Titelseiten zur Börse Verkaufen, wenn der Börsenjubel am größten ist

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Zu früh für eine Trendwende

Die spannendsten Länder für Anleger
Michael Keppler sitzt an der Quelle. Seit Jahren ist die Finanzmetropole New York die Heimat des Fonds-Managers, der über die Jahre mehr als ein Dutzend länderübergreifende Aktienfonds aufgelegt hat, etwa den Keppler-Global Value oder den Keppler-Emerging Markets. Dabei strukturiert der ehemalige Investmentbanker seine Fonds nach einem klaren Mantra: der "Top Value Strategy" oder aber: Kennzahlen, Kennzahlen, Kennzahlen. "Es geht darum, den inneren Wert einer Aktie zu bestimmen", sagt er. Der entspreche ungefähr der Entwicklung des Papiers über sieben Jahre. Quelle: dpa
Ausgehend von Einzelaktien, die den Markt des jeweils betrachteten Landes wiederspiegeln, baut Fonds-Manager Keppler dann Länderwerte zusammen. Um sie dann zu bewerten, sieht der Analyst unter anderem auf das durchschnittliche Preis-Buchwert-Verhältnis, Preis-Cashflow-Verhältnis, Preis-Gewinn-Verhältnis, auf die durchschnittliche Dividenden- und Eigenkapitalrendite – allerdings nicht nur auf deren aktuelle, absolute Werte. Quelle: rtr
Insgesamt kennt Keppler vier Bewertungssäulen: Ihn interessiert nicht nur, wo die Kennzahlen der aggregierten Länderwerte aktuell rangieren und wie sie sich über die vergangenen sieben Jahre absolut entwickelt haben. Auch die aktuelle und zurückliegende relative Performance der Kennzahlen spielt für den Analysten eine Rolle. Als Vergleichswert dient dem Fonds-Manager der Morgan Stanley Capital International (MSCI) World Index. Quelle: dpa
Unterbewertete MärkteAustralien ist einer der Länderwerte, den die Analysten von Kepplers Vermögensverwaltung in ihrer Januar-Analyse der Industrieländer für unterbewertet halten. Sie raten zum Kauf. Zwar liegt der Aktienkurs "Australien" um den Faktor 1,88 über dem Buchwert je Aktie und um den Faktor 15,3 über dem Nettoergebnis je Aktie – durchschnittlich sind australische Papiere also eher teuer. Eine Dividendenrendite von fast fünf Prozent zeigt aber, dass die repräsentativen Aktienwerte des Kontinents eine überdurchschnittlich hohen Gewinnanteil ausbezahlen. Zum Vergleich: Die Dividendenrendite des MSCI World Index beträgt nur 2,79. Auch in Sachen Jahresrendite zieht Australien am Index vorbei. Die aggregierten Aktientitel des Landes wuchsen über die vergangenen 12 Monate um 3,4 Prozent (MSCI: 1,9 Prozent). Quelle: AP
Auch Deutschland gehört zur Liste derjenigen Länder, denen Keppler Potential nach oben bescheinigt. Das Preis-Buch-Verhältnis liegt mit 1,48 bereits näher an seinem "fairen" Wert, eins. Mit einem Kurs, der den Nettogewinn je "Deutschland"-Aktie um das knapp 12-fache übersteigt, spiegelt die Kennzahl auch das Kurs-Gewinn-Verhältnis wieder, das den einzelnen Dax-Werten als Benchmark dient. Nach diesen Kennzahlen ist der Länderwert Deutschland nicht nur günstiger als der MSCI World Index – er ist mit 2,6 Prozent über die letzten 12 Monate auch mehr gewachsen (MSCI: 1,9 Prozent). Quelle: dapd
Der Blick auf die absoluten aktuellen Kennzahlen für Hong Kong, zeigt sich ein gespaltenes Bild. Während das Preis-Buchwert-Verhältnis mit 1,38 den Index deutlich (1,77) unterbietet, rangiert das Preis-Gewinn-Verhältnis mit 16,3 auf vergleichsweise hohem Niveau (MSCI: 14,8). Die Dividendenrendite, die Hongkongs Firmen durchschnittlich erwirtschaften, liegt mit 2,53 unter der des Index (2,79). Dennoch rät Keppler zum Kauf – wohl auch aufgrund der Entwicklung über die vergangenen sieben Jahre. Preis-Buch- und Preis-Gewinn-Verhältnis lagen meist höher. Quelle: dpa
Die Schweizer Wirtschaft hat in den vergangenen 12 Monaten durch die massive Aufwertung des Frankens an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Der kriselnde Euro hat die Nachfrage nach der eidgenössischen Währung aufgebläht. Kein Wunder also, dass auch Schweizer Aktien im Durchschnitt zu teuer sind. Mit einem Preis-Buchwert-Verhältnis von 2,28 und einem Preis-Gewinn-Verhältnis von 18,2 übertrifft der Länderwert Schweiz den MSCI Welt Index um jeweils gut 12 Prozent. Die Keppler Vermögensverwaltung rät zum Verkauf. Ein weiteres Indiz dafür, sich tendenziell von Schweizer Papieren zu trennen: Der repräsentative Aktienkorb konnte innerhalb der letzten 12 Monate nur eine minimale Renditesteigerung von 0,1 Prozent vorweisen. Quelle: AP

Aber noch ist es offenbar zu früh für eine Trendwende. Die Begründungen für den derzeit zur Schau gestellten Börsenoptimismus sind durchaus gewichtig. Die sich ankündigende Rückkehr Chinas als Wachstumslokomotive der Weltkonjunktur, die sich aufhellende Konjunkturstimmung und die nachlassende Anspannung in der US-Haushalts- und Euro-Schuldenkrise sorgen für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends. Außerdem seien die Bewertungen noch nicht hoch: Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von elf im Dax sei angesichts eines historischen Durchschnitts-KGVs von 15,5 noch günstig. Daher müsse der Dax gemessen an einer am historischen Wert orientierten fairen Bewertung eigentlich bei 10.780 Punkten stehen, argumentiert etwa das Handelsblatt. Schwellenländer wie Indonesien und Indien würden ebenso wie China weiter stark wachsen und insbesondere den international gut aufgestellten deutschen Konzernen zusätzlichen Schub geben. Ein Erreichen der 8000-Punkte-Marke ist demnach zum Greifen nah.

Vorsichtiger Optimismus

Auch die Analysen von Cognitrend geben den Optimisten noch weiter Nahrung. „Noch sind wir weit von Euphorie entfernt“, konstatiert Sentiment-Experte Goldberg. „Die Anleger sind zwar überwiegend, aber nur vorsichtig optimistisch.“ Den Cognitrend-Daten zufolge rechnen etwa die Bullen im Markt im Mittel nur mit einem Anstieg des Dax bis auf 7910 Punkte, während die Bären Rückschläge bis auf 7400 Punkte erwarten. Der Optimismus ist also weniger stark ausgeprägt, als der Pessimismus. “Viele, die billig einsteigen wollten, kamen noch nicht zum Zuge. Sie zögern mit dem Einstieg, weil sie auf eine stärkere Kurskorrektur warten. Aber die Korrekturen waren moderat und die Pessimisten riskieren, dass ihnen die Kurse davonlaufen, wenn sie weiter warten. Dieses Risiko wird häufig unterschätzt“, so Goldberg. Die Kursverluste von zeitweise zwei Prozent im Dax unmittelbar nach der Italien-Wahl dürfte somit das Lager der Pessimisten wieder vergrößert haben und so den Boden für steigende Kurse bereiten.

Eine Faustformel, wann das Börsen-Sentiment ein Verkaufssignal gibt, hat Goldberg auch parat: „Erst wenn unser Bull/Bear-Index Werte von mehr als 80 Prozent zeigen würde, ist Vorsicht geboten. Aber in so einem Markt wie derzeit werden die Kurse weiter steigen.“ Vor der Italien-Wahl lag der Wert nur bei etwa 55 Prozent. Nun ist er auf 42 Prozent gesunken. Den starken Rückgang führen die Cognitrend-Analysten darauf zurück, dass 13 Prozent der 300 befragten institutionellen Investoren ihre Dax-Aktien verkauft haben und das Bullenlager verlassen haben. Gemessen daran hätte die Reaktion im Dax eigentlich stärker ausfallen müssen. Offenbar stützen aber auch Käufer aus dem Ausland den Dax. Goldberg erwartet für das laufende Jahr ein neues historisches Hoch im Dax.

Die Zeit für eine anschließende Börsenumkehr könnte erreicht sein, wenn zum Hoch die zittrigen Anleger Gewinne mitnehmen und wieder in das Lager der Pessimisten wechseln. Im Vorfeld kann es hilfreich sein, die Cover der Zeitschriften im Auge zu behalten. Denn wenn das voraussichtlich wachsende Optimisten-Lager seine relativ geringen Gewinnhoffnungen an der Börse erfüllt sieht, könnte es zu schnellen Gewinnmitnahmen kommen. Vielleicht warnt davor zuvor ein die Börse bejubelndes Titelblatt.

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