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Börsenhändler Peter Tuchman Quelle: dpa

Wall Street: Eine Blase, die platzt?

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Ein neues Modell hilft, Blasen an den Finanzmärkten zu erkennen und sendet ein eindeutiges Signal aus: die Performance der Wall Street 2018 war eine Blase. Worauf sich Anleger einstellen sollten.

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Schon mit dem Titel der heutigen Kolumne dürfte ich zweifachen Protest auslösen: ist es überhaupt berechtigt, mit Blick auf die US-Börse von „Blase“ zu sprechen und selbst wenn, ist es dann nicht recht mutig, angesichts der beeindruckenden Erholung seit Weihnachten von einem „Platzen“ der Blase zu sprechen?

Nun, nicht nur ich bin mit Blick auf die US-Börse skeptisch. Auch andere Beobachter erwarten angesichts des immer noch hohen Bewertungsniveaus für die kommenden Jahre im besten Fall nur maue Renditen.

Zu den angesehensten Skeptikern gehört der Bostoner Vermögensmanager GMO. Regelmäßig veröffentlicht GMO interessante Studien zu den Entwicklungen an den Kapitalmärkten und jedes Jahr eine Prognose zu den zu erwartenden Renditen über einen Zeitraum von sieben Jahren. Zuletzt im Dezember 2018 zeigte die Analyse, dass mit Aktien aus den USA nicht viel Geld zu verdienen sein wird. Zu hoch war die Bewertung noch, trotz der bereits erfolgten Korrektur.

von Julian Heißler, Mark Fehr, Sebastian Kirsch, Heike Schwerdtfeger

Haben wir es mit einer Blase zu tun?

Doch deshalb gleich von „Blase“ zu sprechen, geht den meisten Beobachtern zu weit. Zwar kommen sie um die hohe Bewertung der US-Börse nicht herum, die immerhin auf dem Niveau von 1929 liegt. Nur zur Jahreswende 1999/2000 waren US-Aktien noch teurer. Andererseits verweisen sie auf das Fehlen von Euphorie. Noch geben Friseure, Schuhputzer und Taxifahrer keine Aktientipps, also ist es noch nicht so weit, lautet die Schlussfolgerung. In der Tat lassen sich bei allen Blasen des letzten Jahrhunderts entsprechende Anekdoten finden, die unterstreichen, dass Spekulanten getrieben von der Überzeugung, „diesmal sei alles anders“ oder einfach nur aus der Angst, etwas zu verpassen die Kurse immer weiter nach oben getrieben haben.

Eine neue Methode versucht nun, „Euphorie“ quantitativ zu erfassen. Nicht mehr Anekdoten sollen Auskunft über den Zustand des Marktes geben, sondern die Dynamik der Aktienkursentwicklung selbst. GMO berichtet darüber in einer Studie.

Grundüberlegung hinter dem Modell - wie auch hinter der Renditeprognose von GMO für verschiedene Assetklassen – ist die Annahme, dass sich Bewertungen über die Zeit ihrem langfristigen Durchschnitt annähern. Wenn beispielsweise das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) im Durchschnitt der letzten Jahrzehnte bei 10 liegt und heute wird das 15fache bezahlt, geht das Modell davon aus, dass sich die Bewertung über die kommenden Jahre wieder 10 annähert. Das gilt auch im umgekehrten Fall, wenn eine Bewertung laut KGV unter 10 gefallen ist. Dann wird erwartet, dass sich die Bewertung erhöht. Man spricht von der Konvergenz zum Durchschnitt. („Mean Reversion“)

Blasen entstehen dann, wenn gute Zeiten herrschen und die Erwartung im Markt ist, dass die Zeiten noch besser werden. Es sind also gute Fundamentaldaten, die zu noch höheren Erwartungen führen, was die Bewertungen zusätzlich treibt. Was dann passiert ist das Gegenteil von „Mean Reversion“, es ist „Mean Aversion“, also eine beschleunigte Entwicklung in die „falsche“ Richtung. Statt sich der normalen Bewertung anzunähern, beschleunigt sich die Entwicklung von ihr weg. Immer schneller werden immer höhere Preise bezahlt.

Euphorie zeigt sich also an einer beschleunigten Entfernung von langfristig normalen Bewertungsniveaus. Während meistens eine Tendenz in Richtung der langfristigen Durchschnittswerte besteht, handelt es sich bei „Mean Aversion“, um seltene Ausnahmen.

2018 Blasenmerkmale wie 1929

Seit 1881 gab es insgesamt nur fünf Perioden mit sich beschleunigender „Mean Aversion“. In zwei Fällen war es eine extreme Unterbewertung – also das Gegenteil einer Blase. Dies war nach dem ersten Weltkrieg der Fall, als die USA die „vergessene“ Depression durchlebten und Anfang der 1980er Jahre zum Höhepunkt der Inflationskrise. In beiden Fällen folgten sehr gute Börsenjahre.

Umgekehrt war es 1929, Ende der 1990er Jahre und 2017 bis 2018. Hier trafen hohe Bewertungen mit einer beschleunigten Entfernung von den langfristigen Durchschnittsbewertungen zusammen.

Während es unstrittig ist, dass wir es 1929 und Ende der 1990er Jahre mit Blasen zu tun hatten, ist das Urteil über das Jahr 2018 noch offen. Die Daten ergeben allerdings ein eindeutiges Bild und zeigen eine beschleunigte Aufwärtsbewegung über das fundamental gerechtfertigte Bewertungsniveau von Anfang 2017 bis zum dritten Quartal 2018. Wer genau hinschaut, kann mit Blick auf Bitcoin, Big Data und Künstliche Intelligenz auch Anzeichen für eine Euphorie entdecken. Auch wenn wir es erst in einigen Jahren genau wissen, spricht viel dafür, dass wir es mit einer Blase zu tun hatten.

Was spricht dafür, dass die Blase jetzt platzt?

Blasen platzen, sobald die Euphorie nicht weiter zunimmt. Es genügt bereits, wenn positive Erwartungen nicht mehr positiver werden. Dann geht der Blase die Luft aus. So auch im letzten Quartal 2018. Obwohl die Gewinne pro Aktie der im S&P 500 enthaltenen Unternehmen im vergangenen Jahr um 28 Prozent gestiegen sind und ein weiteres Gewinnwachstum von zwölf Prozent erwartet wurde, ist der Markt um 14 Prozent gesunken.

Ursache war der Rückgang der Erwartungen. Zwar wurde immer noch erhebliches Wachstum der Gewinne erwartet, aber weniger als zuvor. Hinzu kamen die Sorgen vor den Folgen der Verknappung des Geldes durch die US-Notenbank und der sich verschärfende Handelskonflikt mit China.

Das Modell zeigt deutlich was passiert. Die Periode der beschleunigten „Mean Aversion“ ist umgeschlagen in eine beschleunigte „Mean Reversion“, also einer Annäherung an die fundamental gerechtfertigten Werte. Genauso sah es nach dem Platzen der Blasen 1929 und im Jahr 2000 aus. Vieles spricht also dafür, dass wir erst den Beginn der Korrektur an der US-Börse gesehen haben und vor deutlich tieferen Kursen stehen.

Einseitig darauf wetten, sollte man dennoch nicht. Denn selbst wenn das Modell Blasen eindeutig identifizieren kann, eignet es sich doch nicht zum Timing. So deutete sich 1998 im Zuge der LTCM-Krise ein Platzen der Dot.Com-Blase an, es dauerte aber noch weitere 18 Monate bis es wirklich so weit war.

Was tun?

Ich finde das Modell zur Bestimmung von Blasen durchaus überzeugend. Allerdings sehe auch ich die Schwierigkeit mit dem Timing der weiteren Entwicklung. Gut möglich, dass eine Flut guter Nachrichten zu einer Rückkehr der Euphorie führt und die Börse noch ein paar starke Monate vor sich hat. Wer da mitspielen will, kann das tun, muss sich aber bewusst sein, dass ein Trendwechsel abrupt und drastisch ausfallen dürfte. Vor allem ist er schwer vorherzusagen, basiert er doch auf einem Stimmungsumschwung, den man wohl erst im Nachhinein erkennt.

GMO stellt ebenfalls die Frage nach der idealen Vorgehensweise und kommt zu der einfachen Empfehlung: so wenig US-Aktien zu besitzen, wie möglich.

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