Schlechte Zeiten für Sparer „Epischer Anlagenotstand“ in Deutschland

Weltweit werfen Anleihen für Einsteiger nur noch negative Renditen ab. Anleger sind bereit, immer höhere Risiken einzugehen. Die Rendite-Tiefstände sind laut Volkswirten erreicht – aber es gibt keinen Grund zur Freude.

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Bundesanleihen dürften auch auf längere Sicht kaum Zinsen abwerfen. Quelle: Imago

Frankfurt Weltweit werfen Anleihen im Umfang von 10,7 Billionen Dollar für Einsteiger nur noch negative Renditen ab. Sparer, die die Papiere jetzt kaufen und bis zur Fälligkeit halten, zahlen somit drauf. Sie bekommen trotz Zinsen am Ende der Laufzeit weniger Geld zurück als sie angelegt haben. In Deutschland ist zwar die Rendite der viel beachteten Bundesanleihe am vergangenen Freitag wieder über die Marke von null Prozent gestiegen. Das aber nur hauchdünn mit zuletzt 0,05 Prozent.

Die Volkswirte der größten Mitgliedsinstitute des Bundesverbands Öffentlicher Banken (VÖB) hatten dabei bei ihrer halbjährlichen Zinsprognose-Pressekonferenz am Mittwoch für Anleger keine guten Nachrichten im Gepäck: Selbst wenn die Renditen langfristig steigen sollten, würde dies mit einer höheren Inflation einhergehen, betont Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Die Realzinsen abzüglich der Inflation lägen dann immer noch bei null. Katers Fazit: „Die Jagd nach Rendite geht noch zehn Jahre weiter.“

Die Jagd nach Rendite bedeutet, dass Anleger bereit sind, immer höhere Risiken einzugehen. Auch Ulrich Krauss, Volkswirt bei der Helaba, geht davon aus, dass sie anhält. Dabei könne man schon jetzt „fast von einem epischem Anlagenotstand“ sprechen, meint Krauss. Das gilt besonders für Deutschland. Dort rentierten nach Berechnungen der Helaba im August Staatsanleihen, Pfandbriefe und Unternehmensanleihen im Umfang von 1,98 Billionen Euro im Minus. Demgegenüber standen nur Zinspapiere über 0,71 Billionen Euro mit einer positiven Rendite. Eine „Schieflage am Rentenmarkt“ nennt Krauss dies.

Immerhin: Die Tiefstände bei den Renditen sollten Anleger nach – fast – einhelliger Meinung der vom VÖB geladenen Ökonomen gesehen haben. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass Investoren kaum noch auf Kursgewinne hoffen können. Diese waren in diesem Jahr massiv und haben Zinspapiere in diesem Jahr besser als Aktien abschneiden lassen. Doch warum geht es nicht weiter mit den Kursgewinnen und den Renditerückgängen? Für die Volkswirte liegt das vor allem daran, dass die „Geldpolitik-Party“ langsam zu Ende geht, wie Kater es ausdrückt.

In der Tat hat die Bank of Japan erklärt, dass die Zinsen nicht weiter fallen sollen, und zuletzt machten sogar Gerüchte die Runde, dass die Europäische Zentralbank (EZB) über eine Verringerung ihrer Anleihekäufe nachdenkt. Das dementierte die EZB zwar umgehend, die Märkte belastete es dennoch. Die Ökonomen gehen davon aus, dass die Währungshüter um Mario Draghi im Dezember eine Verlängerung ihres Anleihekaufprogramms beschließen. Bislang hat die EZB schon Anleihen, vor allem Staatspapiere, im Umfang von 1,3 Billionen Euro gekauft. „Für einen Ausstieg aus der quantitativen Lockerung ist es noch zu früh“, ist Christian Lips, Volkswirt bei der NordLB überzeugt.

Kater von der Dekabank geht davon aus, dass die EZB ihr bislang für März 2017 terminiertes Anleihekaufprogramm in veränderter Zusammensetzung bis in den September 2017 verlängern wird. Über die nächsten Schritte der EZB dürfte dennoch schon früher spekuliert werden. Hendrik Lodde, Zinsstratege bei der DZ Bank, meint, dass eine sich belebende Debatte um das sogenannten Tapering – ein Auslaufen der geldpolitischen Stimuli – die Anleihemärkte aber der zweiten Jahreshälfte 2017 belasten wird.


Die Prognosen im Einzelnen

Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), sieht in einer Tapering-Debatte noch größere Gefahren. Als die US-Notenbank im Mai 2013 erstmals den Anfang vom Ende ihrer lockeren Geldpolitik nur andeutete, stieg die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen innerhalb von drei Monaten um rund einen Prozentpunkt. Auch bei Bundesanleihen könnte ein ähnlicher Schock drohen, meint Burkert. Sein Hauptszenario ist dies aber nicht. Er erwartet, dass die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe in sechs Monaten bei 0,25 und in einem Jahr bei 0,5 Prozent liegen wird. Dabei dürften unter anderem steigende Inflationserwartungen die Kurse der Anleihen drücken und ihre Renditen im Gegenzug stiegen lassen.

Damit liegt Burkert mit seinen Prognosen am oberen Ende der Zins-Auguren. Die niedrigsten Renditen erwartet Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der HSH Nordbank. Er geht ¬ anders als seine Kollegen davon aus – dass die zehnjährige Bund-Rendite noch einmal abrutschen wird, und zwar auf minus 0,15 Prozent im kommenden April. Ihr historisches Tief hatte die Rendite Anfang Juli kurz nach dem Votum der Briten gegen die Europäische Union mit minus 0,2 Prozent markiert. In einem Jahr wird die zehnjährige Bundesanleihe laut de la Rubia immer noch im Minus rentieren, und zwar mit minus 0,1 Prozent.

Skeptisch stimmt den HSH-Nordbanker dabei vor allem die wachsende politische Unsicherheit. In der Euro-Zone würde die Nervosität voraussichtlich zwischen März und Juni ihren Höhepunkt erreichen. Schließlich dürften in diesem Zeitraum die Brexit-Verhandlungen beginnen, in den Niederlanden wird ein neues Parlament und in Frankreich ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt.

„Da die Befürchtung im Raum steht, dass sich rechtspopulistische Kandidaten bei diesen Wahlen durchsetzen können, könnte es an den Finanzmärkten turbulent zugehen“, fürchtet de la Rubia. Dies würde bedeuten, dass Anleger erneut in sichere Anlagehäfen wie Bundeanleihen fliehen, bei denen der Kapitalerhalt – abzüglich der Minus-Renditen – als gesichert gilt.

Und was ist mit den US-Wahlen? Die von ihrem Bundesverband befragten Volkswirte der öffentlichen Banken gehen davon aus, dass der Republikaner Donald Trump nicht das Rennen machen wird. Falls doch, wären die Marktreaktionen kurzfristig heftig, meint Kater von der Dekabank: Die Aktienmärkte dürften dabei ebenso sinken wie die Anleihekurse und der Dollar. Doch auch wenn Trump nicht gewinnt, dürften die Renditen der US-Staatsanleihen stärker steigen als die der Bundesanleihen.

Das liegt daran, dass die US-Notenbank entweder nach den US-Wahlen im Dezember oder spätestens bis März 2017 erneut die Zinsen anheben sollte. Ein bis zwei weitere Zinsschritte im kommenden Jahr sollten folgen. Ob die nächste Zinsanhebung um einen viertel Prozentpunkt auf eine Spanne von 0,5 bis 0,75 Prozent aber im Dezember oder erst im kommenden März erfolge, sei letztlich irrelevant, meint Norbert Wuthe von der BayernLB: Die makroökonomischen Auswirkungen eines solchen Schritts wären so oder so gering.

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