Sorgen um China und die Weltwirtschaft Die wichtigsten Antworten zum Dax-Absturz

Die Stimmung an den Finanzmärkten ist miserabel, Sorgen um Chinas Wirtschaft und die globale Konjunktur haben den Dax unter die 10.000 Punkte-Marke gedrückt. Sind die Ängste berechtigt? Was Anleger jetzt tun können.

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Asien-Börsen-Chrash sorgt für DAX-Sorgen Quelle: Marcel Stahn

Rund 20 Prozent hat der Dax seit der Spitze im April verloren, in den vergangenen fünf Tagen allein mehr als 1000 Punkte. Die Angst vor dem großen Crash geht um, Sorgentreiber Nummer eins ist weiterhin die chinesische Wirtschaft. In Asien sind die Börsen erneut deutlich eingebrochen. Tatsächlich hat sich seit Ende Juli im Dax und an den großen Aktienmärkten eine Mischung zusammengebraut, die gefährlich ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur aktuellen Entwicklung an den Börsen.

Warum stürzt der Dax jetzt so heftig ab?

Es haben sich mehrere Krisen überlagert. Konjunkturell ging es in Europa zuletzt nur noch zäh voran, die EZB hat das deutlich beklagt. In den Vereinigten Staaten ist die Wirtschaft zwar noch auf Wachstumskurs, doch dieses Wachstum ist unsicher geworden. Dazu kommt die Schwäche der Schwellenländer. Zunächst hat es Russland erwischt, dann Brasilien und nun den größten Hoffnungsträger, China. Dass Europa mit der Schuldenkrise noch ein zusätzliches Problem hat, verschärft die Lage hierzulande besonders. Dazu haben die taktgebenden US-Märkte eine obere Trendwende vollzogen und schwere Verkaufssignale gegeben. Lange Zeit haben die Aktienmärkte sich gegen die Krise gut behauptet, nun ist die Stimmung gekippt. Dieser Pessimismus wird jetzt umgesetzt. Das heißt: Es kommt zu reihenweisen Verkäufen, vom Großinvestor bis zum privaten Anleger, vom Algo-Trader bis zum klassischen Zocker. Diesen Umschwung müssen die Märkte erst einmal verarbeiten.

Stichwort: Die schwärzesten Tage für den Dax seit 1987

Warum reagiert der Dax so stark auf die China-Sorgen?

China sei das "Epizentrum" der Panikattacke, in der die Märkte gerade steckten, schreiben Analysten der US-Investmentbank JP Morgan in einer Studie. Die Sorgen vor einem Konjunktureinbruch in China haben sich nach dem jüngsten Kurseinbruch an den asiatischen Märkten erneut verstärkt, Börsianer kriegen kalte Füße und reagieren mit Verkäufen. In China rauschte der viel beachtete Shanghai Composite am Montag zeitweise um neun Prozent abwärts, auf den tiefsten Stand seit mehr als einem halben Jahr. Das Problem: Investoren zweifeln langsam an den Stützungsmaßnahmen der chinesischen Regierung. Einige hatten mit einer Intervention seitens der Zentralbank gerechnet, die blieb allerdings aus. Auch die seitens der Regierung angeordneten Aktienkäufe durch staatliche Pensionsfonds zeigten bisher nicht ihre stützende Wirkung.

Sind die Zweifel am Wachstum Chinas berechtigt?

Sicherlich fallen die reinen Wachstumszahlen in China aktuell deutlich niedriger aus als noch vor einigen Jahren. Das von der Regierung prognostizierte Wachstum von sieben Prozent ist zwar laut offiziellen Zahlen weiterhin in Reichweite, so richtig glauben will daran allerdings niemand. Schlechte Konjunkturdaten aus dem Reich der Mitte untermauern dies. Mit Industrieproduktion, Anlageinvestitionen und Einzelhandel schnitten nach Angaben des Statistikamtes in der vergangenen Woche gleich drei Konjunkturindikatoren schlechter ab als erwartet. Insbesondere die schlechte Performance der chinesischen Industrie bereitet Beobachtern Bauchschmerzen. Gegenüber dem Vorjahresmonat ist sie nur noch um sechs Prozent gewachsen, im Juni waren es noch 6,8 Prozent gewesen. Was nach hohem Wachstum klingt, ist für die einstige "Werkbank der Welt" ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis.

Wen trifft es besonders stark?

Zuallererst natürlich die Exportaktien und diejenigen Unternehmen, die bisher stark auf China gesetzt haben. Dementsprechend massiv sind die Verluste bei den Autoaktien. Die Branche hat zuletzt je nach Unternehmen 15 bis 40 Prozent ihrer Umsätze in China erzielt. Doch auch andere Branchen haben breite China-Geschäfte: BASF ist stark in Asien, Linde, Thyssen, auch Siemens. Wenn es in China zu einer schweren und längeren Wirtschaftskrise kommt, werden die Folgen nicht bei den Branchen halt machen, die vor Ort sind. Dann machen sich die Folgewirkungen auf andere Branchen mindesten ebenso bemerkbar: Die schwache Autokonjunktur trifft die Autozulieferer, dann die Ausrüster von Maschinen und Anlagen und natürlich die Stahlindustrie. Selbst defensive Aktien sind gegen Rückschläge nicht gefeit: Die Telekom oder Fresenius haben direkt kein oder wenig Asiengeschäft. Doch auch deren Aktien werden belastet, wenn Anleger sie aus Liquiditätsgründen verkaufen.

So viel China-Umsatz steckt in den Dax-Aktien

Wie tief kann der Dax noch sinken?

In einem Rutsch ist der Dax unter die wichtige Zone 10800/11000 gesackt, die nachfolgende Abwärtsdynamik hat die Züge einer Verkaufspanik. Im Bereich um 9800 könnte es eine hektische Zwischenerholung geben, angesichts der Abwärtsdynamik ist das Risiko damit aber nicht vorbei. Bei 9800 Punkten hat der Dax den seit 2011 bestehenden Aufwärtstrend erreicht. Die nächste Station wäre der seit 2009 bestehende Trend, der derzeit etwa bei 8800 verläuft. Wenn es jetzt eine Zwischenerholung gibt, droht danach allerdings wahrscheinlich noch eine zweite Rückschlagphase. Die könnte dann im Dax bis 8800 gehen. Allerdings: Ein Crash zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Verluste hohes, unkontrolliertes Ausmaß annehmen – und damit sind weitere Durchbrüche im Chart nach unten immer ins Kalkül zu ziehen.

Soll ich jetzt noch verkaufen?

Nein und Ja. Es ist jetzt, nachdem Qualitätsunternehmen im Dax (Daimler, BASF, Allianz, Münchener Rück) schon Verluste von 30 Prozent und mehr erlitten haben, wenig sinnvoll, solche Aktien panisch aus dem Depot zu werden. Wichtig allerdings ist es für aktive Anleger schon, beweglich zu bleiben, also Liquidität zu haben – um dann auf niedrigerem Niveau günstige Gelegenheiten zu nutzen. Diese Liquiditätsverkäufe werden in den nächsten Wochen dazu führen, dass auch vermeintlich sichere Defensiv-Aktien (die kaum oder wenig Geschäft in China haben) Kursverluste erleiden. Insofern kann es sinnvoll sein, den einen oder anderen defensiven Klassiker, wenn er noch einen guten Verkaufserlös bringt, zu versilbern und sich damit bei günstigen Qualitätsaktien auf die Lauer zu legen. 

Sind jetzt Absicherungen sinnvoll?

Absicherungen aus Derivaten sind in den vergangenen Tagen massiv im Preis gestiegen. Die hohe Volatilität, der entscheidende Krisenmesser, führt besonders bei Put-Optionen zu einem enormen Kursaufschlag. Wer jetzt solche Optionen noch kaufen will, zahlt hohe Prämien. Das ist wenig sinnvoll – man schließt ja eine Feuerversicherung auch nicht ab, wenn das Haus schon zum Brennen angefangen hat (und wenn, dann wäre eine solche Police sicherlich ziemlich teuer). Sollte es allerdings an den Märkten zu einer Zwischenerholung kommen, werden sicherlich einige Profis dies dazu nutzen, neue Positionen in Puts und Verkaufszertifikaten aufzubauen – um gegen die nächste Verkaufswelle gerüstet zu sein. Wer solche Wellen reiten will, muss aber über enormes Marktgespür verfügen.

An diesen Märkten kracht es
Mit Chinas Aktienmarkt fing alles an: Jahrelang propagierte die Regierung in Peking den Einstieg in Aktien – ganz offiziell in den Staatsmedien. Der kleine Mann sollte an der Börse investieren und den chinesischen Unternehmen zu Kapital verhelfen. Doch mit dem stagnierenden Wirtschaftswachstum kamen Zweifel auf. Die Börsen in Schanghai und Shenzhen brachen innerhalb weniger Wochen drastisch ein. Und das Virus China begann, sich auszubreiten. Quelle: dpa
So zog Chinas Schwäche zum Beispiel auch das deutsche Aktienbarometer nach unten. Viele exportorientierte Dax-Unternehmen, vor allem die Autobauer, haben gelitten. Weil am Donnerstag die USA zusätzlich mit guten Konjunkturdaten aufwarten konnten und die Zinswende damit näher zu rücken scheint, ließ der Leitindex am Freitag weiter Federn. Zum Handelsschluss notierte er gut 300 Punkte tiefer bei 10.124 Punkten. Auf Wochensicht verlor der Dax knapp acht Prozent oder 861 Punkte. Quelle: REUTERS
Die voraussichtlich schlimmste Woche des Jahres für Aktien hat am Freitag auch die Wall Street nicht verschont. Nach enttäuschenden Konjunkturdaten aus China lagen die wichtigsten Indizes in New York zur Eröffnung deutlich im Minus. Der Dow-Jones-Index lag mit 16.815 Punkten ein Prozent im Minus. Der breiter gefasste S&P-500 tendierte mit 2.016 Zählern ebenfalls fast ein Prozent tiefer. Quelle: AP
Nicht nur an den Börsen, auch bei den Währungen ging es zuletzt deutlich bergab. Anfang der Woche gab die chinesische Zentralbank überraschend den Yuan-Wechselkurs frei – woraufhin dieser um mehrere Prozent nach unten rauschte. Auch in den Folgetagen konnte die Regierung den Kurs nur mit Mühe über Devisenverkäufe stabilisieren. Grundsätzlich will Peking daran festhalten, den Referenzkurs für den Wechselkurs nach Angebot und Nachfrage zu bestimmen. Quelle: dpa
Nicht nur der Yuan, auch die Schwellenländerwährungen allgemein haben in dieser Woche stark gelitten. Die türkische Lira, zum Beispiel, erreichte einen historischen Tiefstand nach dem anderen. Der Grund: Investoren ziehen ihr Geld aus den Schwellenländern ab und investieren es eher wieder im Dollar und Euro-Raum. Viele Schwellenländer hängen am Tropf Chinas. Das Vertrauen der Investoren schwindet daher. Quelle: REUTERS
Nach unten ging es diese Woche auch für den Ölpreis. Zuletzt kostete ein Barrel Brent noch 45,90 Dollar, ein Barrell der Sorte WTI noch knapp über 40 Dollar. Experten gehen längst davon aus, dass der Preisverfall weitergeht. Der Grund: Die USA hat durch die Schieferölförderung in nur vier Jahren die eigene Ölproduktion nahezu verdoppelt. Das dadurch steigende Angebot will und kann die Opec auch mittelfristig durch eigene Produktionskürzungen nicht kompensieren. Quelle: dpa
Doch nicht nur der Ölpreis leidet: Auch die Aktien der großen Ölunternehmen Exxon Mobil, Chevron, Royal Dutch Shell und Petrochina sind zuletzt deutlich eingebrochen. Experten warnen Anleger derzeit vor einem Wiedereinstieg. Quelle: dpa

Soll ich jetzt schon kaufen?

Nein. Die hohe Abwärtsdynamik und die oberen Trendwendeformationen in allen wichtigen Börsenbarometern deuten darauf hin, dass der Abschwung länger dauern könnte, wahrscheinlich mehrere Wochen. Zudem ist es erst einige Tage her, seitdem die Stimmung nach unten gedreht hat. So, wie die Märkte lange trotz der Krisen nach oben gelaufen sind und schöne Aktienkursgewinne gebracht haben, so dürften sie auch nach unten länger brauchen, bis es zu einer Bodenbildung kommt. Also: Mögliche Kaufkandidaten kann man ausspähen, zum Einstieg ist die Lage noch zu unübersichtlich.

Ist Gold eine Alternative?

Ja, aber nicht mit Gewinngarantie. Der Pessimismus gegenüber Gold ist in den vergangenen Monaten stark gestiegen, der Preis immer weiter gesunken. So gesehen sind Goldpreise zwischen 1000 und 1200 Dollar eine vergleichsweise günstige Gelegenheit, einen Teil des Anlagegelds hier zu investieren. Das Problem dabei: Da es aller Voraussicht nach in den nächsten Wochen zahlreiche Qualitätsaktien zu günstigen Preisen geben dürfte, hat Gold starke Konkurrenz. So ist es auch kein Wunder, dass der Goldpreis bisher noch gar nicht so stark angestiegen ist, wie die Stimmung der Aktienanleger nach unten gedreht hat. Gold bleibt, in überschaubarem Rahmen, eine Krisenversicherung. Wer auf eine schnelle Kurserholung in diesem Markt spekulieren will, kann auf Goldminen-Aktien setzen.

Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum

Welche Rolle spielen die Notenbanken?

In China hat die Notenbank zuletzt regelmäßig in den Markt eingegriffen, in der vergangenen Woche etwa wurde mehrfach der Yuan abgewertet. Bereits zuvor senkte die Bank of China die Zinsen. Angesichts der üppigen Währungsreserven der Notenbank besteht noch Raum für weitere Maßnahmen. Anders sieht es in Europa und den USA auf. Während Anleger bei vorhergehenden Kursstürzen immer auf die Unterstützung der Zentralbanken setzen konnten, ist das nun fraglich. Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft bereits Anleihen und stützt damit den Markt. Problematischer ist die Lage für die US-Notenbank Fed. Eigentlich sollen in Kürze erstmals seit fast zehn Jahren die Leitzinsen wieder leicht erhöht werden, die Zinswende wird von der Fed seit Monaten kommuniziert. Viele Beobachter rechnen im September mit einem entsprechenden Schritt. Einige Analysten erwarten, dass die Fed den Schritt angesichts der Marktturbulenzen nochmals verschiebt. Das wiederum könnte allerdings der Glaubwürdigkeit der Notenbank schaden, irgendwann muss sie liefern. Zudem bleibt der Spielraum, in dem die Fed auf einen Abschwung reagieren könnte, äußerst gering, wenn die Zinsen weiterhin auf Null-Niveau bleiben.

Viele fürchten eine Schwellenländerkrise. Muss ich davor wirklich Angst haben?

Gegen eine baldige Zinserhöhung seitens der Fed spricht die Angst vor einer Schwellenländerkrise. Ein stärker aufwertender Dollar könnte diese noch verschärfen. Tatsächlich befinden sich einige Schwellenländer wie Brasilien oder Südafrika aktuell in einer Krise. Das liegt vor allem an den fallenden Rohstoffpreisen. Anleger fürchten nun, dass ihre Schwäche die Weltwirtschaft mit nach unten reißen könnte, da sich viele Industrieländer auf den Handel mit China, Russland oder Brasilien verlassen haben. Noch konnte die stärker wachsende US-Wirtschaft das ausgleichen, langfristig könnte die Schwellenländer-Angst aber zu einem Problem werden - insbesondere, wenn Investoren, begünstigt durch den steigenden Dollar, zunehmend ihr Kapital aus den Ländern abziehen. Die jeweiligen Notenbanken könnten zwar mit Zinserhöhungen gegensteuern, würden damit aber gleichzeitig die heimische Konjunktur abwürgen. Nicht alle Analysten rechnen allerdings mit dramatischen Kapitalabflüssen im Fall einer Leitzinserhöhung durch die Fed. Lutz Röhmeyer von LBB Invest beispielsweise glaubt nicht, dass die Kapitalabflüsse zunehmen, wenn die Fed an der Zinsschraube dreht. Die meisten Investoren hätten das längst vorweg genommen.

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