Eine der späten Erkenntnisse des Internet-Hypes bis 2000 war, dass auch die scheinbar reibungsfreie, virtuelle Welt mit realen Kosten verbunden ist. Anlegern, die in den letzten Jahren massiv in Anbieter von Cloud Computing investiert haben, das derzeit als allein selig machendes Geschäftsmodell in der Softwarebranche gilt, droht eine ähnlich schmerzhafte Erkenntnis. Auch die Anbieter cloudbasierter Software verkaufen schließlich Softwarecodes, genau wie Microsoft oder Oracle. Nur die Vertriebs- und Bezahlmodelle sind andere: Die Programme werden nicht mehr pro CD verkauft, sondern liegen auf Servern, irgendwo in der globalen Datenwolke („cloud“); Kunden dürfen sie nutzen und zahlen Miete für die Dauer des Vertrags.
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Die neuen Softwareanbieter gleichen somit eher Telekomkonzernen als den alten Softwareunternehmen: Ihre Umsätze sind stabiler, aber sie wachsen auch nicht mehr exponentiell, nachdem ein neuer Kassenschlager erfunden wurde. Vor allem hat die Börse bisher offenbar die hohen Fixkosten dieses Vertriebsmodells unterschätzt: Um ihre Software zum weltweiten Abruf via Internet bereitstellen zu können, müssen die Cloud-Anbieter riesige Server-Cluster bauen und erhalten.
Die hohen Fixkosten sind es offenbar, die den meisten Cloud-Anbietern derzeit in die Hacken laufen. Ihre Umsätze wachsen ganz ordentlich, aber die Gewinne zeichnen ein verheerendes Bild; zurzeit sind sie die rentabilitätsschwächste Gruppe in der gut 40-jährigen Geschichte der Softwarebranche.
Ein Beispiel ist Workday, eine Firma, die Personalmanagement-Software vermietet. Der Umsatz dürfte im laufenden Geschäftsjahr um 67 Prozent auf 785 Millionen US-Dollar steigen. Dabei wird Workday aber lediglich 7,6 Millionen Dollar Gewinn generieren. Schuld sind Investitionen, hauptsächlich in neue Server, in Höhe von 101 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Microsoft wird in diesem Jahr eine Free-Cash-Flow-Rendite von 26 Prozent schaffen. Das heißt: Microsoft wird aus 98 Milliarden Dollar Umsatz satte 25 Milliarden freie Mittel generieren, die es ausgeben kann, wie es will: für Dividenden und Aktienrückkäufe, oder einfach sparen. Investitionskosten sind, wie alle anderen Kosten, schon abgezogen.
Top 10 der Softwareunternehmen nach Umsatz 2013
Umsatz: 3,8 Milliarden Dollar
Wachstum: 33,3 Prozent (gegenüber dem Vorjahr)
Quelle: Gartner, März 2014
Umsatz: 4,2 Milliarden Dollar
Wachstum: -2,6 Prozent
Umsatz: 4,8 Milliarden Dollar
Wachstum: 14,1 Prozent
Umsatz: 4,9 Milliarden Dollar
Wachstum: -2,7 Prozent
Umsatz: 5,6 Milliarden Dollar
Wachstum: 4,9 Prozent
Umsatz: 6,4 Milliarden Dollar
Wachstum: -0,8 Prozent
Umsatz: 18,5 Milliarden Dollar
Wachstum: 9,5 Prozent
Umsatz: 29,1 Milliarden Dollar
Wachstum: 1,4 Prozent
Umsatz: 29,6 Milliarden Dollar
Wachstum: 3,4 Prozent
Umsatz: 65,7 Milliarden Dollar
Wachstum: 6,0 Prozent
Der Vergleich hinkt natürlich, denn Microsoft ist ein 40 Jahre altes Unternehmen, und viele der Cloud-Anbieter sind keine zehn Jahre alt. Doch die Rentabilität ist bei fast allen mager. Das zeigt ein Überblick über die 22 wichtigsten Cloud-Spezialisten, etwa Workday, Sabre, ServiceNow und Marketo. Im Schnitt bleiben nur 4,5 Prozent des Umsatzes als freier Cash-Flow übrig. Das ist unwesentlich besser als die zwei Prozent des Online-Händlers Amazon, der als eines der margenschwächsten Technologieunternehmen weltweit gilt.
Investieren um jeden Preis
In die Kritik geraten sind die Softwareanbieter zuletzt wegen ihres freizügigen Umgangs mit Aktienoptionen, mit denen etwa leitende Angestellte entlohnt werden. Workday gab in den ersten neun Monaten dieses Jahres 117 Millionen Dollar oder sagenhafte 21 Prozent des Umsatzes für Aktienoptionen aus. Bei Salesforce.com, dem größten Cloud-Softwareanbieter, lag der Aufwand in Prozent halb so hoch, aber 413 Millionen Dollar sind eine stolze Summe.
Vor- und Nachteile des Cloud Computing
Wenn ein Unternehmen seine Kundendatenbank nicht im eigenen Rechenzentrum pflegt, sondern einen Online-Dienst wie Salesforce.com nutzt, spart es sich Investitionen in die Infrastruktur. Die Abrechnung erfolgt außerdem zumeist gestaffelt, zum Beispiel nach Nutzerzahl oder Speicherverbrauch. Geschäftskunden erhoffen sich dadurch deutliche Kosteneinsparungen.
Wer Speicherplatz im Netz mietet, kann flexibel auf die Nachfrage reagieren und den Bedarf unkompliziert und schnell erhöhen oder versenken. Wenn beispielsweise ein Startup rasant wächst, fährt es einfach die Kapazitäten hoch. Somit fallen auch niedrige Fixkosten an.
Die Installation auf den eigenen Rechnern entfällt. Damit lässt sich ein neues System äußerst schnell einführen. Auch die Updates bereiten keine Probleme mehr, somit sinkt der Administrationsaufwand. Allerdings lassen sich die Cloud-Dienste in der Regel auch nicht so individuell konfigurieren.
Zur Nutzung der Cloud-Dienste benötigen Mitarbeiter lediglich einen Internetanschluss – unabhängig von ihrem Aufenthaltsort und dem Gerät, das sie nutzen.
Die Daten-Dienstleister werben damit, dass sie sich intensiver mit der IT-Sicherheit beschäftigen als einzelne Nutzer oder Unternehmen. Allerdings sind die Rechenzentren der Cloud-Anbieter aufgrund der großen Datenmenge auch ein attraktives Ziel für Angriffe von Hackern. Zudem ist von außen schwer nachzuvollziehen, ob der Anbieter die Daten ausreichend vor den eigenen Mitarbeitern schützt. Die Auslagerung bedeutet somit einen Kontrollverlust.
Viele Unternehmen sind von ihrem Dienstleister abhängig, weil sie nicht ohne weiteres zu einem anderen Anbieter wechseln können. Das liegt etwa daran, dass sie ihre Systeme aufwendig an die Schnittstellen anpassen müssen. Auch Nutzer haben oft Schwierigkeit, wenn sie mit ihren Daten den Anbieter wechseln wollen. Eine weitere Frage: Was ist, wenn der Betreiber eines Dienstes pleite geht? Erst wenn es Standards gibt, die den Wechsel von einem zum anderen Dienstleister ermöglichen, sinkt die Abhängigkeit.
Der Fokus auf Aktienoptionen trübt den Blick auf die Sachinvestitionen. Auch die Aufwendungen dafür sind in der jungen Branche weit höher als bei etablierten Unternehmen. Daten des Infodienstes FactSet zufolge dürften die Anlageinvestitionen bei Microsoft in diesem Geschäftsjahr bei rund sechs Prozent des Umsatzes oder 19 Prozent des operativen Cash-Flows liegen.
Dagegen werden die 22 Cloud-Softwareanbieter im laufenden Geschäftsjahr im Schnitt rund 207 Prozent ihres operativen Cash-Flows investieren müssen, um ihr Geschäft reibungslos betreiben oder expandieren zu können. Zendesk, ein führender Anbieter für cloudbasierte Kundendienst-Software, hat in den ersten neun Monaten des Jahres 19 Millionen Dollar für Büromiete und neue Server ausgegeben.
Warum soll man überhaupt in Unternehmen investieren, die zwei Dollar ausgeben, um einen Dollar Gewinn zu machen?
Weil dem Cloud Computing trotzdem die Zukunft gehört. Immer mehr Kunden werden ihre Software aus der Cloud ziehen wollen, denn für sie oder ihre Mitarbeiter entfällt viel Aufwand, etwa das Installieren von Updates. Aber wer am Ende das große Geld mit der Cloud verdient, ist noch nicht ausgemacht. Softwaredinos wie Microsoft und SAP investieren inzwischen in eigene Cloud-Angebote. Und fraglich ist, ob alle jungen Unternehmen die teure Aufbauphase überleben werden. Anzeichen, dass sie ihre Investitionen zurückfahren, gibt es derzeit keine; es kann also noch dauern, bis ihre Erträge die Kosten übersteigen und Gewinne sprudeln