Die Spekulation mit Lebensmitteln gilt als unethisch, denn sie führt angeblich zu mehr Hunger auf der Welt. Aktuell wird von einer Hungersnot in Nordafrika wegen der Weizenknappheit infolge des Ukrainekriegs gewarnt. NGOs wollen daher Termingeschäfte an den internationalen Agrarbörsen einschränken. So sollen spekulative Übertreibungen bei den Agrarpreisen verhindert werden.
Bereits nach der Rally der Agrarpreise in den Jahren 2007 und 2008 machten NGOs und einige Politiker Spekulanten als Preistreiber aus. Im Jahr 2011 gab es eine große Kampagne mehrerer Organisationen gegen Agrarspekulation. In der Folge stellten deutsche Banken ihre Finanzprodukte auf Indizes mit Agrarprodukten ein. Zu groß war der öffentliche Druck auf die Anbieter solcher Anlagezertifikate. Die Commerzbank und die Deutsche Bank beispielsweise stiegen 2012 aus Agrarzertifikaten aus.
Nur wenige Wissenschaftler wie der Wirtschaftsethiker Ingo Pies von der Universität Halle haben sich detailliert mit der Funktionsweise der Terminmärkte für Agrargüter beschäftigt. An den Agrarbörsen sichern sich auch Händler und Landwirte ab. Oft benötigen sie Finanzinvestoren als Gegenpart für ihre Termingeschäfte. Ohne diese Spekulanten würde den Agrarbörsen Liquidität fehlen.
Herr Pies, die Organisation Foodwatch macht Spekulanten mitverantwortlich für die Preisrally am Getreidemarkt. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Foodwatch nutzt den Ukrainekrieg als Anlass, um alte Vorwürfe zu wiederholen. Wie schon vor zehn Jahren kann die Organisation keine Belege liefern. Sie beruft sich lediglich aus das Argument, Wissenschaftler könnten nicht ausschließen, dass Spekulanten möglicherweise mitverantwortlich für die Preisrally an den Getreidemärkten sind. Mich überzeugt das nicht.
Haben andere Untersuchungen Belege geliefert?
Harte Fakten, die die Vorwürfe stützen, liegen bislang nicht vor. Sie sind auch nicht zu erwarten. Die internationale Forschung der letzten Jahre konnte bereits die Kampagne der NGOs von 2011 nicht belegen.
Hat sich etwas gegenüber dem Protest von vor zehn Jahren verändert?
Damals gab es eine Vielzahl von NGOs, die die Kampagne gegen Agrarspekulation unterstützten. Ziel waren damals vor allem Indexfonds (ETFs), die in Agrargüter investierten. Ausschlaggebend war wohl, dass die ETFs erst kurz zuvor auf den Markt gekommen waren. Da lag es nahe, den neuen Akteuren die Schuld zuzuweisen. Jetzt klagt Foodwatch zusätzlich Spekulanten an. Die Vorwürfe sind weitestgehend unverändert. Die Getreideknappheit sei nicht real, sondern nur eingebildet und die Preissteigerungen spekulativ übertrieben.
Warum geht Foodwatch jetzt an die Öffentlichkeit?
Es herrscht Krieg in der Ukraine, einem der weltweit größten Getreideexporteure. Die Preise von Weizen und Mais sind seit Beginn der russischen Invasion an den Terminmärkten deutlich gestiegen. Das löst Befürchtungen aus, dass auch die Lebensmittelpreise anziehen und politische Proteste in besonders stark betroffenen Ländern wie Ägypten auslösen werden. Ob wirklich eine Hungersnot droht, ist derzeit nicht ausgemacht. Die Terminbörse in Paris signalisiert, dass der Weizenpreis bis Ende 2023 von 400 wieder auf 340 Euro pro Tonne fallen könnte.
Die Aktivität der Spekulanten an den Terminmärkten nahm im Umfeld des Ukrainekriegs zu. Ist also doch etwas dran an der Kritik von Foodwatch?
Nein, denn die Spekulationen an den Terminmärkten beruhten auf einem realen Ereignis, dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Alle Marktteilnehmer, auch die Agrarhändler, haben auf den Beginn des Ukrainekriegs reagiert. Es handelt sich also nicht um Spekulationen ins Blaue hinein.
Können Sie das näher erklären?
Derzeit besteht objektiv nachvollziehbar eine Unsicherheit über das zukünftige Ausmaß ukrainischer Getreideexporte. Zudem spiegelt der Preis an den Terminmärkten weitere Faktoren wider wie etwa die höhere Beimischung von Biotreibstoffen an den Tankstellen in den USA und die Abwertung des Euro zum Dollar.
Dennoch sieht es so aus, als habe der Terminmarkt die Preisrally bei Agrargütern angeheizt.
Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Das ist das Grundproblem der Diskussion über Agrarspekulation. Wir benötigen daher ökonometrische Studien, die die Evidenz sorgfältig analysieren. Diese Studien liegen vor. Meine Kollegen vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung und Transformationsökonomien in Halle und ich haben sie ausgewertet. Unser Fazit ist, dass der Alarm von 2011 ein Fehlalarm war. Es liegen mir keine neue Erkenntnisse vor, dass es dieses Mal anders sein sollte.
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Spekulanten glauben, dass sie schlauer sind als der Markt. Welche Rolle spielen sie im Agrarhandel?
Sie schwimmen in der Regel gegen den Strom. Wenn beispielsweise Agrarhändler auf einen sinkenden Weizenpreis wetten, halten sie dagegen. Termingeschäfte funktionieren nur, wenn es einen Gegenpart auf der anderen Seite gibt.
Verfälschen die Wetten der Spekulanten nicht die Marktsignale, die Agrarhändler einpreisen?
Ganz im Gegenteil. Spekulanten investieren viel Geld, um besser informiert zu sein als die übrigen Marktteilnehmer. Sie werten zahlreiche Statistiken und aktuelle Nachrichten aus, um die zukünftige Entwicklung von Angebot und Nachfrage abzuschätzen. Wenn solche Informationen in den Terminhandel eingehen, dann steigt der Informationsgehalt der Preise. Die Märkte funktionieren dann besser.
Was ist mit den Spekulanten, die sich verzocken?
Niemand ist gegen Fehler gefeit. Aber wer dauerhaft schief liegt, fliegt aus dem Markt. Da ist die Selektionsfunktion des Wettbewerbs unerbittlich. Insofern haben wir es hier mit einem kollektiven Lernprozess zu tun, in den Mechanismen der Selbstkorrektur eingebaut sind. Auf den Terminmärkten korrigieren sich alle Akteure wechselseitig. Im Markt bestehen kann nur, wer eine geringe Fehlerquote aufweist und öfter richtig als falsch liegt. Wer falsche Erwartungen bildet, erleidet Verluste. Gewinne erwirtschaftet man nur mit den richtigen Erwartungen. Und genau das dient dem Gemeinwohl.
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