Stelter strategisch

Die EZB entfacht bestenfalls ein Strohfeuer

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Die EZB dürfte nur vordergründig liefern, was die Märkte brauchen. Die jüngste Erholung dürfte vieles bereits vorweg genommen haben. Wie Anleger mit dem EZB-Entscheid umgehen sollten.

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Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Quelle: dpa

Nun tagt sie also wieder, die Europäische Zentralbank (EZB). Gespannt blicken die Märkte der Welt nach Frankfurt und erhoffen sich die erlösende Nachricht: Noch mehr Geld – sei es in Gestalt noch tieferer Refinanzierungszinsen, noch negativerer Einlagenzinsen, noch mehr Käufe von Staatsanleihen oder gar einer Ausweitung des Programms auf Bankanleihen und Papiere mit zweifelhafter Bonität.

Viel spricht dafür, dass die EZB diesmal nicht enttäuscht. Also geht es weiter im bisherigen Spiel, eine Solvenzkrise wie eine Illiquiditätskrise zu behandeln. Banken, Finanzmärkte und Finanzminister dürfte es freuen. Kauft die EZB doch wieder Zeit, und man kann darauf setzen, dass sich die Nachfolger mit dem dann noch größeren Problem herumschlagen müssen.

Aber was tut der Investor? Auf den Börsenzug aufspringen und die absehbaren Gewinne mitnehmen oder bereits heute vorwegnehmen, was unweigerlich kommt: die erneute Korrektur, der erneute Ruf nach weiterem Geld, die immer drastischeren Interventionen? Das große Anleihekaufprogramm der EZB ist gerade mal ein Jahr alt. So verfestigt sich der Eindruck, dass die Maßnahmen der Notenbanken Strohfeuer sind, die immer kürzer brennen und immer weniger Wärme erzeugen.

Zur Person

Kann also gut sein, dass heute der Grundsatz gilt: sell the News. Denn im Kern unterstreicht die EZB mit ihren immer verzweifelteren Interventionen, dass auch die Notenbanker mit ihrem Latein am Ende sind.

Zweifel an der Wirksamkeit der Geldpolitik wachsen

Hat die US-Notenbank Fed mit ihrem Entscheid, die Zinsen in den Abschwung hinein zu erhöhen, im Dezember die sinkenden Kurse an den Börsen verstärkt, so könnte die EZB nun das Gegenteil von dem erreichen, was sie eigentlich beabsichtigt. Die Börse könnte fallen statt zu steigen. Denn es wachsen doch die Zweifel an der Wirksamkeit der Geldpolitik. Erst wenn die letzten Hemmungen fallen und die Notenbanken zur direkten Finanzierung von Staatsausgaben übergehen, dürfte es zu einem wahren Boom an den Börsen kommen. Nur dann können wir davon ausgehen, dass es gelingt, Deflation und Rezession nachhaltig zu überwinden. Je mehr das die Finanzmärkte realisieren, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Märkte nicht mehr wie gewohnt auf die Notenpresse reagieren.

Das Drama, welches sich zur Zeit in Portugal und Österreich mit der Behandlung von Anleihegläubigern staatlich garantierter Schulden abspielt, wirft ein Schlaglicht auf die Größe der Probleme, vor denen wir stehen. Mich wundert dabei nicht so sehr, dass die Staaten versuchen, Gläubiger zur Kasse zu bitten, sondern, dass die Gläubiger so naiv waren, an Versprechungen von Staaten und insolventen Banken zu glauben.

Die EZB könnte ein Strohfeuer entfachen

Um es mit aller Deutlichkeit zu wiederholen (meine Stammleser kennen es): die Schulden sind untragbar und müssen aus der Welt geschafft werden. Entweder die Notenbanken agieren als letzte Gläubiger und monetarisieren die Schulden oder es kommt zu mehr oder weniger elegant organisierten Schuldenschnitten. Erklärt die EZB nun, im großen Stile Bankanleihen und Schulden von Bad Banks zu kaufen, wäre dies das von vielen so sehnlichst erwartete Signal, dass es ernst wird mit der Monetarisierung. Aktien wären angesichts der dann zu erwartenden deutlichen Inflation ein Muss für jedes Portfolio. Schreckt die EZB hingegen – wie zu erwarten ist - davor noch zurück, spricht viel für ein Strohfeuer. Und es spricht einiges dafür, dass die  Erholung der vergangenen Wochen dieses Strohfeuer bereits vorweg genommen hat. Dann werden die Märkte als nächstes ein dauerhaftes Siechtum in der Euro-Zone, verbunden mit deflationären Tendenzen, vorwegnehmen und die Kurse drohen zu fallen. So verquer die Logik der Börsen auch manchmal erscheint – es geht halt immer um die Erwartungen für die Zukunft.

Seit dem Jahr 2000 haben sich US-Staatsanleihen besser entwickelt als der US-Aktienmarkt. Sicherlich zurecht sehen viele Beobachter die Anleihemärkte in einer großen Blase. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass Aktien billig sind und auch nicht, dass die Anleihekurse schon bald kollabieren müssen. Fallen wir tiefer in Rezession und Deflation, sind selbst Negativzinsen auf Anleihen solider Schuldner ein gutes Investment. Am Ende wird die Monetarisierung stehen. Bis dahin dürfte es aber noch eine Weile dauern. Realisieren dies die Finanzmärkte, dürfte der Dax nach der EZB-Entscheidung keine großen Sprünge machen. Realisieren sie es nicht, so mag es ein schönes Strohfeuer geben.

Anleger, die in Aktien übergewichtet sind, sollten dies zur Reduktion ihrer Bestände nutzen. Alle anderen sollten sich vom Medien-Hype um die EZB-Beschlüsse nicht verunsichern lassen. Mit dem hier immer wieder postulierten diversifizierten Portfolio bleiben wir für alle Szenarien gerüstet. Denn eines ist gewiss: das mit dem besten Ein- und Ausstiegspunkt ist reine Theorie. Und wie heißt es so schön: in der Theorie unterscheiden sich Praxis und Theorie nicht. In der Praxis schon.

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