Schwache Aktienkultur Deutsche Sparer sitzen in der Zinsfalle

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Wer nicht wagt, der nicht gewinnt


Zeitintensiv werden die Hausaufgaben, wenn Anleger auf Einzelaktien setzen wollen. Je größer und verzweigter ein Unternehmen und je komplexer dadurch die Datenlage ist, desto länger dauert es, um zu einer fundierten Einschätzung zu kommen. „Zahlen sind nur ein Aspekt“, sagt Wittich. „Darüber hinaus sind viele weitere Aspekte zu berücksichtigen. Etwa, in welchem Markt sich das Unternehmen bewegt, wie die zukünftige Entwicklung eingeschätzt wird, wie das allgemeine konjunkturelle Umfeld ist, und insbesondere, ob ich als Investor wirklich alle Fakten kenne – siehe etwa der Dieselskandal.“

Die wenigsten Anleger haben überhaupt das Wissen, um ein Unternehmen derart detailliert zu analysieren. Wer sich mit Finanzkennzahlen beschäftigt, benötigt ein wenig Fachkenntnis. „Ich selber habe fast zehn Jahre benötigt, um das einigermaßen zu beherrschen“, gibt Fondsmanager Bruns offen zu. Immer wieder heißt es, das Finanzwissen der Deutschen sei mangelhaft. Damit ist nicht das Detailwissen gemeint, sondern die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Diese Kritik mag in Teilen stimmen, doch den Experten geht sie nicht weit genug, um die Aktienabstinenz einzig damit zu erklären. Es liege vor allem am extrem hohen Sicherheitsbestreben, dass die Aktienkultur in Deutschland derart unterentwickelt sei.

„Getreu dem Motto ‚Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach‘ nehmen die meisten Sparer in Deutschland Nullzinsen in Kauf, um den Kapitalerhalt – zumindest vor Inflation – sicherzustellen“, sagt Metzger. Dabei sei den meisten sehr wohl bekannt, dass sie dabei auf längere Sicht nach Inflation Geld verlieren. „Trotz der Erkenntnis fehlt vielen der Mut, etwas zu wagen“, ergänzt die Expertin. Es fehle sowohl bei Jung und Alt oft der Anstoß zur Veränderung. „Die ältere Generation erkennt häufig den Nutzen nicht, warum sie ihre Strategie ändern sollte, die doch die letzten Jahrzehnte mit Zinseszinseffekt durchaus erfolgreich war“, so Metzger. „Die junge Bevölkerung meistert den Spagat zwischen Beruf und Familie, kämpft um ein bisschen freie Zeit für sich - und findet dabei kaum Gelegenheit, sich an die Finanz-Hausaufgaben zu setzen.“ Hier seien externe Impulse gefragt. Negativzinsen allein reichen demnach nicht für ein Umdenken aus.

Auch Wittich sieht einen Hauptgrund in der Risikoscheu der Deutschen. „Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass im internationalen Vergleich der Anteil an Unternehmern und Selbständigen in Deutschland nicht sehr hoch ist“, sagt er. Hinzu kommt, dass sich gerade Jüngere sehr stark am Verhalten der Älteren orientieren.

Und die Deutschen sind eben kein Volk von Aktionären, sondern eher ein Volk von Bausparern. Jahrzehntelang sind sie mit eher risikoarmen Anlagen wie etwa Bundesschatzbriefen gut gefahren und haben einfach Geld verdient. „Generell scheinen die Deutschen bei der Einschätzung des Rendite-Risiko-Verhältnisses vieler Anlagen ein verzerrtes Bild zu haben“, sagt der Experte der Sutor Bank. „Denn es wird erstaunlicherweise von vielen als nahezu risikolos angesehen, sein gesamtes vorhandenes Geld und eventuell noch zusätzliche Kredite dafür aufzunehmen, um eine einzige Immobilie zu kaufen.“ Der Wert einer Immobilie steige jedoch nicht einfach linear nach oben. Es könne auch schnell nach unten gehen, wenn etwa eine ungünstige Bebauung in der Nachbarschaft erfolge.

Trotzdem gelten Immobilien als extrem sicher, Aktien als extrem riskant. Müssten in Zeiten von Null- und (realen) Negativzinsen nicht viel mehr Deutsche ihre Hausaufgaben machen und die Aktie für sich entdecken? „Ein klares Ja“, sagt Metzger. „Aktien oder Aktienfonds gehören in jede gut strukturierte, langfristig orientierte Vermögensanlage.“ Wäre da nicht die deutsche Mentalität, bedauert Wittich. „Viele verstehen nicht, was Inflation für das Geldvermögen bedeutet“, sagt er. Allein durch die Bekanntmachung der offiziellen Inflationsrate sei dies für viele auch nicht greifbar. „Erst dann, wenn das Geld ausgegeben wird und man feststellt, dass sich Preise nach oben verändert haben, kommt das Erwachen.“

Zumindest sollten sich alle Anleger von Zeit zu Zeit den Ratschlag von Börsenaltmeister André Kostolany zu Herzen nehmen: „Manchmal ist es besser, eine Stunde über sein Geld nachzudenken, als eine Woche dafür zu arbeiten.“

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