Die britische Post war selbst für Margaret Thatcher heilig. Obwohl die ehemalige britische Premierministerin vor fast keiner Privatisierung zurückschreckte, blieb die 1516 gegründete Royal Mail im Staatseigentum. Der Kopf der Queen zierte Generationen von Briefmarken und diente damit als eine Art Garant, die Post nicht zu privatisieren. Selbst als das Unternehmen vorschlug, ihre Briefkästen in den Heimatstädten der britischen Olympiasieger goldfarben zu streichen, zweifelten einige Briten zunächst: Die roten Briefkästen der weltweit ältesten Post gehören schließlich zum Stadtbild wie die Beefeater vor dem Tower of London.
Doch nun schlägt die Ökonomie die Tradition. Die Staatskasse ist leer, die britische Post braucht Geld, um sich zu modernisieren und nicht länger mit Krankenhäusern und Schulen um Gelder kämpfen zu müssen. Da hilft keine königliche Briefmarke mehr, sondern nur noch der Börsengang, hat Premierminister Cameron entschieden. In den nächsten Wochen soll es so weit sein, und es könnte der viertgrößte Börsengang eines Postunternehmens werden. Auf rund drei Milliarden Pfund schätzen Experten das Unternehmen.
Börsengang Royal Mail – Die Eckdaten
Der erste Handelstag für die Royal-Mail-Aktie soll der 11. Oktober 2013 sein. Es wäre die größte Privatisierung in Großbritannien seit der Zerschlagung der staatlichen Eisenbahnen in den 90er-Jahren.
Die staatliche Royal Mail setzte im Geschäftsjahr 2013 (Bis März 2013) 9,1 Milliarden Pfund um und erzielte damit einen operativen Gewinn von rund 440 Milliarden Pfund. Im britischen Paketmarkt hat Royal Mail einen Marktanteil von 53 Prozent. Das Unternehmen beschäftigt rund 150.000 Mitarbeiter.
Die Aktie kann seit Freitag, 27. September gezeichnet werden, die Zeichnungsfrist läuft bis zum 8. Oktober. Nach Berichten der Nachrichtenagentur Bloomberg erreichte die Nachfrage bereits nach einigen Stunden das Angebotsvolumen. Vor allem institutionelle Investoren haben demnach Interesse gezeigt.
Während der Zeichnungsfrist werden die Aktien in einer Preisspanne von 260 Pence bis 330 Pence je Anteil angeboten. Das Mindestvolumen beträgt 750 Pfund, für Mitarbeiter 500 Pfund.
Kommen die Aktien am oberen Ende der Preisspanne an die Börse, wäre Royal Mail mit insgesamt 3,3 Milliarden Pfund bewertet – umgerechnet 3,9 Milliarden Euro.
Insgesamt sollen zwischen 401 und 522 Millionen Aktien von Royal Mail an der Börse platziert werden. Damit befänden sich dann zwischen 40 und 52 Prozent der Aktien in Streubesitz. Die restlichen Aktien bleiben zum größten Teil im Staatseigentum Großbritanniens, ein kleiner Teil wird an Mitarbeiter vergeben.
Zehn Prozent der Aktien werden kostenlos an die Royal-Mail-Mitarbeiter verteilt. Mitarbeiter der deutschen Tochter GLS erhalten keine Aktienzuteilung.
Für das Geschäftsjahr 2014, das am 31. März 2014 endet, will Royal Mail 200 Millionen Pfund ausschütten. Aktionäre erhielten damit gemessen an der Preisspanne eine Dividendenrendite zwischen 6,1 und 7,7 Prozent.
Deutsche Post, aufgepasst! Ein Teil des frischen Kapitals könnte in die europäische Pakettochter GLS (General Logistics Systems) fließen und damit für mehr Wettbewerb im wachsenden deutschen und internationalen Paketmarkt sorgen. GLS ist für die Deutsche Post ein unerfreulicher alter Bekannter. Das Unternehmen hieß früher German Parcel und sorgte im vorvorigen Jahrzehnt zusammen mit dem DPD (heute französische Post) dafür, dass der Bonner Konzern jahrelang tiefrote Zahlen schrieb.
Zwar ist die Pakettochter GLS heute mit einem Umsatz von mehr als 1,5 Milliarden britischen Pfund das Tafelsilber der Royal Mail. In Jahren, in denen das Briefgeschäft Verluste schrieb, erzielte GLS stets Gewinne, zuletzt waren es operativ 128 Millionen Pfund. Auf dem deutschen Paketmarkt folgt sie allerdings abgeschlagen auf die DHL, den DPD, die amerikanische UPS und die Otto-Tochter Hermes.
Daran könnte sich nach dem Börsengang etwas ändern. Bislang konzentrierte sich GLS eher auf Geschäftskunden, im mühseligen Geschäft mit den Endkunden war das Unternehmen bislang schwach. So steigerte GLS den Umsatz 2012 in Deutschland lediglich um ein halbes Prozent, während die deutsche DHL um mehr als neun Prozent zulegte. Mit frischem Kapital aber könnte GLS bald auch im Endkundengeschäft angreifen. „Denn gerade im Bereich E-Commerce kann es GLS sich nicht leisten, da nicht einzusteigen“, sagt Logistikberater Horst Manner-Romberg.
Die anderen Paketdienstleiter machen es schließlich vor: Konkurrent UPS hatte jüngst angekündigt, 4500 Paketshops einzurichten und so im Geschäft mit den Endkunden zu wachsen. Die Deutsche Post investiert 750 Millionen Euro in ihre Paketzentren und will in ihrem größten 50.000 Pakete pro Stunde abfertigen.
Großer Abstand zu DHL
Bislang hinkt GLS bei Effizienz und Kundenfreundlichkeit hinterher. „GLS muss insbesondere in die IT-Infrastruktur investieren, auch bei der Sendungsverfolgung sehe ich Nachholbedarf“, sagt Matthias Klumpp, Logistikexperte der FOM Hochschule in Essen.
Nicht zuletzt seit Enthüllungsjournalist Günter Wallraff über die schlechten Arbeitsbedingungen bei GLS berichtete, kämpft GLS mit seinem Image. „ Die Marke GLS hat in Deutschland Nachholbedarf, und der Abstand zum Marktführer DHL ist groß“, sagt Sebastian Hein, Analyst beim Bankhaus Lampe.
Schafft GLS die Modernisierung allerdings, würden die Karten in der Paketzustellung in Deutschland neu gemischt. „Ich denke, dass sich der Wettbewerb insbesondere zwischen UPS, Hermes, DPD und GLS abspielen wird. Der Marktanteil der Deutschen Post von mehr als 40 Prozent ist gesetzt“, sagt Berater Manner-Romberg. Auch Hein glaubt nicht, dass GLS der Deutschen Post große Marktanteile streitig machen könne.
Eine finanzstarke GLS mit Aktivitäten in 37 Ländern und einem Umsatz von 1,8 Milliarden Euro könnte indes nicht nur für stärkeren Wettbewerb im deutschen Paketgeschäft sorgen. International könnte sich die Royal-Mail-Tochter auch nach geeigneten Partnern umschauen.
„Ich erwarte, dass GLS in den Märkten, in denen man bereits aktiv ist, die Beteiligungen an Partnern ausbaut, beispielsweise um angrenzende Bereiche wie Lagerhaltung und Logistik zu erschließen“, sagt Manner-Romberg. Zwar würde GLS dadurch auch ein interessanter Übernahmekandidat, etwa für den amerikanischen Logistiker Fedex, der mit GLS ein gutes europäisches Bodennetz bekäme. Doch ohne Not wird Royal Mail seinen Gewinnbringer wahrscheinlich nicht verkaufen.
Eine privatisierte Royal Mail muss die Deutsche Post zumindest im Briefgeschäft nicht fürchten. Die Gefahr, dass die Briten an der monopolartigen Stellung des gelben Riesen hierzulande und an seinen Profiten nagen, ist gering. Denn noch 2002 fuhr die Royal Mail horrende Verluste ein und verlor über eine Million Pfund am Tag. Grund waren vor allem die über Jahre hinweg versäumte Rationalisierung sowie eine verfehlte Internationalisierung. „Die Chance, dass die britische Post bei sinkenden Volumina und hartem Wettbewerb jetzt international groß einsteigen wird, ist gering“, sagt Berater Manner-Romberg. Die Gewinnmarge liegt mit rund fünf Prozent deutlich unter derjenigen der Deutschen Post und wird den künftigen Aktionären auf Dauer nicht schmecken.
Keine Aktien für GLS-Arbeiter
Die Zahl der Baustellen daheim ist groß:
- Royal Mail muss erst einmal den Kampf gegen die Gewerkschaften bestehen, die sich vehement gegen die Privatisierung wehren. Zwar versprach Royal Mail seinen Mitarbeitern über drei Jahre 8,6 Prozent mehr Gehalt. Doch Billy Hayes, Generalsekretär der Postgewerkschaft Communication Workers Unit (CWU), lässt keine Gelegenheit aus, um gegen Royal-Mail-Chefin Moya Greene zu polemisieren.
- Das Filialnetz ist ineffizient und kostspielig, benötigt also die Sanierung. Erwogen wird, Filialen in teuren Lagen zu schließen.
- Das Briefgeschäft leidet unter der elektronischen Post. Beförderte Royal Mail 2005 täglich noch 84 Millionen Sendungen, sind es heute nur noch 58 Millionen.
- Mehrere Millionen Pfund sind nach Schätzungen britischer Politiker nötig, um die Technologie auf den neuesten Stand zu bringen und so im schnell wachsenden Internet-Geschäft wettbewerbsfähig zu sein.
- Der Börsengang soll dafür sorgen, dass wie in Deutschland weiterhin jeder Brief in ganz Großbritannien zum gleichen Preis an jeden Ort an sechs Tagen in der Woche zugestellt wird – ob in der Ortschaft Land’s End im äußersten Südwesten oder in Fraserburgh in Nordschottland. Wie sich damit die Gewinne steigern lassen, ist offen.
Zumindest eine Baustelle hat die Regierung geschlossen. Sie übernahm die Pensionsverpflichtungen in Milliardenhöhe. Royal-Mail-Chefin Moya Greene erzielt nach einer harten Sanierung trotz sinkendem Briefgeschäft und hartem Wettbewerb im Paketmarkt wieder Gewinne.
Die Mitarbeiter von GLS haben nicht viel von dem Börsengang ihrer Konzernmutter. Während die 150.000 der insgesamt 165.000 Royal-Mail-Mitarbeiter einen Anteil von insgesamt zehn Prozent der Aktien zugesprochen bekamen, bleiben GLS-Mitarbeiter bislang außen vor.
Nach einem Börsengang werde sich Royal Mail vermutlich erst einmal durch Kooperationspartner oder strategische Zusammenarbeit absichern, sagt Berater Manner-Romberg. Das könnte eventuell zusammen mit den Franzosen, den Italienern oder Schweizern sein. Denn eigentlich sei die britische Post mit einem Umsatz von neun Milliarden Pfund im europäischen Vergleich bislang zu groß zum Sterben und zu klein zum Leben.
Eine Übernahme werden die Briten in jedem Fall verhindern wollen. Zwar hatte die Deutsche Post vor einigen Jahren einmal Interesse an der Royal Mail bekundet. Zurzeit dürfte sie allerdings keinen Übernahmehunger verspüren. Auch wenn sie sich offiziell dazu nicht äußert – in einem Interview mit der WirtschaftsWoche betonte zumindest DHL-Express-Chef Ken Allen, er schlucke lieber Rasierklingen als andere Unternehmen.