Es klingt wie ein Sterben auf Raten: Nicht nur der seit Jahren gegen die Pleite kämpfende Solarzellen-Hersteller Q-Cells präsentierte gerade eine katastrophale Bilanz für 2011 mit rund 850 Millionen Euro Verlust und dramatischen Finanzierungssorgen. Auch der in die Krise geratene Anlagenbauer Centrotherm gibt nach 20 Millionen Euro Verlust einen düsteren Ausblick mit Kurzarbeit und Entlassungen. Ein ähnliches Bild vor wenigen Tagen beim Wettbewerber Roth&Rau: Kurzarbeit, Entlassungen und mit 122 Millionen Euro deutlich mehr Verlust. Ebenso musste das Vorzeigeunternehmen der deutschen Solarbranche Solarworld kürzlich einen Rekordverlust von rund 300 Millionen Euro vermelden. Andere Unternehmen wie Solarhybrid, Solon und die Skandal umwitterte Solar Millennium, sind bereits pleite.
Die Luft ist raus
Machen wir uns nichts vor: Die Solarblase an der Börse ist längst geplatzt, die Luft aus nahezu allen Aktien entwichen. Die Solarkrise greift um sich und kein noch so gut aufgestelltes Unternehmen scheint sich ihr dauerhaft entziehen zu können. Im Kampf der Solarzellenhersteller gegen die offenbar übermächtige Billigkonkurrenz aus China ist eher die Frage, wie lange die Reserven der Unternehmen noch reichen. Die Unternehmen brauchen Zeit, um Geschäftsmodelle anzupassen, neue Märkte zu erschließen und starke Partner oder Käufer zu finden. Das Problem betrifft nicht mehr nur die Produzenten der eigentlichen Zellen, sondern inzwischen auch die Anbieter von Fertigungstechnik, Zubehör, Modulanbieter und Projektierer mit ein. Und es wird immer schlimmer.
„Nach wie vor bleibt das Bild in der Photovoltaik trübe“, sagte Centrotherm Finanzvorstand Thomas Riegler bei der Vorlage der Bilanz. Die Nachfrage auf dem Hauptabsatzmarkt Asien, allen voran China, Taiwan und auch Japan, wo die Energiewende beschlossene Sache sei, bleibe sehr verhalten. Zudem seien die Unwägbarkeiten nicht kalkulierbar. Eine Prognose für 2012 wage er daher nicht, betonte Riegler.
Die ist in der Tat schwierig, schließlich hängt vieles in der Branche an politischen Entscheidungen - hierzulande und in allen wichtigen Anbieter- und Abnahmestaaten der Solartechnik. Gerade die Subventionen, die zusammen mit dem geplanten Atomausstieg Deutschland zum größten Solarmarkt der Welt gemacht haben, versprechen alles andere als Planungssicherheit. Zu groß das Hin und Her zwischen moderaten Kürzungen und radikalen Einschnitten. Während Deutschland verhandelt, erweitert China immer noch die Produktionskapazitäten für Solarzellen – und sorgt so dafür, dass die Preise in einem atemberaubenden Tempo fallen. Da hilft es dann auch wenig, dass in einigen Schwellenländern die Nachfrage nach Solartechnik steigt.
Das staatlich verordnete Wachstum in China hat die schon vorhandenen Überkapazitäten auf der Angebotsseite weiter wachsen lassen. Der Wettbewerb ist inzwischen ruinös. Die Preisspirale nach unten ist in vollem Gange. Selbst Hersteller mit Marktmacht im Rücken wie die Solarsparte von Bosch, Aleo Solar, beugen sich dem Preisdruck. „Auch wir mussten unsere Verkaufspreise im Jahresverlauf um mehr als ein Drittel senken“, sagte Aleo-Solar-Chef York zu Putlitz. Dabei ist die Nachfrage gestiegen. Genau wie Solarworld hatte das Unternehmen den Absatz gesteigert und trotzdem statt eines Gewinns wie im Vorjahr einen Verlust eingefahren: mehr als 30 Millionen Euro. Auch im kommenden Jahr rechnet Aleo mit roten Zahlen.
Kurse Richtung Nulllinie
An den Börsen gleichen die Kurscharts der Solar-Aktien einem Friedhof. Unabhängig von Unternehmensgröße und Marktkapitalisierung nähern sich die Linien asymptotisch der Nulllinie. Trotz aller Unterschiede zwischen Produktpaletten, Geschäftsmodellen und Marktanteilen ist klar: Kein Unternehmen, dass in der Solarbranche zu verorten ist, entgeht dem Abwärtssog.
Dabei sind die börsennotierten Unternehmen ganz unterschiedlich entlang der Wertschöpfungskette im Solarbereich aufgestellt: Während Unternehmen wie Q-Cells vor allem Solarzellen und erst seit 2010 auch Module herstellen, haben andere wie Centrotherm, Manz oder Roth&Rau lange die Maschinen für deren Herstellung geliefert und vom Ausbau der weltweiten Produktionskapazitäten profitiert. Wieder andere wie SMA Solar haben ihre Nische mit der Technik drum herum gefunden oder planen und realisieren auch gleich ganze Großprojekte wie etwa Phoenix Solar. Letzten Endes aber hängt zumindest die Nachfrage der Endabnehmer noch immer von staatlichen Subventionen ab.
Pleitekandidat Q-Cells spiegelt Aufstieg und Fall der Branche wieder, wie kaum ein anderes Unternehmen. Nach einem raketenhaften Aufstieg und enormen Gewinnspannen, verfolgte das Unternehmen die falsche Expansionsstrategie und wurde von der heranwachsenden Konkurrenz aus Fernost kalt erwischt. Während das über Anleiheemissionen aufgebrachte Kapital in das Wachstum des Unternehmens floss, brachen die Einnahmen ein, Investitionen in innovative Technologien versickerten, der Einstieg in neue Marktsegmente floppte. Nun sollen die Anleihengläubiger den größten Teil ihrer Forderungen gegen die kollabierten Aktien des Unternehmens tauschen.
Flächendeckende Verluste
Der Fall Q-Cells ist wohl der dramatischste, ist aber in seiner Symptomatik kein Einzelfall. Das Dilemma aus hohen Investitionen, steigenden Absatz- und dennoch sinkenden Umsatzzahlen droht offenbar vielen Anbietern. „Die Branche wird auch 2012 flächendeckend Verluste schreiben“, sagte Q-Cells-Vorstandschef Nedim bei der Vorlage der Bilanz 2011. Die zu erzielenden Preise lägen derzeit deutlich unter den Kosten, zu denen die Unternehmen produzierten. „Die Ergebnissituation ist branchenweit dramatisch“.
Jetzt greifen einige Unternehmen der Branche nach jedem Strohhalm. Q-Cells will sich möglicherweise zusammen mit anderen an einer Klage gegen das Geschäftsverhalten der Chinesen beteiligen. Die Hersteller setzen damit auf die Karte Protektionismus. In den USA hat das Handelsministerium bereits auf Initiative des Bonner Photovoltaikunternehmens Solarworld Strafzölle für subventionierte Produkte chinesischer Solarkonzerne verhängt. Allerdings sind die Zölle weit niedriger als von den hiesigen Hersteller gewünscht. Jetzt soll auch die EU-Kommission Handelsschranken einführen. Es scheint, als wäre die Branche hierzulande ohne staatliche Unterstützung nicht überlebensfähig. Und politisch ist Protektionismus gerade für die EU, die immer wieder auf den Abbau von Handelsbarrieren in China drängt, nicht gerade opportun.
Es kommt also unweigerlich zur schmerzhaften Bereinigung des Marktes. Einige Unternehmen werden wohl noch von der Bildfläche verschwinden. Wer kann, wird versuchen, sich durch Zukäufe, Fusionen oder den Anschluss an diversifizierte Großkonzerne am Markt zu retten. Womöglich schlüpfen sie unter den Mantel großer Industriekonzerne oder Energieversorger. Vielleicht gelingt es vereinzelt Unternehmen, sich in ihrer kleinen Nische als Spezialisten zu behaupten. Wieder andere, wie etwa Centrotherm oder Manz werden versuchen ihre Geschäftsfelder außerhalb der Solarbranche zu stärken und sich aus dem einst lukrativen Markt für Sonnenenergie stückweise zurückziehen.
Für Anleger bleiben da nicht viele Möglichkeiten: Entweder der gewagte Versuch, die bereits billigen Aktien mit Überlebenschancen zum Tiefstkurs einsammeln, das Herauspicken attraktiver Übernahmekandidaten oder gleich die Wette mit Optionsscheinen oder Zertifikaten auf weitere Kursverluste. Eine riskante Wette bleibt es in jedem Fall. Jetzt übernehmen die Zocker das Ruder bei den Solaraktien.