Saudi Aramco Ein Liter Öl für zwei Cent – damit toppt der Kronprinz den Börsenwert von Microsoft

Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi-Arabien. Quelle: dpa

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman verramscht seine künftige Ölförderung. Die Aktie des teuersten Unternehmens der Welt hat alles, was Investoren heute nicht wollen. Abnehmer wird sie trotzdem finden.

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Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen Tank mit tausend Liter Sprit kaufen, für, sagen wir mal, zehn Cent pro Liter. Würden Sie machen? Eben. Und deshalb wird Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman (liebevoll auch „MbS“ genannt), die Aktien von Saudi Aramco sicher los werden. Er muss nur mit dem Preis runtergehen. So ähnlich läuft es bei den Aktien von Saudi Aramco. Das Öl ist nur noch nicht im Tank, sondern noch in der Erde unter der Wüste.

Das teuerste Unternehmen der Welt besteht im Wesentlichen aus den gigantischen Ölvorkommen Saudi-Arabiens. Davon sollen jetzt eben ganz viele (noch nicht geförderte) Barrel zu Geld gemacht werden, weil die bereits aus der Erde gepumpten Barrel nicht mehr genug einbringen. Die Saudis wollen unabhängig vom Öl werden. Und ihnen schwant wohl auch, dass sie alles Öl womöglich gar nicht mehr aus der Erde holen und verkaufen können, jedenfalls nicht mehr so teuer. Prinz MbS hat Greta noch nicht getroffen, aber dass die Welt weg von fossilen Brennstoffen will, haben auch die Scheichs mitbekommen.

Mehr fördern und verkaufen können sie aber nicht, denn dann würden sie den Ölpreis nach unten drücken. Also wird das Öl unter der Wüste jetzt richtiggehend verramscht. Die erste Tranche soll mal eben 100 Milliarden Dollar bringen. Schlussverkauf bei MbS, sozusagen. Aber bekommen Anleger das Öl wirklich so billig?

von Heike Schwerdtfeger

Das Unternehmen zu bewerten, ist keine Rocket Science. Rechnerisch zählt vor allem: Wie viele Fässer oder Liter Ölreserven bekomme ich für mein Geld? Saudi Arabien hat, so schätzt BP – und die sollten es wissen – rund 300 Milliarden Barrel Ölreserven. Ein Barrel der saudischen Sorte „Arab Light“ kostet 67 Dollar, etwas mehr als die US-Sorte WTI oder das Nordseeöl Brent. (Auch interessant: Eine Gallone Benzin notiert bei 1,633 Dollar. Weil eine Gallone rund 3,8 Liter sind, kostet der Liter Benzin auf dem Weltmarkt also rund 43 Dollarcent.)

Analysten, die mit dem Börsengang befasst sind, bewerten Saudi Aramco mit 1200 bis 2300 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Apple kostet aktuell 1150 Milliarden Dollar, Microsoft 1100 Milliarden Dollar. Alles über 1500 Milliarden würde ich aber gleich wieder vergessen. Weil ihre Banken hunderte Millionen an Provisionen für den Börsengang bekommen – und je höher der Emissionserlös, desto mehr Provisionen – bewerten die Analysten, wie immer bei Börsengängen, nicht objektiv.

Selbst der Prinz ist wohl schon zurückgerudert, von einst über 2000 Milliarden auf nun 1700 Milliarden Dollar Unternehmenswert. Die unabhängigen Analysten des Hauses Sanford C. Bernstein & Co. haben das Unternehmen anhand der erwarteten Gewinne (zuletzt: 111 Milliarden Dollar pro Jahr) und Dividenden (erwartete Dividendenrendite: sechs bis sieben Prozent) bewertet. Laut Nachrichtenagentur Bloomberg bewerten Sanford C. Bernstein & Co. Saudi Aramco mit 1200 bis 1400 Milliarden. Unter 1200 Milliarden dürfte der Prinz nicht gehen, denn sonst wären am Ende ja Microsoft wertvoller, und Apple sowieso.

300 Milliarden Barrel Ölreserven für 1200 Milliarden Dollar, das heiß, ein Fass im Boden kostet 4 Dollar – nur sechs Prozent von dem, was ein Barrel auf dem Weltmarkt kostet. Umgerechnet auf uns vertrautere Einheiten: Einen Liter Rohöl im Boden bekomme ich für etwas mehr als zwei Eurocent. Klingt nach keinem schlechten Geschäft.

Vorausgesetzt wird bei der Rechnung, dass das ganze saudische Öl Saudi Aramco gehört, es gibt auch Schätzungen, die dem Staatskonzern 250 Milliarden Barrel zurechnen. Im Gegenzug ist auch nicht drin, was der Konzern an Logistik- und Förderinfrastruktur und anderen Vorkommen wie Erdgas noch so hat. Genaueres wird im Börsenprospekt stehen, den es hoffentlich nicht nur auf Arabisch gibt.



Wie aber kommt die Aktie wohl bei Investoren an? Der prominente Fondsmanager Henning Gebhardt sprach beim WirtschaftsWoche-Investmentgipfel vorsichtig von den „Themen aus dem letzten Jahr“, die hier sicher auch eine Rolle spielen. Was er meinte: Prinz MbS führt nicht nur einen grausamen und Tausende zivile Opfer fordernden Krieg im Jemen. Er hat auch den Regimegegner Dschamal Khashoggi im letzten Jahr in Saudi-Arabiens Botschaft in Istanbul umbringen und in Stücke hacken lassen (bis zu einer Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung). Ein WirtschaftsWoche-Kollege spricht deshalb nur von Saudi Aramco als der „Verbrecher-Aktie“. Kollegin Heike Schwerdtfeger textet von der „Bösen-Gang“.

Tatsache ist: In der Geldbranche ist heute viel von Nachhaltigkeit die Rede. Mit Klimakillern, Frauendiskriminierung, Waffen und ethisch zweifelhaften Praktiken wollen ganz viele Fonds nichts zu tun haben. Sagen sie jedenfalls. Oft ist da allerdings eine gehörige Portion Doppelmoral im Spiel. Etwa, wenn der norwegische Staatsfonds, der seine 800 Milliarden Euro vor allem aus dem jahrzehntelangen Verkauf von Nordseeöl angehäuft hat, jetzt alle Öl- und Kohleaktien rauswirft (während Norwegen in der Nordsee aber weiter fleißig fördert).

Nimmt man die ganzen Nachhaltigkeitskriterien ernst und legt man auch noch die Regeln guter, investorenfreundlicher Unternehmensführung zugrunde, dann hat die Aktie alles, was Anleger heute nicht mehr wollen: Sie kaufen den nicht-nachhaltigen fossilen Klimakiller par excellence. Sie haben, weil vermutlich über 97 Prozent der Aktien beim Staat bleiben, nichts, aber auch gar nichts zu sagen. Nicht zu unterschätzen ist auch das Thema Diversity: „Wie viele Frauen sitzen im Vorstand? Wie viele Frauen sitzen im Aufsichtsrat? Und wie werden sie gekleidet sein?“ fragte neulich ein erfahrener Investor. Tja.

Und am Ende besteht dann auch noch das Risiko, dass es einen Krieg oder eine Revolution gibt und der Investor schlicht enteignet wird. Trotzdem wird MbS seine Aktien sicher loswerden. Sie werden gleich mächtiges Gewicht in den Schwellenländer-Aktienindizes haben, sodass viele Fonds sie kaufen müssen. Westliche Privatanleger, die mitspielen wollen, müssen einen Schwellenländer-Fonds kaufen, denn Zugang zur Börse in Riad haben sie nicht. Die Chinesen wollen zudem Aktien zeichnen – Menschenrechtsverletzungen im Jemen und Nachhaltigkeitskriterien sehen sie eher nicht als Problem. Und auch die reichsten saudischen Familien werden reichlich kaufen. Denen blieb wohl auch nichts anderes übrig. Hätten sie sich geweigert, hätte König Salman sie wohl wieder, wie vor zwei Jahren seine der Korruption verdächtigen Verwandten, im Ritz Carlton in Riad zusammengetrieben. Und so lange festgehalten, bis sie zahlen.

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