli 2013 auch die gekaufte Menge Kakao geliefert.
Ursprünglich ging es bei Warentermingeschäften schließlich um den Kauf physischer Rohstoffe. Mittlerweile sind viele der Kontrakte Spekulationsgeschäfte. Wer nur Geld verdienen und nicht auf zig Tonnen Kakao sitzen möchte, muss also vor Ende der Laufzeit seinen Kontrakt verkaufen und einen neuen mit einem späteren Liefertermin kaufen. Dieser Vorgang nennt sich rollen.
Beim Rollen können Anleger sowohl Gewinne als auch Verluste machen: Wer seinen alten Kontrakt günstig verkauft und den neuen Kontrakt teuer kauft, erwirtschaftet eine negative Rollrendite, macht also Rollverluste. Verkauft er dagegen teuer und kauft billig, fällt die Rollrendite positiv aus, er macht Rollgewinne.
Bei einer Contango-Situation ist der Spot-Preis geringer als der ausgemachte Preis bei Fälligkeit des Future-Kontrakts. Wenn ein Anleger seinen Vertrag in so einer Situation weiterverkauft und in einen Most-Distant-Futures-Contract investiert, kann er Gewinne abgreifen. Wer dagegen bei niedrigem Spot-Preis und hohem Terminpreis seine Kontrakte abstößt und Kontrakte mit nächstmöglicher Lieferzeit kauft (Nearby-Futures) riskiert Verluste.
Das Gegenteil von Contango ist eine Backwardation.
Bei der Bachkwardation-Situation liegt der Preis der Future-Kontrakte unter denen am Kassamarkt. Der Anleger verkauft also vor Liefertermin seinen Kontrakt bei aktuell hohem Preis und kann günstig einen den Nearby-Future erstehen. Er verbucht also Rollgewinne.
Brasiliens Exporteure arbeiten an ihrem Comeback. Brasilianischer Kakao soll wieder an der New Yorker Börse gehandelt werden. Das wäre ein erster Schritt zurück zu alter Größe auf dem Weltmarkt.
Wachsende Lücke
Der Grund für die Renaissance: Knappheit. Laut Internationaler Kakaoorganisation (ICCO) fehlen in diesem Jahr bei einer weltweiten Produktion von 4,2 Millionen Tonnen 38 000 Tonnen Kakao. Und das Defizit werde weiter wachsen. Inzwischen haben auch Mittelschichtsbürger in den Schwellenländern Lust auf Schokolade. Das Research-Institut Euromonitor schätzt, dass allein die Chinesen in diesem Jahr 11,5 Prozent mehr Schokolade kaufen als im Vorjahr, die Inder gar 23,4 Prozent.
Seit Januar 2012 ist der Kakaopreis an der New Yorker Börse von 2115 Dollar je Tonne auf zuletzt 3344 Dollar gestiegen, ein Plus von 58 Prozent. In deutschen Supermärkten war folgerichtig im April die Tafel Schokolade 15,9 Prozent teurer als im Vorjahr. Seit 2012 haben sich die Preise für Milka, Lindt und Co. im Schnitt um 60 Prozent erhöht.





Vieles spricht für weiter steigende Preise: „Wetterextreme verursacht durch die Klimaanomalie El Niño, bedrohen die Ernten im pazifischen Raum“, sagt Jonathan Parkman, Rohstoffanalyst des Londoner Brokers Marex Spectron. El Niño tritt etwa alle vier Jahre auf, zuletzt 2009/10. Stürme und starke Regenfälle in Südamerika sowie Trockenheit in Südostasien und Australien sorgen dabei für Missernten und steigende Agrarpreise. Erste Vorzeichen von El Niño sind bereits erkennbar: So droht Ecuador wegen heftiger Regenfälle 15 Prozent seiner Kakaoernte zu verlieren.
In Ghana, dem zweitwichtigsten Erzeuger, dezimiert Pilzbefall die Ernte, und es fehlen den Kakaobauern Arbeiter, die lieber als Schürfer in den Minen arbeiten. Prognose für die Erntesaison 2014/15: minus 24 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitrum.
Die Folge: Wetten auf einen steigenden Kakaopreis an den Terminbörsen – wo Preiserwartungen, keine physische Ware gehandelt wird – haben den höchsten Stand seit Oktober 2011 erreicht.
Der Einfluss der Finanzmärkte auf den weltweiten Kakaohandel und damit auch auf den Preis der Schokolade wächst.