Türkei Erdogan vergrault die Investoren

Der Kurs der türkischen Lira rutscht stetig ab. Der Währungsverfall spiegelt die Sorgen über die politische Entwicklung des Landes. Stürzt die türkische Wirtschaft ab, könnte sie Präsident Erdogan mitreißen.

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Der türkische Präsident Erdogan Quelle: REUTERS

Für die türkische Währung war es kein guter Start in die neue Woche. Während das Parlament in Ankara mit der Debatte über die Einführung eines Präsidialsystems begann, mit dem sich Staatschef Erdogan noch mehr Macht verschaffen will, fiel der Kurs der Lira auf ein neues Rekordtief gegenüber dem US-Dollar und dem Euro. Schon in der vergangenen Woche hatten Gerüchte über eine angeblich bevorstehende Herabstufung der Türkei durch die Ratingagentur Fitch die Währung unter starken Druck gebracht. Seit dem Putschversuch von Mitte Juli hat die Lira ein Viertel ihres Außenwerts zum Dollar eingebüßt. Im Vergleich zum Januar 2015 sind es sogar fast 40 Prozent.

Die scheinbar unaufhaltsame Talfahrt der Lira hat eine Reihe von Ursachen – ökonomische und politische, globale und hausgemachte. Steigende Zinserwartungen im Dollarraum veranlassen ausländische Anleger, Gelder aus der Türkei abzuziehen. „Die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland sind von Januar bis September 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zwölf Prozent auf 26,9 Milliarden US-Dollar gesunken“, erklärt Mario Jung, Ökonom beim Kreditversicherer Coface in Deutschland. „Dieser Rückgang trug mit zur Abwertung der Lira gegenüber dem Euro-Dollar-Währungskorb bei“, so Jung.

Auch die jüngsten Konjunkturdaten drücken den Lirakurs. Die Wirtschaft schwächelt: Im dritten Quartal 2016 verzeichnete das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einem Rückgang von 1,8 Prozent das erste Minus seit dem globalen Krisenjahr 2009. Die Industrieproduktion und die Umsätze in der Bauwirtschaften brachen sogar um fünf Prozent ein. Im letzten Vierteljahr dürfte das BIP erneut geschrumpft sein, prognostizieren unabhängige Volkswirte.

Chronologie: Schwere Anschläge in der Türkei

Der türkische Aktienmarkt zeigt sich zwar bisher erstaunlich robust. Auf Jahressicht ergibt sich ein Indexplus von mehr als acht Prozent. Aber wer Devisen in türkische Aktien investierte, leidet unter der Währungsschwäche. Das spiegeln die Kurse der Türkei-Aktienfonds wie HSBC GIF Turkey Equity mit einem Jahresminus von 10,2 Prozent, DWS Türkei mit einem Kursverlust von fast zwölf Prozent oder JP Morgan Turkey Equity mit minus 14,4 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten.

Marktbeobachter sind skeptisch: „Die Börse könnte früher oder später in den Strudel der schwachen Konjunktur und der politischen Turbulenzen geraten“, warnt ein Aktienhändler am Bosporus. Die Ratingagentur Moody’s warnt vor einer „generellen Verschlechterung“ des Investitionsklimas. Nach der Welle von Terroranschlägen im vergangenen Jahr ist der Tourismus eingebrochen. 2017 begann mit dem Massaker im Istanbuler Nobel-Nachtklub „Reina“ denkbar schlecht. Angesichts der Terrorwelle dürften den türkischen Hoteliers auch die Kostenvorteile durch den Lira-Verfall wenig helfen.

Zu einer immer größeren Belastung wird die Lira-Abwertung für viele Unternehmen, die Kredite in Fremdwährungen aufgenommen haben. Sie müssen nun immer größere Lira-Beträge für den Schuldendienst aufbringen. Die Summe dieser Devisen-Darlehen ist seit 2009 von rund 65 auf mehr als 210 Milliarden Dollar gestiegen. Die Ratingagentur Moody’s warnt bereits vor einer drohenden Welle von Kreditausfällen.

Erdogan gilt als Vater des türkischen Wirtschaftswunders

Größte Risikofaktoren für die Wirtschaft sind die desolate Sicherheitslage und die zunehmende politische Polarisierung. Seit Erdogan türkische Streitkräfte nach Nordsyrien schickte, versinkt das Land immer tiefer im Morast des syrischen Bürgerkrieges. Die Invasion in Syrien macht die Türkei auch im Innern verwundbar. Während der IS und kurdischer Extremisten das Land mit ihrem Terror in die Zange nehmen, geht Erdogan mit eiserner Faust gegen mutmaßliche Anhänger und Mitläufer seines früheren Verbündeten und heutigen Erzfeindes vor, des Exil-Predigers Fethullah Gülen.

Fast 124.000 Menschen verloren seit dem Putsch ihre Jobs, über 42.000 sitzen in Untersuchungshaft. Die „Säuberungen“ sorgen auch in der Wirtschaft für wachsende Beunruhigung. Rund 600 Unternehmen von angeblich Gülen-nahen Geschäftsleuten ließ Erdogan bereits unter staatliche Zwangsverwaltung stellen. Das enteignete Firmenvermögen beläuft sich auf geschätzt zehn Milliarden Dollar.

Gegen Ende Januar soll das Parlament Erdogans neue Präsidialverfassung billigen. Sie wird ihm eine nahezu unumschränkte Machtfülle geben. Der Staatschef kann künftig Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, den Notstand ausrufen und das Parlament nach Belieben auflösen. Die neue Verfassung könnte dem heute 62-jährigen Erdogan den Platz an der Staatsspitze bis 2029 sichern – vorausgesetzt, die Wirtschaft spielt mit.

Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?

Erdogan gilt als „Vater des türkischen Wirtschaftswunders“. In seinen ersten zehn Regierungsjahren verdreifachte sich das statistische Pro-Kopf-Einkommen. Die Türkei erzielte jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich fast sieben Prozent. Aber nun schwächelt die Konjunktur. Für 2016 erwartet die EU-Kommission ein Wachstum von 2,7 Prozent, für 2017 setzt sie drei Prozent an. Das ist viel zu wenig für ein Schwellenland wie die Türkei. Sie braucht mindestens fünf Prozent Wachstum, um ihre Beschäftigung zu halten. „Die Anzeichen für 2017 sind nicht gut, die Alarmglocken klingeln schon“, sagt der Istanbuler Ökonom Mustafa Sönmez. Er erwartet „Turbulenzen im privaten Sektor, Nervosität bei den Banken, steigende Arbeitslosigkeit und fallende Einkommen“.

Die Arbeitslosigkeit liegt mit elf Prozent so hoch wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr. Die Inflation stieg im Dezember auf 8,5 Prozent. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis verteuerter Importwaren durch die schwache Lira, wobei die Inflation den Kurs der Währung wiederum zusätzlich unter Druck bringt – ein Teufelskreis.

Lange war die starke Wirtschaft Erdogans Trumpfkarte. Doch jetzt sticht sie nicht mehr. Erdogan scheint zu ahnen, dass ihm die Entwicklung gefährlich werden kann. Rutsch das Land in eine Rezession, könnte das seine Wiederwahl 2019 gefährden. „Lasst uns alle Mittel mobilisieren, lasst uns produzieren, verkaufen, kaufen, investieren, Leute einstellen und die Märkte wiederbeleben“, appellierte der Staatschef deshalb vergangene Woche in einer leidenschaftlichen Rede vor Dorfvorstehern in seinem Präsidentenpalast.

Wie immer, wenn er mit Widrigkeiten konfrontiert ist, wittert Erdogan eine Verschwörung: „Bestimmte Kreise“, denen es nicht gelungen sei, „die Türkei mit Panzern und Gewehren zu zerstören“, hätten dem Land jetzt einen Wirtschaftskrieg erklärt. Deshalb komme es darauf an, „Stabilität und Vertrauen“ wiederherzustellen. Genau daran fehlt es jetzt.

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