Rohstoffe Wohin drehen die Rohstoffpreise?

Der Preiseinbruch freut Verbraucher, verunsichert aber die Anleger weltweit. Was die Korrektur bedeutet, warum Rohstoffe auf lange Sicht als Inflationsschutz unverzichtbar sind und weshalb Rohstoffaktien attraktiver sind als Zertifikate.

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Transport von Kupferspulen im südwest-chinesischen Nanchang. Rohstoffe sind häufig Spielbälle von chinesischen Spekulanten Quelle: Laif

Die Beamten glaubten zunächst an einen Scherz. Ein Spaziergänger hatte sich bei der Polizei gemeldet. Er hatte bei seiner Tour durch einen Mülheimer Park eine leere Stelle entdeckt, an der etwas hätte stehen sollen: die 1,5 Tonnen schwere Bronze-Plastik „Der Bogenschütze“ von Herman Lickfeld. 75 Jahre hatte sie den Park verziert, bis sie diesen Mai Opfer eines dreisten Diebstahls wurde. Hier waren jedoch keine Kunsträuber am Werk; die Diebe hatten es vielmehr auf das Material abgesehen, dessen Wert die Polizei auf 4000 Euro schätzt.

Die Metalldiebe hatten aber kein glückliches Timing. Nur zwei Tage nach dem Raub brachen weltweit die Rohstoffpreise ein. Der Kupferpreis gab an nur zwei Handelstagen um sieben Prozent nach, Silber verlor in einer Woche ein Drittel seines Werts. Die Verkaufswelle erfasste die anderen Industriemetalle und den Ölhandel, den nach Volumen größten Rohstoffmarkt; der Ölpreis ging um 14 Prozent zurück. Mitte Mai verzeichneten die Händler den stärksten Einbruch der Rohstoffpreise seit der Finanzkrise im Herbst 2008.

Rohstoffe lohnen sich auf lange Sicht

Nun rätseln Investoren: War das nur die erwartbare Korrektur, nachdem die Preise zuvor heißgelaufen waren, eine gesunde Verschnaufpause auf dem Weg zu langfristig noch höheren Preisen? Oder ist der Preisrutsch doch Vorbote eines viel schlimmeren Ausverkaufs, weil die Weltkonjunktur sich überraschend stark abschwächt? 

Banken verkaufen ihre Rohstofffonds und Zertifikate gerne als „no brainer“ – idiotensicher. Die Preise für Metalle, Öl, oder Weizen könnten nur steigen: anhaltend hohe Nachfrage (China!) treffe auf ein endliches und immer knapperes Angebot. Das stimmt – im Prinzip. Doch der Rohstoffcrash von Mitte Mai beweist: Rohstoffinvestments sind für Anleger langfristig aussichtsreich, aber eines sicher nicht: todsicher. Die Preise schwanken heftig; Angebot und Nachfrage sind für Privatanleger kaum realistisch einzuschätzen, die Akteure bleiben häufig im Dunkeln. Welche Rolle zum Beispiel Spekulanten spielen, ist umstritten.

Langfristiger Trend zu höheren Preisen

Verglichen etwa mit Aktienbörsen, sind die Rohstoffbörsen kleine Veranstaltungen. Die Aktienmärkte sind rund 250-mal so groß: Weltweit sind an den Börsen Unternehmen im Wert von rund 60 Billionen Dollar notiert. Das Volumen aller gehandelten Kontrakte auf die 25 wichtigsten Rohstoffe liegt dagegen bei rund 250 Milliarden Dollar. Schon vergleichsweise wenig Anlegergeld hat deshalb großen Einfluss auf die Preise – auch nach unten: „Obwohl der langfristige Trend zu höheren Preisen intakt ist, können Anleger mit Rohstoffinvestments immer mal 50 Prozent verlieren“, sagt Alfred Roelli, Leiter Anlagestrategie bei Pictet in Genf.

Der Crash im Mai erwischte auch Rohstoffprofis auf dem falschen Fuß. Der weltgrößte Rohstoffhedgefonds Clive Capital verzockte in nur zwei Tagen mehr als 400 Millionen Dollar, zehn Prozent seiner Anlegergelder; Rivale BlueGold versenkte 26 Prozent der 2,6 Milliarden Dollar, die der Fonds für reiche Privatanleger, Pensionskassen und Banken in Rohstoffe investiert.

Öl bekommt seinen Preis, wie Quelle: dpa

Als Auslöser der Kursdelle gilt eine Studie von Goldman Sachs. Die im Rohstoffhandel stark engagierte Investmentbank hatte ihren Kunden geraten, Gewinne mitzunehmen. Die Preise seien „zu weit gelaufen, haben sich von den fundamentalen Treibern entfernt“, so die Analysten. Goldman konstatierte eine Spekulationsblase. Eine mindestens ebenso große Rolle dürften jedoch die Konjunktursorgen vieler Anleger spielen. Frühindikatoren für die Weltwirtschaft, etwa der US-Einkaufsmanagerindex ISM, deuten auf eine baldige Abkühlung hin. Auch Sorgen um die Schuldenkrise in Südeuropa trieben Anleger aus riskanten Anlagen wie Aktien und Rohstoffen.

Die Schlüsselrolle aber spielt Asien. China und Indien verbrauchen inzwischen das Gros der weltweiten Rohstoffproduktion, leiden jedoch unter hoher Inflation; um sie zu bekämpfen, erhöhen die Zentralbanken die Leitzinsen und bremsen ihre Banken bei der Kreditvergabe. „Das könnte die boomende Wirtschaft der Schwellenländer dämpfen und die Nachfrage nach Rohstoffen abschwächen“, meint Jochen Hitzfeld, Rohstoffanalyst bei UniCredit. „Mit Blick auf die nächsten sechs bis zwölf Monate“, sagt Hitzfeld vorsichtig, rechne er mit „leicht fallenden Rohstoffpreisen, bevor sich danach der säkuläre Aufwärtstrend wieder durchsetzt“.

Anklage gegen Ölhändler

„Viele Finanzinvestoren haben nach hohen Wetten auf weiter steigende Ölpreise offenbar kalte Füße bekommen und Positionen glattgestellt“, schrieben die Analysten der Helaba am 20. Mai. So ging bei Öl unterm Strich der Einsatz von Investoren, die auf steigende Kurse wetten, um ein Drittel zurück.

Spekulanten stehen im Verdacht, die Rohstoffpreise zu manipulieren. Die US-Regulierungsbehörden haben am Mittwoch Anklage gegen mehrere Händler, darunter Arcadia und Parnon, erhoben. Die Ölhändler sollen 2008, als die Lager sich ohnehin rapide leerten, durch Kauf größerer Mengen Rohöls an den Börsen das Angebot künstlich verknappt haben, das Öl dann teuer an Terminbörsen auf den Markt geworfen und in der Verkaufspanik auf fallende Preise gewettet haben. Sprecher der Firmen wiesen das als „haltlos“ zurück.

Spekulanten treiben die Rohstoffpreise hoch

Dass Spekulation – legal oder illegal – kurzfristig für erheblichen Preisauftrieb sorgen kann, gilt als sicher. Ob Spekulanten aber auch langfristig als Preistreiber agieren, ist umstritten. Studien der OECD und des Internationalen Währungsfonds (IWF) haben den Einfluss der Spekulation auf die Preise untersucht. Weil Spekulanten meist nur indirekt, über Rohstoffkontrakte, nicht jedoch mit dem physischen Rohstoff selbst handelten, trieben sie zwar zwischenzeitlich die Notierungen an der Börse hoch, verknappten jedoch nicht das Angebot der Rohwaren selbst, weshalb der Preis nach jeder Spitze wieder in sich zusammenfalle, so das Fazit des IWF.

Der renommierte Rohstoffhändler Michael Masters, der im Auftrag des US-Senats den Einfluss seiner Spekulanten-Kollegen auf die Preise untersuchte, sieht die Spekulation wesentlich kritischer. Sein Fazit: „Finanzinvestoren tragen direkt und indirekt zur Eskalation der Rohstoffpreise bei.“ Frühere Preisspitzen, etwa die Ölkrise 1973, seien stets durch eine akute Verknappung des Angebots ausgelöst worden, so Masters. Heute stiegen die Preise aber auch ohne solche Angebotsschocks. Die Nachfrage nehme exorbitant zu, und zwar stärker, als der Verbrauch der Rohstoffe. Dafür verantwortlich seien „Pensionskassen, Fonds von US-Universitäten, von Unternehmen sowie Rentenversicherungen und Vermögensverwalter, die alle zwischen 2002 und 2008 beschlossen haben, ihren strategischen Anteil am Portfolio in Rohstoffen substanziell zu erhöhen“.

Spekulation habe es auf den Rohstoffmärkten immer gegeben; „aber diese neuen Teilnehmer haben ein ganz anderes Volumen im Kreuz“, sagt der Rohstoffhändler. „Im Unterschied zu klassischen Rohstoffspekulanten wie Hedgefonds gehen diese neuen Investoren strategisch vor; sie halten ihre Positionen sehr langfristig“, so Masters. Auf längere Sicht würden diese Anleger die Preise also oben halten – was nichts daran ändert, dass Spekulanten kurzfristig gewaltige Schwankungen verursachen. Auch private Anleger sollten das Rohstoffthema langfristig angehen. Der jüngste Preiseinbruch ist kaum mehr als eine flache Delle, wenn man die Rohstoffpreise über mehrere Jahre verfolgt. Anleger müssen allerdings mit Rohstoffaktien auch größere Schwankungen aushalten können.

Langfristig Investieren

Trotz des immer noch hohen Niveaus spricht einiges dafür, dass die Rohstoffpreise auf lange Sicht noch erheblich steigen werden:

Bevölkerungswachstum: Laut einer aktuellen Schätzung der Weltbank leben 6,8 Milliarden Menschen auf der Erde; die UNO geht in einem kürzlich veröffentlichten Bericht bis 2100 von rund zehn Milliarden Köpfen auf der Erde aus.Urbanisierung der Schwellenländer: Gerade am Beginn der Industrialisierung eines Landes wächst die Wirtschaftsleistung rapide, es werden überproportional viele Rohstoffe verbraucht, etwa für den Aufbau der Infrastruktur. Das trieb die Rohstoffpreise weltweit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (USA) und von 1950 bis 1970 (Japan). Das derzeit explosive Wachstum in großen Entwicklungsländern wie China, Indien und Brasilien führe erneut zu einem „rapiden Abbau von begrenzten Ressourcen, etwa Kohlenwasserstoffen und Metallen“, warnt Jeremy Grantham vom US-Fondsgiganten GMO.Strategische Käufer: Chinas Wirtschaftsleistung hat sich seit 1990 grob verachtzehnfacht, sein Rohstoffhunger ist immens. Dies erklärt, warum die Preise – anders als früher – heute selbst in Weltwirtschaftskrisen kaum noch fallen. „China nutzt solche Preisdellen, um seine strategischen Reserven aufzufüllen“, sagt Hitzfeld. So wie 2009, als die weltweite Nachfrage nach vielen Rohstoffen trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise kaum nachgab. Bei Rohstoffen wie Kohle oder Stahl verbraucht China mittlerweile die Hälfte der Weltproduktion.Erschöpfungstendenzen: Zunehmend angespannt scheint auch die Angebotssituation, vor allem bei einigen Agrarrohstoffen und bei Öl. Während etwa hohe Kupfer- oder Nickelpreise immer auch zur Erschließung neuer Minen und damit zeitverzögert zu mehr Angebot führen, zeichnen sich bei Nahrungsmitteln beunruhigende Tendenzen ab: Trotz des ständig steigenden Einsatzes von Kunstdüngern wachsen die Ernteerträge immer langsamer. In den Sechzigern stiegen sie jährlich um 3,5 Prozent pro Hektar; heute nur noch um 1,2 Prozent. Hinzu kommt, dass Ackerland weltweit knapp wird, weil die Verstädterung zunimmt und wegen des Klimawandels immer mehr Flächen veröden. Auch Wasserknappheit bedroht Ernten-Nicht zuletzt haben Rohstoffe eine wichtige Funktion im Depot als Inflationsschutz. „Gerade die Rohstoffpreise trieben zuletzt die Teuerung“, beobachtet Eberhard Unger, Analyst bei Fairesearch. Bis in die Neunziger galt die Faustformel, dass ein Anstieg des Ölpreises um zehn Prozent binnen eines Jahres eine um einen Prozentpunkt höhere Inflationsrate nach sich zieht. Zur Erinnerung: Der Rohölpreis stieg seit 2008 um 120 Prozent. Das bedeutet freilich keinen Inflationsschub um 12 Prozentpunkte, „heute braucht der Mechanismus länger, und er hat sich abgeschwächt, aber er ist nicht außer Kraft“, meint Unger. Inzwischen steigen die Preise von Benzin, Heizöl, Baumaterial und Nahrungsmitteln zweistellig.

Inflation kommt über die Rohstoffpreise

Noch liegt die allgemeine Teuerung nur bei 2,4 Prozent; doch die Inflation könne „trotz Arbeitslosigkeit und Überkapazitäten in den Industriestaaten anziehen, weil sie nicht hausgemacht, sondern über die Rohstoffpreise importiert ist“, sagt Mihir Worah, vom US-Fondsgiganten Pimco.

Weil die Preise für Rohstoffe überproportional – also stärker als die durchschnittliche Inflationsrate – steigen, „sind Investitionen dort als Inflationsschutz für Anleger prinzipiell eine gute Idee“, sagt Max Schott vom Anlagemanager Sand & Schott. Das Problem liegt in der praktischen Umsetzung. Die meisten Rohstoff-anlageprodukte der Finanzindustrie für Privatanleger, etwa Zertifikate auf Rohstoffindizes, sind „kompliziert, teuer und intransparent“, kritisiert Schott.

Ein Problem sind die fast unvermeidlichen Rollverluste: Die Emittenten der Zertifikate kaufen nicht den Rohstoff selbst, sondern börsengehandelte Lieferkontrakte (Futures), die zum Bezug des Rohstoffs zu einem bestimmten Preis an einem fixen Datum berechtigen. Weil kein Investor den Rohstoff nach Hause geliefert haben möchte, müssen die Lieferkontrakte ständig in neuere getauscht („gerollt“) werden, bevor sie verfallen. Rechnet der Markt mit weiter steigenden Preisen, wie in den vergangenen Jahren fast immer, sind die neueren Kontrakte teurer als die alten – der Anleger erleidet Rollverluste.

Besser mit Aktien

Hinzu kommen Währungsverluste, wenn der Dollar schwächelt, weil Rohstoffe in Dollar gehandelt werden. Häufig gibt es große Differenzen zwischen An- und Verkaufskursen der Zertifikate und eine Reihe verdeckter Gebühren, sodass „der Preis des Zertifikates dem des echten Rohstoffes auf die Dauer immer weiter hinterherhinkt“, sagt Schott. Nicht selten fahren Anleger mit Zertifikaten sogar Verluste ein, obwohl der Rohstoff im Preis leicht steigt.

„Wir raten Kunden deshalb nicht zu Direkt-Investitionen in Rohstoffe, sondern zu den Aktien von Rohstoffunternehmen, wie Metallminen, Öl- und Gasgesellschaften oder großen Landbesitzern“, sagt Roelli von Pictet. Er empfiehlt Anlegern die Blue Chips der Branche. Wer auf Rohstoffaktien setzt, sollte einige Jahre bei der Stange bleiben. Besonders wer Dividenden stetig reinvestiert, wird auf Dauer belohnt. 

Rohstoffaktien bringen hohe Dividendenrendite

Aktienstratege Roelli hat die Cash-Flow-Stärke aller Branchen in den vergangenen Jahren untersucht; Ergebnis: Nur Pharma und Telekom erwirtschaften im Schnitt höhere Cash-Flows als der Rohstoffsektor. „Dem steht ein enormer Investitionsbedarf gegenüber, weil die endlichen Ressourcen immer schwieriger zu fördern sind, was die Kosten treibt“, schränkt Roelli ein, „aber unter dem Strich bleibt Rohstoffaktionären noch die dritthöchste Dividendenrendite aller Branchen, nach Telekom und Versorgern.“

Alle Branchen abgehängt

Nimmt man die durchschnittlichen Kursgewinne dazu, landen die Minen- und Öl-aktien sogar ganz vorne: In den vergangenen zehn Jahren machten Anleger mit Rohstoffaktien 461 Prozent Gesamtrendite (Kursgewinne und Dividenden zusammen); abgeschlagen auf Platz zwei landen die Versorger mit 180 Prozent Rendite. Unter den sieben rentabelsten Aktien sind mit BHP Billiton, Xstrata, Rio Tinto, Gazprom und Anglo American fünf Rohstoffwerte. „Dennoch sind Rohstoffaktien im Schnitt günstig bewertet“, sagt Roelli, was er auf die hohe Volatilität der Aktien zurückführt. „Große Kursschwankungen schrecken viele institutionelle Anleger ab, weil diese Volatilität häufig als Risiko definieren“, so Roelli. Das bietet Chancen für risikobewusste Privatanleger.

Korrektur laut Goldman übertrieben

Wenige Tage nach dem Raub tauchte übrigens die gestohlene Bronze-Statue in Mülheim wieder auf – zum Teil. Die Dicke hatten sie zersägt. Und wieder bewiesen sie schlechtes Timing: Die Rohstoffgurus von Goldman Sachs, die den Crash mit ihrer Verkaufsempfehlung ausgelöst hatten, blasen jetzt wieder zum Einstieg. Die Korrektur sei „übertrieben“, Rohstoffe nun „langfristig gesehen“ wieder günstig.

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