Stelter strategisch
Der Nasdaq-Sitz am Times Square wenige Wochen vor dem damaligen Höchststand des Technologieindex. Die Dotcom-Blase platzte im März 2000 und verursachte einen weltweiten Börsencrash. Quelle: imago images

Verluste sind wieder „sexy“

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Mehr als 80 Prozent der Unternehmen, die in den USA an die Börse gehen, haben noch nie Gewinn gemacht. Zuletzt war das im Jahr 2000 der Fall.

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Martin Gore, Mastermind der legendären Synthie-Pop-Band Depeche Mode und längst selbst eine Legende, wird mit dem Moog Innovation Award 2019 des ebenfalls legendären Keyboard-Herstellers Moog ausgezeichnet. „Lots of surprises in store / This isn’t a party / It’s a whole lot more“ schrieb der für seine sozialkritischen Texte berühmte Brite schon 1983 in seinem Song „It’s more than a Party“. Gore, der nach dem Schulabschluss in einer Londoner Bank arbeitete, konnte damals nicht ahnen, dass 16 Jahre später, 1999, ein Partyjahr von besonderer Klasse an den Weltbörsen sein würde. Und vermutlich hätte es ihn auch nicht interessiert. Trotzdem passen viele Zeilen seines Songs auch auf diese Börsenparty, die schon damals von zu viel und vor allem zu billigem Geld der US-Notenbank Fed angetrieben wurde.

Zum billigen Geld kamen die schier grenzenlosen Möglichkeiten des Internets, was zu einem wahren Boom an Börsengängen führte. Immerhin fast 80 Prozent der Unternehmen, die damals an die Börse gingen, machten Verluste. Es galt sogar die Regel, dass eine Aktie, je attraktiver sei, umso größere Verluste sie schreibe. Galten diese doch als ein Zeichen für künftige Gewinne.

Statt um Cashflow und Profit ging es um Besucherzahlen auf Webpages und andere mehr oder eher weniger zuverlässige Indikatoren für das Wachstum der Geschäfte. Die Party fand wenig später ihr Ende und konnte erst durch eine weitere Runde noch billigeren Geldes wiederbelebt werden (Immobilienblase), um nach der Finanzkrise zur heutigen „Alles-Blase“ zu führen.

Verluste sind wieder „sexy“

So verwundert es nicht, dass wir auch heute wieder jene Unternehmen feiern, die möglichst hohe Verluste machen. Wie schon 1999 weisen auch heute fast 80 Prozent der Unternehmen, die an die US-Börse kommen, Verluste aus. Der Unterschied zu damals: Die Verluste sind noch größer und die Bewertungen noch beeindruckender!

Jüngstes Beispiel ist der US-Fahrdienstvermittler Lyft. Obwohl mit tiefroten Zahlen (2018: 911 Millionen Verlust bei 2,3 Milliarden Umsatz) und intensivem Wettbewerbsumfeld kämpfend, gelang dem Uber-Rivalen ein eindrucksvolles Börsendebüt. Über zwei Milliarden US-Dollar konnten bei einer Bewertung von über 23 Milliarden Dollar eingesammelt werden. Zunächst stieg die Aktie noch um 21 Prozent, so groß war das Interesse der Investoren. Doch schon bald setzte Ernüchterung ein: Von ihrem Höchststand von 88,60 Dollar verlor die Aktie innerhalb weniger Tage in der Spitze 33 Prozent. Vielleicht haben dann doch einige Investoren genauer hingeschaut, warnte doch das Management vor weiteren, anhaltenden Verlusten.

Wettbewerber Uber dürfte in den kommenden Wochen die Börsengänge von Verlustunternehmen (vorläufig?) krönen. Obwohl das Unternehmen noch nie Gewinne erzielte und wohl auf absehbare Zeit nicht erzielen wird, dürfte die Börse das Unternehmen mit mehr als 100 Milliarden US-Dollar bewerten. Wenn es noch eines Zeichens für die Exzesse billigen Geldes bedurft hätte, da ist es – ungeachtet erheblichen Wettbewerbsdrucks, zunehmender Probleme mit der Regulierung und sich häufenden Skandalen.

Wagniskapital im Überschuss

Dabei machen die Börsianer nur verspätet das mit, was schon eine Stufe vorher bei den Wagniskapitalgebern passiert. Denn auch dort gibt es eine Entwicklung, die stark an die Jahre vor dem Platzen der New-Economy-Blase erinnert. Damals stieg der US-Technologieindex NASDAQ zwischen 1995 und 2000 von 1000 auf mehr als 5000 Punkte. Diesmal hat sich der Wert der Einhörner – also der Start-ups, die in Finanzierungsrunden mit einer Milliarde oder mehr bewertet werden –, innerhalb von fünf Jahren von 100 auf über 500 Milliarden US-Dollar erhöht. Insgesamt werden in den USA seit 2006 138 solcher Einhörner gezählt. Pro Jahr kommen rund 30 weitere hinzu. Immer mehr solcher Unternehmen können sich in privaten Finanzierungsrunden 100 Millionen US-Dollar und mehr an frischem Kapital besorgen.

Dahinter steht nicht so sehr die Brillanz der Geschäftsideen, sondern vermutlich mehr der enorme Anlagedruck der Wagniskapitalgeber. Die Venture-Capital-Fonds haben so viel Geld eingesammelt wie noch nie. Sequoia Capital, eine der bekanntesten und erfolgreichsten Risikokapital-Beteiligungsgesellschaften, hat kürzlich mit acht Milliarden US-Dollar den größten je aufgelegten Fonds einer Wagniskapitalgesellschaft platziert. Geld, das investiert werden will.

So wundert es nicht, dass die oben beschriebenen Start-ups immer schneller den Einhorn-Status erlangen. An dieser Stelle drei Beispiele:

- Bird, ein Rollerverleih-Unternehmen mit Sitz in Santa Monica, Kalifornien, das Elektroroller in Städten in ganz Nordamerika betreibt, wurde erst im April 2017 gegründet. Innerhalb von zwölf Monaten konnte das Unternehmen vier Finanzierungsrunden abschließen und mehr als 300 Millionen Dollar Kapital einsammeln.

- DoorDash, ein 2013 gegründeter Lieferservice für Essen, hat seine Bewertung innerhalb von zwölf Monaten von 1,4 auf 7,1 Milliarden US-Dollar gesteigert. Zu den Investoren gehören unter anderem Softbank und Sequoia Capital, die mehrere hundert Millionen US-Dollar investiert haben.

- Robinhood, eine Smartphone-App, mit der Investoren Aktien und Exchange Traded Fonds günstig handeln können, steigerte die Bewertung in kürzester Zeit von 1,3 auf 5,6 Milliarden.

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