Tool der Woche – Leerverkäufe Angriff der Abwärtsspekulanten

Neben der Deutschen Bank sind vor allem Industrieunternehmen aus der zweiten und dritten Börsenreihe in den Fokus von Leerverkäufern gerückt. Die Investoren können mit sinkenden Aktienkursen Kasse machen.

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Vor allem institutionelle Investoren münzen auch sinkende Aktienkurse in Rendite um. Quelle: dpa

Frankfurt Es ist ein spektakulärer Kursrutsch bei den Anteilsscheinen der Deutschen Bank, der zum Wochenschluss die Talfahrt des gesamten Aktienmarktes in Europa beschleunigt: Um mehr als sechs Prozent ist die Aktie eingebrochen, nachdem das Geldhaus am Freitagmorgen unerwartet schlechte Geschäftszahlen vorgelegt hat. Doch während die Hiobsnachricht die Anteilseigner der Deutschen Bank über 1,8 Milliarden an Börsenwert gekostet hat, dürfte der weltweit größte Hedgefonds Bridgewater kräftig vom der Mini-Crash profitiert haben: Die New Yorker Portfoliomanager hatten seit Montag massiv auf sinkende Notierungen bei der Deutschen Bank gewettet und vor zwei Tagen ihre sogenannten "Leerverkäufe" sogar ausgebaut. Das geht aus einem Leerverkaufs-Tool hervor, das Handelsblatt-Lesern zur Verfügung steht.

Die Online-Anwendung zeigt alle Leerverkäufe von Investoren („Positionsinhaber“), die mehr als 0,5 Prozent der ausstehenden  Aktien eines Unternehmens („Aktiengesellschaft“) ausmachen und im „Bundesanzeiger“ veröffentlicht werden. Hintergrund: Die Namen dieser Spekulanten sind bekannt. Denn in der EU müssen Investoren den Regulierern melden, wenn sie mehr als 0,2 Prozent des Aktienvolumens eines Unternehmens für Leerverkäufe halten. Überschreitet die Order 0,5 Prozent des Volumens, wird dies publik gemacht – in Deutschland ist das dann dem „Bundesanzeiger“ zu entnehmen.

Die Leerverkäufe des mehr als 160 Milliarden Dollar schwere Top-Hedgefonds Bridgewater gegen die Deutsche Bank belaufen sich laut dem Handelsblatt-Tool auf 0,63 Prozent der ausgegebenen Aktien. Zunächst hatten die Profis demnach bei einem Aktienkurs von 15,49 Euro auf sinkende Notierungen gesetzt und ihren Wetteinsatz erhöht, nachdem die Deutsche-Bank-Aktie am Mittwoch auf 14,79 Euro gesunken war. Die Experten hatten den richtigen Riecher, denn inzwischen werfen Aktionäre ihre Dividendenpapiere für deutlich weniger als 14 Euro aus ihren Depots. Bridgewater dürfte einen zweistelligen Millionengewinn erzielt haben.

In der Regel sind es große professionelle Anleger die Börsenwetten auf fallende Notierungen eingehen – selbst wenn dies moralisch umstritten ist. Es handelt sich meist um Hedgefonds wie Bridgewater und andere institutionelle Akteure, die mit sogenannten Leerverkäufen versuchen, Kursverluste in Depotgewinne umzumünzen. Hinweise auf solche Spekulationen sind auch für Privatanleger interessant. Sei es als frühes Warnsignal für eigene Depotpositionen – oder, um sich den Abwärtswetten der Profis anzuschließen und ebenfalls davon zu profitieren.

Nicht nur bei der Deutschen Bank wittern Kurspessimisten derzeit Chancen auf satte Gewinne: Am hiesigen Aktienmarkt stehen momentan im Fokus von Leerverkäufern vor allem drei bekannte Industrieunternehmen aus der zweiten und dritten Börsenreihe.

Ihre Wetten auf sinkende Kurse ausgebaut haben Investoren laut dem Handelsblatt-Tool in dieser Handelswoche etwa bei den Aktien des Stahlkonzerns Salzgitter, die im MDax enthalten sind - dem hiesigen Börsenindex der mittelgroßen Unternehmen. Bei Salzgitter bestehen momentan veröffentlichte Netto-Leerverkaufspositionen in Höhe von 7,2 Prozent der ausgegebenen Aktien. Mehr als 200 Millionen Euro setzen die Abwärtsspekulanten damit auf sinkende Notierungen.

Der Nettowert ergibt sich durch die eröffnete Leerverkaufsposition eines Investors abzüglich eventuell vorhandener Wertpapierbestände, die von steigenden Kurse der zugrundeliegenden Aktie profitieren.

Ihre Abwärtswetten erhöht haben Kurspessimisten auch beim ebenfalls im MDax enthaltenen Salz- und Düngemittelherstellers K+S. Hier summieren sich die  Netto-Leerverkaufspositionen mittlerweile auf knapp 13 Prozent der ausgegebenen Aktien.

Während die Anteilseigner eines börsengelisteten Unternehmens bei fallenden Aktienkursen Verluste verkraften müssen, erzielen Leerverkäufer aus solchen Aktionen hohe Gewinne.

Deren Vorgehensweise: Sie leihen sich bei anderen Marktteilnehmern – vor allem bei Fonds – Dividendenpapiere, um diese sofort wieder zu verkaufen. Sinkt der Aktienkurs wie geplant, können die im Fachjargon auch als „Shortseller“ bezeichneten Investoren die Titel später zu einem verbilligten Kurs zurückkaufen und dem Verleiher zurückgeben. Die Differenz zwischen dem Verkaufs- und dem gesunkenen Rückkaufskurs streichen die Leerverkäufer als Profit ein. Der Verleiher erhält eine Leihgebühr.

In die Berechnungen für die Netto-Leerverkaufspositionen fließen alle Wertpapiere ein, die von der Preisentwicklung der betrachteten Aktie abhängen. Also etwa auch Optionen oder sogenannte CFDs, mit denen ebenfalls auf Kursbewegungen in beide Richtungen spekuliert werden kann.

Sowohl bei Salzgitter als auch bei K+S erwarten derzeit offensichtlich nicht nur Leerverkäufer, dass den beiden Aktien demnächst die Luft ausgehen dürfe: Von allen Analysten, die momentan die beiden Industrie-Titel unter Beobachtung haben, spricht jeweils nur eine Minderheit eine Kaufempfehlung aus. Das geht hervor aus Daten des Informationsdienstleisters Bloomberg.

Nicht einmal jeder sechste der Experten empfiehlt Anlegern, derzeit in die Dividendenpiere von Salzgitter zu investieren. Auf Sicht von zwölf Monaten rechnen die Fachleute im Mittel mit einem Kursverlust von knapp fünf Prozent.

Bei K+S sprechen sich mehr als zwei Drittel der Analysten dafür aus, die Aktie zu verkaufen oder bestenfalls vorhandene Bestände zu halten. Binnen Jahresfrist prognostizieren sie im Schnitt einen vierprozentigen Wertverlust der Anteilsscheine.

Zuletzt haben unter anderem die zwei Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse ihre Verkaufsempfehlung für die Aktien des Salz und Düngemittelspezialisten bekräftigt. Denn der Druck auf die Kalipreise halte ins Jahr 2018 hinein an. K+S scheine zudem auf dem wichtigen brasilianischen Markt an Boden verloren zu haben. Bezogen auf die aktuelle Notierung rechne beide Finanzhäuser mit Abwärtspotenzial von mehr als 15 Prozent. Auch bei der Deutschen Bank senkt man den Daumen über K+S: „Angesichts einer schwächelnden Agrarbranche und eines Kali-Überangebots ist die Aktie des Düngemittelkonzerns derzeit zu teuer“, warnen die Analysten des größten hiesigen Geldhauses.


Auch Bilfinger und Evotec stehen im Visier der Spekulanten

Neben den MDax-Titeln weisen auch die Anteilsscheine des Industriedienstleisters Bilfinger und die des Biotechnologieunternehmens Evotec steigende Leerverkaufsaktivitäten auf. Auch hier deutet das Handelsblatt-Tool auf mögliche Abwärtsrisiken hin.

Bei den Dividendenpapieren von Bilfinger, die im Kleinwerte-Index SDax enthalten sind, hat der Londoner Hedge Fonds Marshall Wace sein Engagement in der laufenden Woche mehrfach aufgestockt und hält nun Netto-Leerverkaufspositionen im Umfang von 1,5 Prozent aller Aktien. Insgesamt befindet sich hier mehr als jede zwanzigste Aktie in den Händen von Investoren, die auf fallende Kurse hoffen.

Auch nach Einschätzung von Analysten stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Abwärtsspekulationen mit den Titeln des SDax-Konzerns aufgehen: Für drei Viertel von ihnen sind Bilfinger-Papiere momentan kein Kauf.

Eingeschossen haben sich Shortseller zudem auf die Aktien des Tecdax-Mitglieds Evotec. Nachdem sich die Titel des Wirkstoff-Forschungsunternehmens zwischen Anfang 2016 und dem Herbst vergangenen Jahres knapp verachtfacht hatten, brach der Wertpapierkurs im Anschluss um rund die Hälft ein. Seitdem probt der Titel zwar die Erholung - berappelt sich aber nur mühsam. Dieser Rückschlag wird Hedgefonds zugeschrieben, die erfolgreich auf fallende Notierungen gesetzt hatten. Hintergrund sind unter anderem Spekulationen darüber, dass beim Biotech-Dienstleister ab 2020 millionenschwere Einnahmen aus einer Zusammenarbeit mit dem französischen Pharmagiganten Sanofi wegbrechen könnten.

Derzeit erwarten beispielsweise neben den Hedgefonds-Managern von Marshall Wace auch ihre Kollegen der US-Konkurrenten Worldquant sowie BlueMountain Capital Management noch tiefer sinkende Evotec-Kurse: Sie halten Netto-Leerverkaufspositionen von rund drei Prozent der ausstehenden Nordex-Aktien. Insgesamt haben Leerverkäufer hier inzwischen Netto-Leerverkaufspositionen in Höhe von mehr als sieben Prozent der Anteilsscheine des  Unternehmens angehäuft. Dabei liegen der Auswertung Einträge von insgesamt 16 Investoren zur Aktie von Evotec vor.

Mit dem Leerverkaufs-Tool ist es nicht nur möglich, sich laufend Überblick über die entsprechenden Spekulationen der Großinvestoren am deutschen Aktienmarkt zu schaffen. Handelsblatt-Leser haben zudem die Möglichkeit, sich auch automatisch per E-Mail benachrichtigen zu lassen, sobald Leerverkaufs-Aktivitäten bei bestimmten Aktien festgestellt werden.

Beispielsweise bei jenen, die im eigenen Wertpapierportfolio gehalten werden. Nutzer profitieren dabei von einer hohen Aktualität der Datenbank: Leerverkäufer sind verpflichtet, ihre Nettopositionen um 24 Uhr eines Handelstages zu ermitteln und dann spätestens um 15.30 Uhr des folgenden Handelstags im „Bundesanzeiger“ publizieren zu lassen. Zwischen der Aufnahme in die Datenbank und der Veröffentlichung im Leerverkaufs-Tool können in der Regel nur Verzögerungen von wenigen Minuten auftreten.

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