Stagflation Kehrt das Gespenst der Siebziger zurück?

Banger Blick: Renditeschub in den USA verunsichert Börsianer Quelle: dpa

Wachsende Inflationssorgen verändern das Wechselspiel zwischen Anleihen und Aktien – mit beiden Anlageklassen drohen Anlegern Verluste. Auf welche Anzeichen und Branchen Anleger jetzt achten sollten.

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Wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen die Börsianer derzeit vor ihren Monitoren und verfolgen die Renditen amerikanischer Staatsanleihen mit zehn Jahren Restlaufzeit. Diese kletterten am vergangenen Dienstag erstmals seit Januar 2014 wieder über die Schwelle von drei Prozent. Wie schon beim Anlauf an diese Marke im Februar löste das Turbulenzen aus an der Wall Street – obwohl 80 Prozent der im Index S&P 500 enthaltenen Unternehmen in der aktuellen Berichtssaison die Gewinnerwartungen der Analysten übertroffen haben, und das teilweise deutlich.

Offenbar haben sich die Reflexe an der Börse geändert. Nach der Finanzkrise waren Investoren vor allem besorgt, dass eine Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und schwächerem Wirtschaftswachstum in Gang kommen könnte. „Nun überwiegen aber zum ersten Mal seit der Finanzkrise Befürchtungen vor einer Inflation“, sagt James Bianco, viel beachteter Makrostratege vom Brokerhaus Arbor Research & Trading in Chicago.

Warnungen vor einem bevorstehenden Inflationsschub gab es in den vergangenen Jahren viele, vor allem wegen der ultraexpansiven Geldpolitik der Notenbanken. Dass die Zinssenkungen bis auf null und die billionenschweren Ankäufe von Anleihen bisher nicht in Inflation mündeten, wird vor allem der Globalisierung und dem Google-Amazon-Effekt zugeschrieben. Google und Co. stehen für globale Informationstransparenz, Amazon drückt die Preise von Konsumgütern und Unternehmenstechnologie, weil der Zwischenhandel ausgeschaltet wird. Dieser Effekt könnte nachlassen, sollte die Globalisierung durch Handelsschranken zurückgedreht und die Internetgiganten stärker an die regulatorische Kette gelegt werden.

Nach der Finanzkrise waren die globalen Kapazitäten schwach ausgelastet und die Arbeitsmärkte entspannt. Diese Produktionslücke aber schließt sich jetzt – und bringt Preisdruck. Abzulesen ist das an den jüngsten Lohnabschlüssen in Deutschland und den USA, wo Großkonzerne die Erleichterungen der Steuerreform weitergeben an ihre Mitarbeiter, zumindest teilweise. Die Wirtschaftspolitik aber ist weiter expansiv, vor allem in den USA. Das US-Schatzamt schätzt den zusätzlichen Finanzierungsbedarf für den ausgabefreudigen US-Präsidenten Donald Trump in diesem Jahr auf 1000 Milliarden Dollar. Außerdem muss die US-Regierung 2018 Staatsanleihen im Volumen von mehr als 2400 Milliarden Dollar refinanzieren.

Dafür braucht Trump Käufer, auch aus dem Ausland. Die lassen sich aber womöglich nur über höhere Zinsen locken, zumal sich die US-Notenbank Fed als Käuferin von US-Staatsanleihen inzwischen verabschiedet hat. Sollte die Inflation überraschend stark anziehen, könnte die Fed gezwungen werden, ihr Tempo in Sachen Zinssteigerungen zu erhöhen.

Alkohol ist auch keine Lösung

Die besten und schwächsten Branchen im US-‧Aktienindex S&P 500 in den inflationsgeprägten Siebzigerjahren (nominale und reale Entwicklung)
Sektornominal*real*
Öl u. Gas (Bohrung u. Ausrüstung)+615+283
Gold-/Edelmetallbergbau+560+253
Ölkonzerne (integriert)+198+59
Luftfahrt/Verteidigung+157+38
Unterhaltung+145+31
Aktienindex S&P 500+17–37
US-Dollar0–46
Konsumentenfinanzierung–32–64
Textil (Bekleidung)–34–65
Trucks u. Zulieferer–38–67
Körperpflege–42–69
Getränke (Alkohol)–59–78
* in Prozent; Quelle: Standard & Poor’s. MeasuringWorth

Noch gibt es massenhaft billiges Geld

Mit Zinserhöhungen haben die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan überhaupt noch nicht begonnen. Weltweit gesehen ist die Geldpolitik nach wie vor auf einem extremen Expansionskurs. „Die EZB wird früher oder später den Weg der Fed einschlagen müssen. Je länger sie damit wartet und je höher die Inflationsraten steigen, umso größer wird der Druck“, sagt der Schweizer Investmentstratege Felix Zulauf. Zulauf rechnet damit, dass in den nächsten ein, zwei Jahren alle großen Notenbanken versuchen, ihre Politik zu normalisieren.

Das bedeutete Entzug von Liquidität und weiter steigende Zinsen – Gift für die Aktienmärkte. Schließlich gilt: Je tiefer die Zinsen, desto höher die Bewertung von Aktien – und umgekehrt. Höhere Zinsen bedeuten höhere Finanzierungskosten, weniger Mittel für Aktienrückkäufe, höhere Ausfallraten bei Unternehmensanleihen und schwächere Unternehmensgewinne.

Der Gipfel in diesem Konjunkturzyklus dürfte mittlerweile erreicht sein, die Inflation aber ist eine nachlaufende Größe. „Wenn sie aber einmal da ist, lässt sie sich nicht so leicht zügeln“, sagt Bianco. Höhere Inflation bei weniger Wachstum bedeutet Stagflation. Das war das Gespenst der Siebzigerjahre. Damals brachten Ölaktien und Aktien aus dem Goldbergbau die besten Anlageergebnisse – nach Abzug der Inflation.

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