Siemens Healthineers Schwach platziert, gut gestartet und Chance auf mehr

Bernd Montag, CEO von Siemens Healthineers in Frankfurt an der Deutschen Börse. Quelle: REUTERS

Trotz rückläufiger Kurse hat Siemens den Börsengang der Tochter Healthineers durchgezogen. Bietet gerade das jetzt Chancen ? Über Siemens-Töchter an der Börse und die Lehren und Aussichten für Anleger.

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Mit wenig Strom volle Power erzeugen, das war schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert ein hehres Ziel. Wie sich das anfühlt, das bekam Friedrich August Siemens 1844 zu spüren. Der damals 17-jährige bekam mächtige Stromstöße von seinem Bruder Werner von Siemens verpasst, mittels eines sogenannten Volta-Induktors, der in der Lage war, aus relativ wenig Strom eine starke Spannung zu erzeugen. Werner von Siemens, Gründer des heutigen Weltkonzerns, war dabei alles andere als ein Sadist, sondern im Gegenteil Wohltäter. Denn der Bruder litt unter starken Zahnschmerzen, die mittels Volta-Induktors zeitweise gelindert werden konnten.

Wer die Wurzel der Medizintechnik-Sparte von Siemens sucht, die heute weltläufig Healthineers heißt und die seit dem heutigen Freitag an der Börse ist, der findet sie genau in dieser Episode aus dem Jahr 1844. Als Firmenbasis von Healthineers gilt aber die 1886 gegründete Unternehmung Reiniger, Gebbert & Schall (RGS). 1925 übernimmt Siemens & Halske die Firma, als sie nach Fehlspekulationen am Abgrund steht. RGS wird in Siemens-Reinigerwerke AG umbenannt. 1966 geht sie mit Siemens & Halske und Siemens-Schuckertwerke in der Siemens AG auf. 1967 kommt das erste Ultraschallgerät auf den Markt, 1971 folgt der Computertomograph, 1981 das MRT. Die Labordiagnostik baut Siemens Anfang dieses Jahrhunderts mit milliardenschweren Zukäufen aus.

Dennoch dominiert die jedermann bekannte Röntgen-, Computertomografie (CT)- und Magnetresonanztherapie-Geräte (MRT) die Sparte. MRT und CT stehen für als die Hälfte des Umsatzes von zuletzt 13,8 Milliarden Euro – Siemens Healthineers sieht sich da selbst als Weltmarktführer. Die Nummer zwei weltweit hinter der Schweizer Roche sind die Münchner in der Labordiagnostik, der Auswertung von Blut- oder Urintests also, die mit 4,2 Milliarden Euro für 30 Prozent vom Umsatz stehen. In der Labordiagnostik soll das neue Diagnose-System „Atellica“ Schwung bringen, um die operative Umsatzrendite von 14 Prozent aufzubessern.

Schon einmal jedoch scheiterte Siemens mit dem Versuch, mit einem neuen System den Rückstand auf den Rivalen Roche zu verringern. Das Problem: Wer einmal Kliniken und Labore als Kunden hat, der wird nicht so schnell ersetzt. In der Regel bleiben Anbieter dann 10 bis 15 Jahre Lieferant. 90 Prozent des Umsatzstroms fließen deshalb verlässlich und unabhängig vom Neugeschäft. Dass der Marktanteil in der Diagnostik nun sogar bröckele, kritisieren die Analysten von Barclays. Dabei wächst der Labordiagnostik-Markt ziemlich stark mit bis zu fünf Prozent pro Jahr. Nach vorne kommen soll auch die „Advanced Therapies“ kleinste Healtineers-Sparte. Dabei geht es um technische Hilfsmittel für Operationen und die Behandlung von Krankheiten, mit denen im abgelaufenen Geschäftsjahr 1,5 Milliarden Euro an Erlösen erzielt wurde.

Mit dem Börsengang am heutigen 16. März erhofft sich Siemens, den Wert des Gesamtkonzerns über eine stärkere Transparenz und Offenlegung zu steigern. Medizintechnik-Unternehmen wie Healthineers sprechen Investoren an der Börse höheren Wert zu, da sie weniger zyklisch sind als klassische Industriekonzerne. Zudem hat Healthineers bald eine eigene Währung, die eigenen Aktien nämlich. Zukäufe können die Münchner dann selbst stemmen, der Labordiagnostiker Qiagen aus Hilden etwa würde gut zur Siemenstochter passen. „Durch den Börsengang erhalten wir die zusätzliche Freiheit, die wir brauchen, um unsere globale Führungsrolle weiter auszubauen“, sagt jedenfalls Healthineers-Chef Bernd Montag. „Wir sind in einer starken Position, um die Zukunft des Gesundheitswesens zu gestalten.“

Siemens hat eine lange Tradition an Abspaltungen. Spektakulär war einst der Börsengang der Chip-Tochter Infineon. Inzwischen von der japanischen TDK übernommen wurde Epcos. Die ehemalige Siemenstochter mit dem Schwerpunkt elektronische Bauelemente, war ebenfalls ein Börsenstar, brach aber im Jahrtausendtechcrash ebenso spektakulär ein. Ziemlich gut, trotz zahlreicher Unstimmigkeiten mit der inzwischen ehemaligen Mutter, schlägt sich dagegen der Leuchtenkonzern Osram in seinen Geschäften und an der Börse.

Noch nicht richtig ins Laufen gekommen ist der jüngste Siemens-Spross an der Börse: der Windkraftkonzern Siemens Gamesa leidet unter starker Konkurrenz. Kurz nach der Fusion 2017 kam es zum Krach mit dem zweiten Großaktionär Iberdrola, der im Aufsichtsrat Streit anzettelte. Und auch eine Gewinnwarnung aus dem Baskenland traf die Zentrale in München völlig überraschend. Mehr aus einer Abwehrhaltung heraus bastelte Joe Kaeser auch am zukünftigen Zugtechnik-Konzern Siemens Alstom, bei dem dieses Jahr die Fusion finalisiert werden dürfte.

Kein Geld für Healthineers

Der Erlös aus dem jetzigen Börsengang über nun 4,2 Milliarden Euro geht vollständig an den Mutterkonzern, Healthineers selbst bekommt kein Geld. Allerdings zahlt Siemens wohl zum Börsengang etwa die Hälfte der Schulden der Erlanger Tochter zurück, um dieser einen größeren Spielraum für Übernahmen zu geben; die Nettoschulden von Healthineers sollen so auf um die vier Milliarden Euro sinken. Im Verhältnis zum letztjährigen bereinigten Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen (Ebitda) bedeutete dies einen Faktor von rund 1,3. Damit hätte Healthineers wohl ein Rating im oberen Bereich der Investitionsklasse, so um A-. Organisiert wurde der Börsengang von der Deutschen Bank, Goldman Sachs und JP Morgan.

Die Aktienmehrheit soll auf Dauer bei Siemens bleiben, betont Siemens Chef Josef Kaeser immer wieder. Der Börsengang, bei dem 150 Millionen Aktien zu 28 Euro an die Zeichner zugeteilt wurden, fällt deutlich kleiner aus als der der ehemalige Siemens-Tochter Infineon (6,07 Milliarden), im Jahr 2000. Dennoch könnte das dazu reichen, dass Healthineers bald in den Nebenwerte-Index MDax einzieht. Neben dem Börsenwert des Streubesitzes ist noch das Handelsvolumen ein wichtiges Kriterium. Obwohl Siemens nur 15 Prozent von Healthineers abgibt (weitere zehn Prozent sollen folgen) dürfte ein hoher Umschlag kein Problem sein, da ja trotzdem immerhin 150 Millionen Stück handelbar sind.

Healthineers gilt als rentabelste und wertvollste Sparte von Siemens, die mit einem um Kaufpreiskosten bereinigten operativen Gewinn (vor Steuern und Zinsen, Ebit) von 2,5 Milliarden Euro zuletzt rund ein gutes Drittel der operativen Konzernerträge erwirtschaftete. Mit einer Ebit-Marge von 18,5 Prozent ist Healtineers die Margenperle im Siemens-Konzern. Bis 2020 dürfte die Marge sogar auf 19,9 Prozent steigen, hat Morgan Stanley ausgerechnet. Das Umsatzwachstum aus eigener Kraft veranschlagt Healthineers auf vier Prozent pro Jahr – seit 2012 lag es zwischen 2,0 und 4,8 Prozent.

Schaffen die Münchner die vier Prozent und die verbesserte Marge, dann entspräche das 2020 einem Umsatz von 15,5 Milliarden Euro und einem bereinigten Gewinn vor Steuern und Zinsen von knapp 3,1 Milliarden Euro. Allerdings gelten solche Planungen als ambitioniert. Die geplanten Umsatzrenditen von 20 bis 22 Prozent bei bildgebenden Geräten, wie Computertomografen, fordern die großen Wettbewerber wie General Electric und Philips heraus. Wie schnell das Geschäft dreht, zeigte sich im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres. Der Dollareinbruch bescherte Healthineers einen Erlösrückgang von vier und einen Ergebnisminus von sogar 15 Prozent. Die Marge sank auf nur noch 16,9 Prozent, auch die Ordereingänge waren deutlich rückläufig. Risiken liegen auch auf der Bilanz. Die Übernahmetour nach der Jahrtausendwende hat zu abschreibungsgefährdeten Firmenwerten über gut acht Milliarden Euro geführt. Naturgemäß ließ Finanzvorstand Jochen Schmitz die „Börsen-Zeitung“ wissen, dass diese bilanzierten Übernahmeprämien „durch den Wert des Geschäfts gut gedeckt“ seien.

Das muss aber nicht so bleiben, wie schon viele Aktionäre leidvoll über milliardenschwere Abwertungen erfahren mussten, so bei der Deutschen Telekom, E.On oder der Deutschen Bank etwa. Kritisch ist zu betrachten, dass die Firmenwerte 277 Prozent des Eigenkapitals betragen. Analytisch betrachtet ist damit die ohnehin schon geringe Eigenkapitalquote von 15 Prozent eigentlich negativ. Nach den Planungen soll Healthineers künftig 50 bis 60 Prozent seines Gewinns als Dividende ausschütten. Das wären für dieses Jahr bestenfalls knapp eine Milliarde Euro, wovon 85 Prozent an Siemens fielen, sollten bis Geschäftsjahresende keine weiteren Healthineers-Aktien an die Börse gebracht werden.

Sieben Billionen Euro schwer sei der Gesundheitsmarkt, doch 50 Prozent davon entfallen auf Personalkosten. Nur ein Prozent des Umsatzes gäben Krankenhäuser für Technik aus – dabei lägen hier die größten Einsparpotenziale, so wirbt zumindest Healthineers. Wenn der Computer die Röntgenaufnahme auswerte, könne sich der Arzt mehr um den Patienten kümmern statt stumpfer Routine vor dem Bildschirm.

Kritische Ansichten großer deutscher Investmentfonds

Große deutsche Investmentfonds sahen die Börsenpläne von Siemens für die Medizintechnik-Sparte Healthineers aber schon im Vorfeld kritisch. „Warum soll die Ertragsperle Healthineers gerade jetzt an die Börse gebracht werde, wo das Geschäft dort glänzend läuft und weite Teile des restlichen Geschäfts von Siemens unter Druck stehen“, fragte Portfoliomanager Ingo Speich von Union Investment auf der diesjährigen Siemens-Hauptversammlung. Der Börsengang drohe den Siemens-Aktionären zu schaden. „Wie werden die Altaktionäre entschädigt, denen ein Juwel aus der Siemens-Krone gebrochen wird?“ Speich kritisierte, dass Siemens bisher nicht gesagt habe, was man mit dem Milliardenerlös aus der Emission anfangen wolle.

Sind aber die Einzelteile von Siemens mehr wert als das Ganze? Ja, meint zumindest Vorstandschef Joe Kaeser. Denn Konglomerate seien out. „Mischkonzerne alter Prägung, die vielfach von Mittelmäßigkeit dominiert werden, wird es bald nicht mehr geben“, sagte er schon im November. Zusammengehalten werde ein Unternehmen wie Siemens eigentlich nur von der gemeinsamen Marke. Denn was darin steckt, ändert sich mit der Zeit.

Schon heute hat Siemens mit dem Unternehmen zu Beginn des Jahrtausends nur noch 50 Prozent gemein. Doch das bedeutet auch: Machtverlust. Größere Offenheit kann aber auch gefährlich sein, wenn es mal schlecht laufen sollte: Das kann auch für aktivistische Aktionäre ein Spielfeld sein. Dabei wollte Kaeser deren Begehrlichkeiten mit der neuen Struktur eigentlich zuvorkommen. Noch beteuert er, dass alle börsennotierten Töchter auch künftig mehrheitlich zu Siemens gehören würden.

Die Preisspanne für die 150 Millionen Papiere der Erlanger Tochter, die bis zum 15. März gezeichnet werden konnten, lagen bei 26 bis 31 Euro. Mit dem Ergebnis von 28 Euro lag Siemens am Ende also näher am unteren Ende der Spanne – eine herbe Enttäuschung, liegt der gesamte Börsenwert doch nur bei 28 Milliarden Euro. Zahlreiche Analysten gingen ursprünglich von einer Bewertung von mehr als 40 Milliarden Euro aus. Hätte Siemens wie erwartet ein Viertel zu dieser Bewertung unter die Leute bringen können, wären auf die Münchner Konten zehn Milliarden Euro geflossen. So stellte Kaeser vor allem den Börsengang sicher, bei eher schwach tendierenden Märkten. Den Preis dafür zahlen die Siemensaktionäre.

Grundsätzlich ein Schnäppchen

Wer spitz rechnet kommt, falls Healthineers seine Prognose hält, auf ein geschätztes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von um 18 gemessen an den ersten Börsenpreise vom Freitagmorgen um 29,20 Euro – also rund vier Prozent oberhalb des Emissionspreises. Ein KGV um 18 ist grundsätzlich als Schnäppchen zu bezeichnen bei den aktuell sehr hohen Bewertungen.

Healthineers soll eigene Aktien künftig als Akquisitionswährung für weitere Zukäufe auf dem rund 50 Milliarden Euro Jahresumsatz schweren Markt für bildgebende Diagnosegeräte, Laborausrüstung und Operations-Roboter nutzen können. Das Ziel von Kaeser mit Healthineers zu zeigen, dass die Einzelteile des Konzerns in der Summe eben mehr wert sind als Siemens insgesamt, das wurde jedenfalls bisher verfehlt. Das Industriekonglomerat wird nach dem jüngsten Kursrutsch nur noch mit 90 Milliarden Euro bewertet, bei der aktuellen Bewertung von Healthineers ergibt sich rechnerisch keine Verbesserung des Siemens-Gesamtkonzerns.

Die Healthineers-Aktie selbst ist auch wegen der sehr ordentlichen Dividendenrendite, die perspektivisch vier Prozent erreichen sollte, einen Blick wert. Blütenträume sollten Anleger aber nicht hegen. Denn sollte Siemens tatsächlich 75 Prozent behalten, dürfte das die Kursentwicklung bremsen. Möglicherweise droht Healthineers-Aktionären dasselbe Schicksal wie den Anteilseignern von Evonik. Da wacht seit Jahr und Tag der Großaktionär RAG Stiftung und trotz haussierender Märkte kam die Aktie des Chemikers deshalb seit ihrem Börsengang vor über fünf Jahren nicht vom Fleck. Anleger dürfen aber Healthineers-Anteile kaufen, mit einem eng gelegten Stopp bei etwa 25 Euro. Kurse deutlich oberhalb von 30 Euro wären aber für kurzfristig orientierte Anleger angesichts voraussichtlich weiter wackliger Börsenlage eher zu Gewinnmitnahmen geeignet.

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