Stelter strategisch

Das letzte Hurra

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War das der Melt-up?

Stellt sich die Frage: war das schon der Melt-up-Boom, von dem im Januar so viel die Rede war? Gemeint ist ein dramatischer und unerwarteter Preisanstieg, der durch einen Run der Anleger ausgelöst wird, die Angst haben etwas zu verpassen anstatt durch eine wirkliche Verbesserung in der Realwirtschaft. Letzteres kann einem egal sein, Hauptsache man ist mit dabei.

Damals hatte ich eine Studie von Jeremy Grantham vom Bostoner Vermögensverwalter GMO zitiert, in der die Charaktermerkmale früherer Blasen analysiert und auf die heutige Situation übertragen werden. Kernergebnis: obwohl die Börse schon heute so teuer ist wie vor dem Börsenkrach 1929 – nur in der Dot.com-Blase war die Bewertung an der Wall Street noch höher – könnte es durchaus sein, dass die Märkte in den nächsten 21 Monaten nochmals 60 Prozent zulegen. Kursziel wären damit bis zu 3700 Punkte im S&P 500. Bis dahin fehlen uns immerhin noch fast 1000 Punkte.

Andererseits machte die Analyse deutlich, dass es ein untrügliches Zeichen für einen Melt-up ist, dass der Markt sich immer stärker auf wenige Werte konzentriert. Und dass diese gekauft werden, weil man auf weitere kurzfristige Kursgewinne setzt, nicht weil die fundamentale Bewertung so attraktiv ist. Anleger kaufen jene Aktien, die in der jüngsten Vergangenheit am meisten zugelegt haben. Das trifft auf die FAANGs sicherlich zu und damit auf den gesamten Markt. Gut möglich also, dass wir gerade den Melt-up erleben, ohne ihn richtig wahrzunehmen, weil der Gesamtmarkt bereits so angeschlagen ist.

Das Ende ist nah

„The End is near“ titelt das US-Magazin Fortune in seiner Augustausgabe: die Konjunktur in den USA wird sich abschwächen, der Bullenmarkt enden. Nun könnte man meinen, die naheliegende Schlussfolgerung ist, Aktien zu verkaufen und das Geld in kurzlaufenden US-Staatsanleihen zu parken. Letztere bringen mit rund zwei Prozent mehr als vergleichbare Anleihen hiesiger Krisenländer. Doch weit gefehlt. Fortune empfiehlt, an Aktien festzuhalten, lediglich die Gewichtung zugunsten der zuletzt stark gefallenen Schwellenländer zu erhöhen. So sehr ich die Logik für einen höheren Anteil der Schwellenländer teile, so sehr ist es doch auch ein Zeichen für einen zu großen Optimismus. Kommt es nämlich zu Rezession und Korrektur an der Börse, kann dies sehr schnell deutliche Ausmaße annehmen. Ein Szenario, in dem Amerika fällt, die Schwellenmärkte und Europa jedoch steigen, ist schwer vorstellbar.

Womit wir beim Fazit sind, welches regelmäßige Leser dieser Kolumne nicht groß überraschen wird. Immer mehr Zeichen deuten darauf hin, dass wir uns in den letzten Wochen der Aufwärtsbewegung befinden. Die Wall Street ist der letzte Markt weltweit, der neue Höchststände erreicht. Der Rest der Welt liegt im Minus. Besonders ausgeprägt ist das Minus in den Schwellenländern, was wie der Kanarienvogel in der Kohlemine auf zunehmenden Stress im Weltfinanzsystem hindeutet. Letzteres ist so hoch verschuldet wie noch nie und dies immer mehr in Fremdwährung - vor allem in US-Dollar, was die Anfälligkeit erhöht.

In den USA täuschen derweil die Indizes eine Entwicklung vor, die so gar nicht gegeben ist. Der breite Markt ist auch hier rückläufig, dies wird noch von der herausragenden Performance einiger weniger Aktien überkompensiert. Diese wiederum sind zunehmend so hoch bewertet, dass es schwer fällt sie aus fundamentaler Überzeugung heraus zu kaufen. Gekauft werden sie, weil sie schon gestiegen sind. Derweil werden die mahnenden Stimmen deutlicher.

Was ist wohl wahrscheinlicher: dass die Weltbörsen demnächst den FAANGs nach oben folgen oder das Gegenteil? Ich persönlich bereite mich auf das zweite Szenario vor.

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