Wer schon 2007 auf den Titelblatt-Indikator vertraut hat, konnte seinerzeit Gewinne mitnehmen oder zumindest Verluste begrenzen. Denn wenige Wochen bevor der Dax seine bis heute gültige Rekordhöhe erreichte, gaben einige populäre Publikationen ein starkes Verkaufssignal. Am 4. Juni warb die Titelseite des „Focus“ für einen Einstieg in Aktien mit der Schlagzeile: „Werden Sie Börsengewinner!“. Selbst die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ lockte auf ihrer Titelseite die Leser mit dem möglichen Börsenreichtum. Die beiden Zeitschriften haben mit ihren euphorischen Titelzeilen aber nicht gerade gutes Timing bewiesen. Nachdem der Dax im folgenden Juli mehrfach seinen Höchststand testete, aber nicht mehr deutlich überwand, ging es bis zum Jahresende zunächst seitwärts. Ab Januar 2008 ging es dann an der Börse immer weiter in den Keller, bis der Dax schließlich im Frühjahr 2009 ein neues Tief deutlich unterhalb von 4000 Punkten markierte. Dass auch „Der Aktionär“ noch am 20. Juni 2007 auf seiner Titelseite die „Optimale Kauf-Zeit“ ausrief, ist angesichts des grundsätzlich eher optimistischen Tenors des Anlegermagazins aus Kulmbach nur ein weiterer Anlass für Börsenskepsis und zugleich Beleg, dass auch Fachmagazine gründlich irren können.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Die Beobachtung von Titelseiten ist keine exakte und quantifizierbare Analyseform. „Man kann den Titelblatt-Indikator weder genau berechnen noch lässt er sich über einer durchgängige Zeitreihe verfolgen, da er nur sporadisch Signale erhält“, sagt Ralf Flierl, Chefredakteur des Anlegermagazins Smart Investor, dass des Öfteren über den Titelseiten-Indikator berichtet und sich den antizyklischen Investments – der Contrarian-Strategie – verschrieben hat. „Man muss als Anleger auch berücksichtigen, wie reißerisch einzelne Publikationen titeln. 'Der Aktionär' ist eigentlich immer bullisch. Wenn der etwa ‚Dax 10.000‘ auf den Titel schreibt, nehme ich das nicht so ernst, wie wenn die gleiche Zeile vorne auf dem Handelsblatt-Titel steht. Wer sich auf solche Anzeichen stützt, muss auch Gespür für die einzelnen Medien mitbringen.“ Dass Wirtschaftsmagazine mit Schwerpunkt Geldanlage regelmäßig die Entwicklungen an der Börse thematisieren und zu gegebener Zeit auch Optimismus verbreiten - wie beispielsweise auch die WirtschaftsWoche -, ist an sich nicht ungewöhnlich. Schließlich werden damit die Interessen der treuen Leserschaft bedient. Insofern ist ein Börsenthema auf der Titelseite eines Wirtschaftsmagazins allein noch kein Trendsignal. Erst bei thematisch breiter aufgestellten Publikumszeitschriften gewinnt ein Börsenthema so an Strahlkraft, dass Anleger hellhörig werden sollten. Die jüngste Häufung positiver Börsentitel macht Flierl daher auch noch nicht nervös: „Für den Dax sind wir mindestens bis zum Frühsommer noch optimistisch, vielleicht auch noch bis ins dritte Quartal. Aber dann rechnen wir mit einem Dämpfer.“
8000 verpasst...und jetzt?
Die entscheidenden Faktoren
Titelseiten können also durchaus richtige Signale zum antizyklischen Investieren geben. Aber dafür müssen einige Faktoren stimmen, so Joachim Goldberg: „Man muss die Börseneuphorie am Kiosk sehen können. Damit die Stimmung als Kontraindikator verstanden werden kann, muss es das Thema also auf die Aufmacherseite von Blättern schaffen, die ein breites Publikum ansprechen. Titelt eine Wirtschaftszeitung wie das Handelsblatt oder ein Anlegermagazin ‚Dax 10.000‘, ist das für mich noch kein Kontraindikator. Aber schreibt so etwas die Bild-Zeitung auf Seite eins, wird es für investierte Anleger gefährlich.“
Der Titelblatt-Indikator mag zwar exotisch sein, aber er fußt auf fundierten Erkenntnissen. Der amerikanische Anlageexperte Paul Macrae Montgomery hat ihn 1971 entwickelt. In seinen zahlreichen Untersuchungen zu Titelblättern hatte er herausgefunden, dass etwa Aktien aus Titelgeschichten im Monat nach ihrem Erscheinen zunächst noch steigen, weil dann auch noch die letzten übrig gebliebenen unsicheren Anleger – Börsenlegende André Kostolany sprach von den Zittrigen - den Einstieg wagen. Ein Jahr nach der Titelgeschichte notieren jedoch Montgomery’s Untersuchungen zufolge 80 Prozent der fraglichen Papiere im Minus.