Stehaufmännchen Continental Die bewegte Geschichte des Dax – und warum Wirecard nicht die größte Pleite ist

Auf den Dax trifft die Beschreibung „bewegte Geschichte“ durchaus zu. Quelle: imago images

Der Dax hat eine lange Geschichte – geprägt von Fusionen, Aufsteigern und Insolvenzen. Seit Gründung mussten sich einige Konzerne verabschieden und Neulinge bekamen eine Chance. Ein Blick in die Chronik der Börsenliga.

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Auf den Dax trifft die Beschreibung „bewegte Geschichte“ durchaus zu. Viele Unternehmen, die einst den Elitekreis ausmachten, sind nur noch Älteren bekannt. Sie gingen bankrott, fusionierten oder spielen heute eine bis mehrere Börsenligen tiefer. Vor genau 30 Jahren, Anfang September 1990, begann das Wechselspiel. Die Gründungsmitglieder Nixdorf und Feldmühle Nobel mussten nach Übernahmen durch Siemens beziehungsweise die finnische Stora Enso das Feld räumen. Neu kamen die Metallgesellschaft und Preussag in den Dax. Preussag firmiert seit 2002 unter dem Namen Tui, ist aber eben so wenig noch im Dax wie die Metallgesellschaft. Die heißt heute Gea Group und befindet sich immerhin noch im Nebenwerteindex MDax.

SAP: der erste echte Aufsteiger

Sieben Jahre lang blieb der am 1. Juli 1988 mit damals wie heute 30 Mitgliedern etablierte Dax aber von echten Absteigern unberührt. Dann erwischte es vor 25 Jahren die Deutsche Babcock, im September 1995. Das Industriekonglomerat aus Oberhausen verdrängte ein damals noch kleiner Softwarehersteller aus der Provinz namens SAP. Heute, eine Generation später, sind die Walldorfer die deutsche Aktie mit dem höchsten Börsengewicht. Babcock wiederum stieg erst in den MDax und dann immer weiter ab. 2002 besiegelte die Insolvenz das Ende der damals 111 Jahre alten Gesellschaft. Ähnlich ging es einem weiteren Dax-Gründungsmitglied mit großer Tradition: Karstadt musste 2009 Insolvenz anmelden – damals schon längst raus aus dem Dax und unter dem Kunstnamen Arcandor firmierend. Mittlerweile sind die Essener mit einem anderen, ebenfalls längst nicht mehr börsennotierten Dax-Urgestein unter ein Holdingdach geschlüpft. Mit Kaufhof, die ab 1996 zu dem lange zum langjährigen Dax-Mitglied Metro gehörte, bildet man seit März 2019 die Galeria Karstadt Kaufhof, die erst Ende Januar in einer Fusion von Galeria Kaufhof in die Karstadt Warenhaus AG hineinmündete. Am 1. Juli 2020 musste die Insolvenz anmelden. Mit neuen Stützungskrediten geht es jetzt aber erst einmal weiter.

Größte Übernahme aller Zeiten spielte sich im Dax ab

Weit von einer Insolvenz entfernt, aber schon 20 Jahre verschwunden, ist Mannesmann. Ursprünglich bekannt durch seine Röhren, machten die Düsseldorfer in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhundert in Mobilfunk. Ihr D2-Netz war so erfolgreich, dass Ende 1999 die britische Vodafone in den Ring stieg und 100 Milliarden Euro für eine Übernahme bot. Der damalige Mannesmann-Chef Klaus Esser kitzelte den Winter über sogar 190 Milliarden Euro heraus, woran er kräftig mitverdiente, wie später bekannt wurde. Mit diesem Kaufpreis hat Vodafone sogar bis heute noch den Titel „teuerste Übernahme aller Zeiten“ inne. Weggekauft wurde auch die Frankfurter Hoechst, heute ein Teil der französischen Aventis. Aus Veba und Viag wurde E.On, die Dresdner Bank verschwand erst in der Allianz, um später bei der Commerzbank unterzukommen. Letztere fristet nun eher ein Nischendasein im MDax. In keinem Index mehr ist sogar der 2001 in den Dax aufgestiegene Finanzvertrieb MLP. Der musste 2003 Continental weichen. Der Hannoveraner Automotive-Konzern ist ein Unikat, weil das einzige Dax-Unternehmen, dass es nach einem Abstieg wieder zurück in die erste Liga schaffte. Continental war 1988 Gründungsmitglied, musste 1996 aber für die Münchener Rück den Platz räumen. Das Kunststück gelang Conti übrigens gleich zweimal: Nach einem erneuten Abstieg 2008 (Aufsteiger Beiersdorf) gelang 2012 wieder die Rückkehr.

Zwei Urgesteine in einer italienischen Bank

In der italienischen Unicredit stecken gleich zwei Dax-Urgesteine. Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank und die Bayerische Vereinsbank fusionierten 1998 zur Bayerischen Hypo- und Vereinsbank. Nach einer Umfirmierung in Hypovereinsbank gingen die Münchener 2005 nach einer Übernahme in die Unicredit auf. Ein Jahr später wurde ein weiteres Dax-Urgestein geschluckt: Die Essener Evonik nahm mit umstrittenen Manövern auch seines Großaktionärs RAG Stiftung den Chemiker Degussa von der Börse. Nach Japan verkaufte sich die Siemens-Abspaltung Epcos. Der Hersteller von elektronischen Bauelementen war nur kurz im Index, nur wenige Jahre hielten sich auch Altana, K+S oder Salzgitter. Nur einen Tag waren gar Osram und Lanxess im Index. Mit den Abspaltungen von Siemens und Bayer gab es für eine Handelssitzung 31 Firmen im Dax, um dessen Berechnung zu gewährleisten. Bayer kaufte 2006 mit Schering ein Dax-Urgestein weg, dafür stieg die Postbank auf – heute Teil der Deutschen Bank. Mit Thyssen und der Lufthansa sind inzwischen weitere Dax-Gründungsunternehmen im MDax abgetaucht. Nie mehr zurück kamen bisher auch die Ex-Dax-Mitglieder Salzgitter, ProSiebenSat1.Media und Hannover Rück. Aber da muss das letzte Wort ja nicht gesprochen sein.

Größte Pleite in München, nicht im Aschheim

Die größte Pleite im Dax legte wahrscheinlich nicht einmal Wirecard hin, sondern die Hypo Real Estate (HRE). Die Münchener Bank hatte sich an den Märkten verzockt und wurde 2009 verstaatlicht mit 124 Milliarden Euro an Garantien und 7,7 Milliarden Euro direkten Hilfen. 2010 hat die HRE Darlehen und Wertpapiere im nominellen Wert von rund 173 Milliarden Euro in die sogenannte FMS Wertmanagement gepackt. Diese Bad Bank wickelt das Portfolio nun über Jahrzehnte ab – erst mit dem Verkauf oder der Abschreibung des letzten Wertpapiers wird die endgültige Rechnung feststehen.

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