WirtschaftsWoche: Der Erdölpreis ist so tief wie seit Jahren nicht mehr. Was bedeutet diese anhaltende Schwäche des Ölpreises für die Erdöl-Exportnation Russland?
Angelika Millendorfer: Der Ölpreisverfall hat Konsequenzen für die Währung. Der Rubel hat massiv verloren. Das hat aber auch einen Vorteil: Denn die Abwertung funktioniert quasi als Schockabsorber. Dadurch konnte sich die Wirtschaft stabilisieren.
Wie gehen die russischen Erdöl-Unternehmen mit dem niedrigen Ölpreis um?
Die Erdölunternehmen sowie alle anderen Exportunternehmen konnten die Kostenbasis durch die Abwertung deutlich senken. In Rubel hat sich der Ölpreis nicht so stark verringert wie in Dollar. Insofern ist die Profitabilität der russischen Erdölunternehmen durch den niedrigen Rubel positiv abgefedert worden.
Zur Person
Angelika Millendorfer ist Leiterin des Osteuropa Fondsmanagements und Russland-Expertin bei Raiffeisen Capital Management in Wien.
Wie bewerten Sie Unternehmen wie Gazprom, die im Energiesektor tätig sind?
Die Gasexporte nach Westeuropa nehmen gerade wieder etwas zu, dadurch hat sich die Profitabilität von Gazprom nicht stark verringert. Gazprom hat aber auch andere Themen: Da wurden viele Investitionen in Bereichen getätigt, wo man sich nicht so ganz sicher ist, ob da auch entsprechende Renditen erwirtschaftet werden. Allerdings ist die Hoffnung auch groß, dass Gazprom in Zukunft nach China exportieren wird, entsprechende Projekte gibt es ja bereits. Denn in China wird der Gasimport voraussichtlich stark zunehmen und das ist sicherlich ein Hoffnungsmarkt.
Der Raiffeisen Russland Fonds, den Sie verwalten, hat trotz aller wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen um fast 20 Prozent zugelegt. Wie kam das?
Man muss klar sagen, dass wir ein schlimmes Jahr 2014 in Russland hatten. Da kamen gleich mehrere Faktoren zusammen: Einerseits die politische Situation in der Ukraine und dann die politischen Sanktionen, die daraus erfolgten. Andererseits kam zum Jahresende der massive Ölpreisverfall und in der Folge davon die Rubelabwertung. Von diesem tiefen Niveau im Dezember 2014 konnten wir etwas zulegen. So hat sich der Aktienmarkt im ersten Halbjahr 2015 sehr gut erholt. In der zweiten Hälfte hat sich das leider etwas abgeschwächt.
Welchen Anteil hatten Währungseffekte an dem positiven Ergebnis Ihres Fonds?
Der US-Dollar hat sicherlich mitgeholfen. Der Rubel orientiert sich etwas mehr am US-Dollar als am Euro. Nachdem der Euro ja relativ schwach ist, haben wir von der Dollarseite sicher etwas profitiert.
Nun waren ja auch 2014 und 2015 politisch sehr turbulente Jahre für Russland. Welche Auswirkungen hatte das für Anleger?
Natürlich gab es eine deutlich negative Kursentwicklung. Allerdings ist der Aktienmarkt in Rubel betrachtet seit Ausbruch der Krimkrise sogar leicht im Plus. Aber umgerechnet in Hartwährung ist durch die Abwertung des Rubels doch ein deutliches Minus festzustellen.
Was erwartet Investoren im Jahr 2016 in Russland?
Wenn man antizyklisch agiert, könnte es nun ein guter Moment sein, in Russland Geld anzulegen. Russland hat in letzten beiden Jahren von vielen Seiten negative Einflussfaktoren gespürt: Einerseits die politische Situation und andererseits die Rohstoff-Situation und natürlich auch die generell negative Stimmung auf Emerging Markets. Betrachtet man den Markt jedoch längerfristig, ist deshalb der Einstieg momentan sehr günstig. Aber natürlich: Ob wir jetzt schon das Tief gesehen haben, ist schwer zu sagen. Und man kann auch nicht sagen, ob in drei Wochen die Kurse wieder steigen. Zeitlich bleibt eben eine Unsicherheit.
Lukrativ für Investoren?
Sehr optimistisch klingt das nicht.
Man muss sagen: Noch haben wir keine klare Trendwende. Spannend sind etwa die weiteren Aussichten auf Fed-Zinserhöhungen und die Frage nach deren Auswirkungen. Russland wird davon voraussichtlich weniger betroffen sein als andere Emerging Markets, die stärker im Ausland verschuldet sind. Da wird Russland wohl eher keine Probleme haben, denn durch die Sanktionen hat das Land ja wenig Zugang zu Auslandsfinanzierung.
Welche russischen Unternehmen sind lukrativ für Investoren?
Was uns sehr gut gefällt, ist der Einzelhandelssektor, also die Supermarktketten. Das ist einer der Sektoren in Russland, wo wir sehr gutes Wachstum sehen. Und die Supermarktketten sind im Vergleich zu ihrer Historie immer noch sehr günstig bewertet. Zudem setzen wir stark auf das Dividendenthema: Da gibt es sieben bis acht Prozent, in manchen Fällen sogar zweistellige Dividendenrenditen. Interessant sind etwa die Vorzugsaktien im Ölsektor oder Gazprom Neft. Attraktiv ist auch der Metall- und Düngemittelbereich, denn diese Exporteure profitieren vom niedrigen Rubelpreis und bieten teilweise ordentliche Dividendenrenditen.
Sie verwalten neben dem Russland-Fonds auch den Raiffeisen Osteuropa-Fonds. Wie hat sich dieser 2015 entwickelt?
Wir hatten bis zum Frühjahr eine sehr gute Entwicklung, dann sind wir allerdings vom globalen Sentiment wieder nach unten getrieben worden. So hatte etwa die Türkei Probleme, weil die politische Situation instabil wurde. Das hat sich nach den Wahlen allerdings gegeben. Durch diese politische Stabilisierung glauben wir auch, dass der türkische Markt wieder sehr attraktiv ist. Auch das Reformprogramm der Regierung verspricht den Konsum anzukurbeln, etwa durch Mindestlohnerhöhungen und soziale Verbesserungen. Aber auch unternehmensfreundliche Maßnahmen wurden angekündigt, wie etwa Liberalisierungen im Arbeitsrecht. Daher rechnen wir mit einem nachhaltigen Wachstum in der Türkei.
Auch Griechenland ist in Ihrem Fonds vertreten. Wie wird sich der griechische Markt 2016 entwickeln?
Wir haben uns in Griechenland lange Zeit sehr stark zurückgehalten, vor allem bei den Banken. Wir haben selektiv in Nicht-Finanz-Titel investiert und das ist auch gut aufgegangen. Nun ist die Bankenrekapitalisierung allerdings erfolgreich abgeschlossen. Deshalb beginnen wir langsam in diesem Sektor zuzukaufen.
Polen gerät wegen seiner Rechtsregierung derzeit in die Schlagzeilen. Was bedeutet das für Anleger?
Wirtschaftlich ist Polen stark und profitiert von der guten Konjunktursituation in Westeuropa, da es dort sehr starke Exportverflechtungen gibt. Polen wird 2016 um dreieinhalb Prozent wachsen und vielleicht noch mehr. Das Makrobild ist also sehr positiv. Was nicht so positiv ist, ist die neue Regierung, die eher dem rechtspopulistischen Bereich zuzurechnen ist. Diese ist sicher nicht so investoren- und unternehmerfreundlich wie die vorherige Regierung. So soll etwa eine Bankensteuer eingeführt werden. Eine weitere Frage ist, wie Polen mit dem Thema Schweizer-Franken-Kredite umgehen wird. Eventuell ergreift die Regierung Maßnahmen bei privaten Pensionsfonds, die bereits vor einigen Jahren gestutzt wurden. Diese Punkte bringen eine gewisse Unsicherheit für Investitionen in Polen.
Wie wird sich der Osteuropa-Fonds 2016 Ihrer Meinung nach entwickeln?
Wie für Russland gilt, dass wir durch die extrem negative Marktentwicklung der letzten Tage und Wochen auf einem sehr tiefen Niveau angekommen sind. Das Sentiment ist für Osteuropa sicher seit längerer Zeit nicht sehr gut, vor allem durch die Russland-Thematik und zuvor auch durch die Turbulenzen in der Eurozone. Ich kann nicht sagen, ob wir den Tiefpunkt schon erreicht haben. Aber für antizyklische Investoren und langfristige Investments sind die Märkte attraktiv.