Streit um passives Investment Die Fondsbranche attackiert Blackrock und Vanguard

Passive Formen der Geldanlage graben hoch bezahlten Fondsmanagern das Wasser ab. Aber die setzen sich zur Wehr – mit schweren Vorwürfen.

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Der Gründer und Vorstand der Flossbach von Storch AG erhebt harte Vorwürfe gegen passive Indexfonds. Quelle: Rudolf Wichert für Handelsblatt

Frankfurt Bert Flossbach nimmt kein Blatt vor den Mund. Mit Blick auf passives Investment, das statt einer bewussten Auswahl von Wertpapieren einfach einen Index nachbildet, sagt er: „Das ist ein riesiges Macht- und damit auch Kartellproblem, das die Marktwirtschaft, vielleicht sogar die Demokratie bedrohen kann.“

Nach seiner Einschätzung werden die großen Passiv-Anbieter Blackrock, Vanguard und State Street in ein paar Jahren 40 Prozent der börsennotierten US-Firmen und 20 bis 30 Prozent der europäischen Unternehmen besitzen.

Am Montag war bekannt geworden, dass Ende Januar zum ersten Mal mehr als fünf Billionen Dollar in sogenannten Exchange Traded Funds und Produkten (ETFs und ETPs) investiert waren. Das geht aus vorläufigen Zahlen des Londoner Analysehauses ETFGI hervorgeht.

Bert Flossbach, der Co-Gründer der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch in Köln, steht mit seiner Kritik nicht allein. Schon im Jahr 2016 überschrieben Experten der Vermögensverwaltung Bernstein Alliance eine Studie mit dem Titel: „Der stille Weg zur Knechtschaft. Warum passives Investment schlimmer ist als Marxismus.“

Der erste der beiden Sätze echot den Titel eines Buchs des ultraliberalen Ökonomen Friedrich August Hayek aus dem Jahr 1944, in dem er den modernen Wohlfahrtsstaat als eine Art fürsorglichen Totalitarismus brandmarkt. Bernstein legte allerdings selber zwei börsengehandelte Fonds (ETFs) auf, die eine Art Mischung aus aktivem und passivem Investment bieten.

Dass die aktiven Manager sich gegen einen Trend wehren, mit dem in den USA vor allem die Fondsgesellschaft Vanguard immer mehr Investorengeld absaugt, hat seinen Grund. Aktive Vermögensverwaltung ist weltweit trotz eines gewissen Drucks der Investoren, die Gebühren zu senken, immer noch ein sehr gutes, margenstarkes Geschäft, für das man relativ wenig kostbares Eigenkapital einsetzen muss.

Davon leben zahlreiche Banken, Vermögensverwalter und Fondsgesellschaft samt ihren gut bezahlten Experten, die mit dem Anspruch herumlaufen, durch geschickte Auswahl von Wertpapieren überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen. Wenn der aktive Marktanteil weiter schwindet, entzieht das der Finanzbranche eine Menge Geld.

Die gute Nachricht: 2017 lief es für die aktiven Fonds einigermaßen erfolgreich. Nach einer Auswertung der Ratingagentur Scope unter 2100 Aktienfonds schaffte es gut die Hälfte, den Index zu schlagen, nachdem dieser Anteil 2016 bei nur knapp einem Viertel gelegen hatte. Viele Manager hatten rechtzeitig den Schwerpunkt auf die Branchen Technologie, Konsum und Finanzen gelegt, die im ersten Halbjahr sehr gut abschnitten.

Außerdem wirkten sich Investitionen in mittlere und kleinere Aktienwerte positiv aus. Besonders viele Deutschland-Fonds liefen gut, schlecht dagegen die meisten mit Schwerpunkt Nordamerika. Rentenfonds schafften etwa zur Hälfte, den Index zu schlagen, nach nur einem Drittel im Jahr zuvor. Scope schreibt allerdings in der neuen Studie zu Recht: „50 Prozent ist kaum besser als ein Münzwurf.“

Anders gesagt: Wenn die Hälfte besser und die andere Hälfte schlechter als der breite Markt abschneidet, dann ist nicht zu erkennen, dass aktives Management systematisch einen Mehrwert bringt.


Für die Feld-Wald-und-Wiesen-Fonds bleibt immer weniger übrig

Die Beratungsgesellschaft Boston Consulting (BCB) hat schon im vergangenen Jahr gewarnt, dass das „Alpha“, so nennen Experten den Mehrwert durch aktives Management, auf dem Rückzug sei. Nach ihrer Prognose werden passive Anlagen 2021 weltweit 20 Prozent Anteil des weltweiten Vermögens von dann annähernd 90 Billionen Dollar haben, das in Fonds oder Kundendepots aller Art liegt.

Zugleich tragen diese Anlagen aber nach dieser Prognose nur sieben Prozent zum Gebührenaufkommen von rund 300 Milliarden bei. Das zeigt, was die Branche zu verlieren hat, wenn die Passiven noch weitere Anteile gewinnen.

2016 hatten die Passiven 18 Prozent Anteil am Volumen von 69 Billionen Dollar und sechs Prozent an 250 Milliarden Gebühren. Dabei ist zu beachten: Ein großer Teil des passiven Vermögens liegt zwar in börsengehandelten Fonds (ETFs), die zunächst für Privatkunden entwickelt wurden, aber auch von Profis gerne genutzt werden. Aber es gibt auch passiv verwaltete Depots, etwa für Großkunden wie Versicherungen, und auf der Gegenseite in kleinerem Umfang auch aktiv gemanagte ETFs.

Die reinen Zahlen zeigen noch nicht die ganze Dramatik der Entwicklung. „Neu ist, dass das passive Investment jetzt auch spezielle Bereiche betrifft wie etwa kleine Aktien“, sagte BCG-Partner Brent Beardsley bei der Vorstellung des Branchenreports. Außerdem fällt noch ein Trend auf: Wirklich gut laufen vor allem Anlagen wie Private Equity, also Unternehmensbeteiligungen, bei denen das Geld für eine Weile fest liegt. Der Mehrertrag in diesem Bereich kommt vor allem daher, dass der Anleger auf Flexibilität verzichtet.

Der gesamte alternative Bereich, zu dem zusätzlich zum Beispiel auch Hedgefonds und Immobilien gehören, kann laut BCG im Jahr 2021 einen Anteil vom 16 Prozent am Volumen, aber von gut 40 Prozent an den Gebühren erreichen. Damit bleibt für die klassischen aktiven Feld-Wald-und-Wiesen-Fonds immer weniger übrig: knapp 30 Prozent an Volumen, aber nur 20 Prozent der Gebühren.

Für den Passiv-Boom gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste ist, dass aktive Manager im Durchschnitt schlechter abschneiden als die Börsenindizes. Das ist auch nicht überraschend: Per Definition können Investoren insgesamt nur durchschnittlich abschneiden. Weil die Experten der aktiven Fonds gut bezahlt werden, muss man vom Durchschnitt aber noch Kosten abziehen und landet so automatisch unterdurchschnittlich.

Der wohl berühmteste Fürsprecher für passives Investment, der beständig auf diesen Zusammenhang hinweist, ist Warren Buffett. Er selbst investiert allerdings aktiv, aber mit Jahrzehnte langer Erfahrung und einem äußerst schmalen Stab an Mitarbeitern – also ebenfalls kosteneffizient.

Vor allem in den USA war die Situation noch in den 90er Jahren anders als heute, wie Vanguard-Chef William McNabb gerne hervorhebt. Damals war der US-Aktienmarkt zu rund 90 Prozent in der Hand unerfahrener und häufig auch schlecht beratener Privatanleger. Aktive Fondsprofis konnten zu Lasten dieser schwachen Konkurrenz zumindest hier und da Mehrerträge erzielen.

Inzwischen bestimmen dagegen zumindest auf den großen Märkten Profis, wo es lang geht. Da ist dann mit noch so viel Sachverstand nur noch wenig Mehrertrag zu holen, weil die anderen genauso schlau sind. Das ist wie beim Pokern: Das ist für Profis auch nur so lange ein gutes Geschäft, wie mindestens ein unerfahrener Spieler mit am Tisch sitzt.


Auch bei der Fondsanlage gibt es nichts umsonst

Die Kritik am passiven Investment entzündet sich an mehreren Punkten, wobei die Argumentation meist auf tönernen Füßen steht. Einmal geht es um die Frage der Aktionärsdemokratie. Wenn immer mehr Fonds passiv investieren, heißt es, dann kontrolliert niemand mehr wirkungsvoll die Unternehmensvorstände. Stefan Bielmeier, Chefökonom der DZ-Bank, sagt: „Auch für Indexfonds gilt: Besitz fordert Verantwortung, das ist ein Grundprinzip, das die ETFs nicht einhalten. Sie müssen mehr Flagge zeigen auf den Hauptversammlungen.“

McNabb hält seit Jahren dagegen. „Wir sind die Langfrist-Investoren“, ist sein Argument. Weil passive Investoren Aktien nicht einfach verkaufen können, haben sie seiner Meinung nach sogar ein besonders großes Interesse, auf Hauptversammlungen oder zuvor schon hinter den Kulissen Einfluss zu nehmen.

Die Frage ist allerdings, in wie weit sie das tatsächlich tun. Sie beschäftigen sich ja auch weniger als klassische Fondsexperten mit den einzelnen Firmen – das ist kostengünstig, schafft aber auch keine Kompetenz. Bielmeier sagt daher: „Eine Einmischung wird diskutiert, aber nicht gelebt.“ Dagegen muss man aber halten: Jahrzehnte lang haben Banken und aktive Fonds auch weitgehend abgenickt, was sie von Unternehmensvorständen vorgesetzt bekamen. Aktionärsdemokratie war schon immer mehr ein Schlagwort als gelebte Praxis.

Der zweite Punkt, den ja auch Flossbach anspricht, bezieht sich darauf, dass der passive Markt mit den drei großen Anbietern Blackrock, Vanguard und State Street sehr konzentriert ist. Der Vorwurf, dass damit auch eine Machtkonzentration entstanden ist, liegt nahe. Aber er widerspricht der ebenfalls geäußerten Kritik, sie seien zu passiv – beides passt nicht wirklich zusammen. Außerdem könnten aktive Vermögensverwalter das Problem schnell lösen, indem sie selber ETFs auflegen. Aber damit würden sie sich ins eigene Fleisch schneiden.

Der dritte Punkt ist die Sorge, dass wegen eines Anstiegs des passiven Investments möglicherweise irgendwann die Märkte nicht mehr richtig funktionieren. Sogar John Bogle, der legendäre Gründer von Vanguard, hat diese Sorge im vergangenen Jahr einmal vage angedeutet.

Felix Hufeld, Chef der deutschen Finanzaufsicht (Bafin), sagt: „Plötzliche massive Verkäufe etwa könnten zum Problem werden, vor allem bei börsennotierten Indexfonds mit weniger liquiden Basiswerten.“ Er will daher den Markt genau beobachten. Richtig ist, dass mit ETFs, weil sie keine Anfangsgebühren haben, der Ausstieg besonders leicht ist, was in bestimmten Situationen zu hektischen Marktreaktionen beitragen kann. Auf der anderen Seite gibt es solche Reaktionen auch bei klassischen Fonds.

Die Sorgen gehen aber noch weiter. Letztlich weiß niemand, wie ein Markt funktioniert, bei dem es nur noch wenige aktive Mitspieler gibt. Die Theorie, die auch häufig zitiert wird, besagt, dass sich das Problem von allein regeln müsste. Sollten durch ETFs Verzerrungen entstehen, etwa eine systematische Überbewertung von Aktien, die in gängigen Indizes enthalten sind, dann müsste das zu Arbitrage-Geschäften führen, die für einen Ausgleich sorgen. Hedgefonds könnten also zum Beispiel darauf wetten, dass sich die Lücke zwischen den Marktsegmenten irgendwann wieder schließt – und damit zu dieser Schließung beitragen.

Ben Johnson, ETF-Experte der Researchfirma Morningstar, ist daher überzeugt, dass relativ wenige, besonders ausgefuchste Investoren genügen, um einen Markt flüssig zu halten. Morningstar ist selber von dem Kampf zwischen Aktiv und Passiv betroffen. Mit Johnson haben die Analysten aus Chicago zwar einen sehr aktiven Fürsprecher für passive Anlagen. Aber der größte Teil ihres eigenen Geschäfts ist immer noch die Bewertung aktiver Fonds.

Für Anleger ist vor allem wichtig: Auch bei der Fondsanlage gibt es nichts umsonst. Wer höhere Renditen will, muss meist mit höherem Risiko dafür bezahlen, oder damit, dass das Geld festliegt – was letztlich auch nur eine Form von Risiko ist. Wer Glück hat, findet einen aktiven Fonds mit gutem Mehrertrag, aber nüchtern betrachtet ist die Wahrscheinlichkeit hoch, mehr Gebühren zu zahlen, ohne dafür ein besseres Ergebnis zu bekommen.

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