Spotify, Amazon, Apple, Google Wie kreative Zerstörer die Medien-Branche aufmischen

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Netzanbieter schaffen neue Musikkunden

"Mir war es immer zu anstrengend, neue Musik zu suchen, ich hörte halt, was im Radio lief“, sagt der Ingenieur. „Die Folge war, dass ich vor 20 Jahren ganz aufhörte, mir Musik zu kaufen, ich dachte: Heute wird eh nur noch Schrott gemacht, aber das ist falsch.“ Lässig sitzt Erdmann in der Hollywoodschaukel seines Obersendlinger Gartens und führt auf dem iPad vor: Ein Algorithmus empfiehlt ihm laufend neue Künstler; er funktioniert ähnlich wie der für Bücher bei Amazon: Du hast X und Y gehört, probier’ mal Z. „Anfangs habe ich den ausgelacht“, sagt Erdmann, „ich  programmiere selbst und weiß, wie das Zeug arbeitet; aber er wird immer besser und genauer, je mehr man ihn nutzt.“ Gefällt ihm ein Lied, speichert Erdmann es ab; er „besitzt“ es dann zwar nicht physisch, es liegt noch immer auf den Servern des Anbieters, irgendwo in der Datenwolke, der Cloud. Doch Erdmann kann es für zehn Euro im Monat nun so oft hören, wie er will, und alle 24 Millionen restlichen Lieder im Bestand ebenso. „Auch offline“, sagt er, „unterwegs auf dem Handy oder so, dann verbrauche ich dabei nicht die teuren Datenkontingente meines Handyvertrags.“

„Wir wollen potenziell jeden Menschen auf der Welt erreichen, der ein Smartphone besitzt“, sagt Page von Spotify, „genauer: 80 Prozent davon, denn so hoch ist in fast jedem Kulturkreis der Anteil der Menschen, die regelmäßig Musik konsumieren.“ Nur zahlte bislang nur eine Minderheit dafür. „Der Musikkonsum selbst ging nie zurück“, sagt Zeh von der GfK, „aber die Monetarisierung durch Künstler und Rechteverwerter litt unter Pirate Bay oder Napster.“

McQuivey von Forrester ist noch skeptisch, was das Potenzial der Kreativwirtschaft in den Schwellenländern betrifft: „In fast allen westlichen Ländern und in Japan geben die Menschen im Schnitt 65 Dollar pro Jahr für Musik aus; das Geld brauchen die meisten Bewohner Chinas, Indiens oder Brasiliens für wichtigere Dinge; außerdem wird in Teilen Asiens der Begriff ,Copyright‘ als ,Recht zu kopieren‘ verstanden.“

Doch es gibt andere Wege, Länder wie China zu erobern: „Als hilfreich haben sich Partnerschaften mit Telekomanbietern erwiesen“, sagt Verbandsmanagerin Boettner, „die Kunden bekommen Musik günstig als Teil ihres Datenpakets, Künstler und Labels bekommen Lizenzeinnahmen, der Telekomanbieter kann sich mit Inhalten von Konkurrenten abgrenzen.“

In Ländern wie Mexiko, Brasilien oder Thailand hat die Musikindustrie bereits zahlreiche Deals mit Handynetzbetreibern geschlossen. Labels wie Universal (4,9 Milliarden Euro Jahresumsatz, gehört zum Vivendi-Konzern) haben mit chinesischen Künstlern erste Verträge unterzeichnet; Verwertungsverträge mit lokalen Internet- und Handynetzbetreibern wie China Mobile oder Baidu sind gemacht.

„Auch chinesische Politiker erkennen, dass mit medialen Inhalten Umsätze und damit Steuereinnahmen winken, ihre Einstellung zum Urheberrecht verändert sich gerade“, sagt Gorny.

Schnell Claims abstecken

Auch Risikokapitalisten und Finanzinvestoren gehen offensichtlich davon aus, dass hier Geld zu holen ist: Etliche haben sich an Streaming-Diensten beteiligt. Zwar ist noch kaum einer der Musik-Streamer profitabel, aber „es geht den meisten Investoren zunächst nicht um das Erreichen der Gewinnschwelle“, sagt André Burchart vom Risikokapitalgeber Capnamic in Köln. Im Moment herrsche „Landgrabbing“: Jeder Anbieter versucht, so viele Kunden wie möglich zu gewinnen. „Das macht auch Sinn“, sagt Burchart, „denn das Internet lässt erfahrungsgemäß pro Geschäftsidee nur einen richtig groß werden.“

Die Sieger des ersten Digitalbooms haben es vorgemacht. Ob bei Suchmaschinen (Google), E-Commerce (Amazon), Online-Auktionen (Ebay) oder sozialen Netzen (Facebook): Die einst hoffnungsvollen Zweiten wie Ricardo.de, StudiVZ, Alltheweb, MySpace blieben auf der Strecke. „Zwar wird im Musik- und TV-Streaming mehr als einer übrig bleiben; aber derjenige, der als Erster sein Geschäft global etabliert, hat einen entscheidenden Vorteil“, meint Peter Dreide, Gründer des auf IT spezialisierten Fondsanbieters TBF.

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