Stelter strategisch
Nach der Panik an den US-Märkten zum Jahresende herrscht heute wieder Euphorie – nach einem Anstieg des S&P 500 um rund 15 Prozent. Quelle: dpa

Der „Melt-up“-Boom ist wieder im Gespräch

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Wer vom Melt-up spricht, möchte gerne etwas verkaufen und will die Käufer entsprechend heiß machen. Grund genug, genau hinzusehen.

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Das ging schnell. Nach der Panik an den US-Märkten zum Jahresende herrscht heute wieder Euphorie – nach einem Anstieg des S&P 500 um rund 15 Prozent der beste Jahresauftakt seit 1975. Kein geringerer als Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, sieht als Risiko am Markt nicht einen möglichen Einbruch, sondern das Gegenteil. „Wir haben das Risiko eines Melt-up, nicht eines Melt-down“, sagte er in einem TV-Interview auf CNBC.

Zweiter Anlauf zum Melt-up

Die Begründung lieferte er gleich mit: Zu viel Geld ist nicht in Aktien investiert, weil die Investoren zurückhaltend sind. Auch sei ein Großteil der neuen Mittel, die Blackrock im ersten Quartal zugeflossen seien – immerhin netto rund 65 Milliarden Dollar – in Anleihenfonds und nicht in Aktien geflossen. Der Melt-up, also das schnelle Nach-oben-schießen der Kurse, passiert, sobald mehr Investoren erkennen, dass der Börsenaufschwung weitergeht und noch auf den Zug aufspringen.

Wirklich neu ist die These nicht. Schon im Januar 2018 war die Erwartung eines Melt-ups Thema dieser Kolumne. Damals kam es bekanntlich anders. Der S&P 500 stand auf rund 2800 Punkten, stagnierte danach lange Zeit, um im Herbst den Höchststand von 2930 Punkten zu erreichen. In der Spitze also ein Zugewinn von 4,6 Prozent und damit nicht wirklich ein Melt-up. Zum Jahresende lag der S&P übrigens bei 2507, mehr als zehn Prozent unter dem Stand vom Januar.

Dies sollte man im Hinterkopf haben, wenn man heute erneut von einem Melt-up-Boom an der Börse hört. Vermutlich spricht allein schon die Tatsache, dass es thematisiert wird, dafür, dass es nicht so kommt. Selbst in Jahren, die mit einem Gewinn abschließen, stand der Index unterjährig zeitweilig deutlich im Minus. So beispielsweise 1999, wo trotz eines Jahresgewinns von 20 Prozent der Index zwischendurch rund zwölf Prozent im Minus lag. Optimisten sollten also auf eine Korrektur warten, bevor sie auf den Boom an den Märkten setzen.

Voraussetzungen für den Melt-up gegeben?

Ohnehin stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Melt-up überhaupt gegeben sind. Schon vergangenes Jahr habe ich an dieser Stelle die Kriterien zusammengefasst:

- Bären unter Druck: Eine wichtige Voraussetzung für den Melt-up – immerhin definiert als ein Kursanstieg um 50 Prozent oder mehr in kurzer Zeit –, ist die Kapitulation der Bären. Jene, die auf fallende Kurse gesetzt haben, kommen unter Druck und müssen ihre Positionen zu jedem Preis schließen. In Deutschland war das wohl bekannteste Beispiel der Verlauf der VW-Aktie im Zuge des Übernahmekampfes mit Porsche. Obwohl die Aktie heillos überteuert war, stieg sie am 27. Oktober 2008 um fast 100 Prozent von 210 Euro auf über 410 Euro an. In der Spitze wurden 469 Euro bezahlt. Wenige Monate später notierte die Aktie wieder unter 100 Euro. Was damals bei VW passiert ist, müsste also am Gesamtmarkt passieren. Allen warnenden Rufen zum Trotz müsste die Börse weiter steigen und die Bären unter Druck setzen. Ob das passieren wird, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Auszuschließen ist es freilich nicht.

- Mediales Geklapper: Die Medien berichten und verleiten damit die breite Öffentlichkeit dazu, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Nur so kann es zu Steigerungen um 50 Prozent und mehr kommen. Die spät zur Party Kommenden erlauben den frühen Investoren, ihre Gewinne zu sichern und begleiten die Märkte dann mit schmerzlichen Verlusten nach unten, bis sie entnervt aufgeben und verkaufen. Das wiederum signalisiert die Trendwende nach oben. Bisher haben wir eine solche Stimmung in den Medien nicht, auch nicht in den USA.

Anleger sollten nicht hinterherlaufen

- Plausible Geschichte: Wichtig für einen funktionierenden Melt-up ist neben der geschilderten Dynamik eine Geschichte, mit der man die Preisentwicklung rationalisieren kann. Bei der Dotcom-Blase war es die neue industrielle Revolution – die dann viel später kam und heute von Firmen dominiert wird, die zu dieser Zeit teilweise noch nicht existierten. Bei der Immobilienblase in den USA, aber auch in Irland und Spanien, war es die Überzeugung, dass Immobilien niemals im Preis fallen können, gelten sie doch als das sicherste Investment überhaupt. Vergangenes Jahr war es die Furcht vor den Folgen der anhaltend lockeren Geldpolitik. Käme es doch zu der schon lange erwarteten/erhofften Inflation, würde eine Flucht in Sachwerte einsetzen und den Boom auslösen. Bekanntlich ist davon bisher nichts zu sehen. Im Gegenteil bleibt die Inflation trotz gestiegener Ölpreise auf tiefem Niveau. Klares Zeichen für einen anhaltenden deflationären Druck, verstärkt durch eine schwächelnde chinesische Wirtschaft.

Wie schon vor einem Jahr mag ich das Szenario nicht ausschließen, warne aber davor, sich einseitig in diese Richtung zu positionieren. Es kann nämlich auch ganz anders kommen. Die Gefahr einer Rezession ist keineswegs gebannt, wie ein Blick auf die Investitionstätigkeit der US-Unternehmen zeigt. Der zunehmende Lohndruck und der starke Dollar setzen die Gewinne der Unternehmen unter Druck. Schon jetzt sind die Gewinnschätzungen rückläufig.

Hinzu kommen dann noch die offenen Flanken Brexit und Handelskrieg. Nicht das wirkliche Umfeld für einen nachhaltigen Anstieg.

So kann es gut sein, dass die Artikel über den bevorstehenden Melt-up ein viel banaleres Ziel verfolgen: nämlich denjenigen, die bereits voll investiert sind, einen Ausstieg aus den Märkten zu erleichtern.

Für die Spekulanten unter den Lesern mag folgende Idee interessant sein. Wie vor einem Jahr sprechen wir nicht nur von einem Melt-up, sondern haben es auch mit sehr tiefen Volatilitäten an den Märkten zu tun. Im letzten Jahr kam es kurz darauf zu einem sprunghaften Anstieg der Volatilität. Kaufoptionen auf den S&P 500 sind deshalb recht günstig – die Volatilität ist ein wichtiger Faktor bei der Preisbestimmung der Optionen. Käme es zu einem Melt-up, würde man doppelt gewinnen. Steigende Aktien und zunehmende Volatilität würde den Preis der Option deutlich erhöhen. Passiert hingegen nichts großartiges an den Märkten, droht der Totalverlust.

Aus strategischer Sicht bleibe ich bei meiner Empfehlung, an einem stabilen Portfolio festzuhalten und dabei die Cashposition nicht zu vergessen. Kommt es zum Melt-up, ist man dabei. Crasht es schon früher, hat man Pulver zum Nachkaufen.

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