Gemessen an solchen Prognosen, haben Großanleger wenig Aktien. Versicherungen halten weniger als fünf Prozent ihrer Gelder in Aktien. „Deutsche Versicherungen sind die Letzten, die ihre Aktienquoten erhöhen werden“, meint Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch, „angelsächsische Pensionskassen oder Versorgungswerke sind da weiter.“
Anleger suchen das Verlässliche. „Wenn meine Kunden Aktien ins Depot nehmen, dann fast ausschließlich Papiere weltweit operierender Großkonzerne mit attraktiven Dividenden“, sagt Johannes Hirsch, Chef des Family-Office Antea. „Die großen Kapitalsammelstellen, die Kunden eine regelmäßige Rendite versprochen haben, schaffen dies nur mit Dividenden“, sagt Vorndran. Er gehe davon aus, dass die Dividende deshalb als Auswahlkriterium künftig noch an Bedeutung gewinnen werde. Und Dividenden fließen eher (und vor allem verlässlicher) bei internationalen Markenkonzernen wie Procter, Unilever oder Nestlé als bei konjunktursensiblen Stahlwerten oder High-Tech-Firmen.
Die gleiche Art Aktie
Weil alle Großanleger die gleiche Art Aktie suchen, „sehen wir seit einigen Monaten eine Marktspreizung“, sagt Roelli, „es gibt einen Run auf Blue Chips mit starken Markennamen und soliden Dividenden, während das Gros der Aktien links liegen gelassen wird.“ Laut Vermögensverwalter Jens Ehrhardt sind auf Jahresfrist schon mehr als 70 Prozent aller Aktien weltweit im Minus; die Börsen werden von immer weniger Schwergewichten gezogen. Frank Ebach, Niederlassungsleiter der BHF-Bank, sieht an der Börse dieselbe Entwicklung wie am Immobilienmarkt: „1a-Qualität wird immer teurer – und den Rest will keiner haben.“
Die wenigen Werte, die bei Anlegern als verlässlich gelten, kosten fast den 20-fachen Jahresgewinn; wer als konjunkturanfällig und riskant gilt, kann auch mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unter zehn keine Käufer anlocken. „Es ist ein uralter Reflex der Anleger, in jeder Krise große Aktien zu kaufen“, sagt BHF-Stratege Franke, „Werte wie McDonald’s, Coca-Cola, 3M oder Colgate-Palmolive haben auch in dieser Krise wieder massiv zugelegt und den Gesamtmarkt abgehängt.“
Welche Aktien kaufen?
Diese Situation ist nicht neu: Ende der Sechziger liefen die Börsen schlecht – mit einer Ausnahme: Die Aktien von weltweit agierenden Markenkonzernen stiegen unablässig. IBM, McDonald’s, Gillette, Xerox, Polaroid und Avon kannten keine Ölkrise und keine 1970er-Stagflation. An der Börse galten Inhaber weltweit angesagter Marken, die in keinem Haushalt fehlen durften, als sichere Bank; das Label „Nifty Fifty“ („die schicken 50“) kam in Mode. „You’ll never get fired for buying Xerox or IBM“, war ein geflügeltes Wort unter US-Brokern – so wie heute kein Fondsmanager gefeuert werden dürfte, weil er Nestlé gekauft hat.
Zwei Studien spielten als Erste mit dem Begriff. Die eine listete 50 Blue Chips auf, die den Markt acht Jahre in Folge geschlagen hatten, und nannte sie „the nifty 50 outperformers“. Die andere enthielt schlicht die 50 US-Aktien mit den höchsten KGVs. Die 24 Aktien, die sich auf beiden Listen fanden, schlugen von 1964 bis 1972 nach Berechnungen von Morgan Stanley den US-Index S&P 500 um 189 Prozent oder durchschnittlich 15 Prozent pro Jahr. Ende 1972 platzte die Blase, die Werte halbierten sich über vier Jahre. Die neuen, stabilen Werte steigen seit etwa drei Jahren – gemessen an dem Achtjahreszeitraum 1964 bis 1972 stünden die schicken Werte dieses Jahrtausends also erst am Anfang.