Türkische Börse Heißes Geld in Istanbul

An Istanbuls Börse sind die Kurse 2010 stark gestiegen, gaben zuletzt aber wieder nach. Die Wirtschaft im Land brummt, schon droht eine Überhitzung. Trotzdem könnte eine Investition jetzt lohnen.

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Istanbul-Panorama beim Quelle: dpa

Nicht nur Deutschland erlebt sein Wirtschaftswunder. Auch die Türkei brummt. Seit die islamisch-konservative Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) unter Ministerpräsident Tayyip Erdogan Ende 2002 an die Macht kam, hat sich das Pro-Kopf-Einkommen verdreifacht. Im vergangenen Jahr legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 8,9 Prozent zu – nur China und Argentinien wuchsen schneller. Die Inflation liegt mit rund vier Prozent auf dem niedrigsten Stand seit vier Jahrzehnten.

Solche Erfolge feiert die Börse. Wer 2010 am türkischen Aktienmarkt investiert war, hat gut verdient: Der Istanbuler Leitindex ISE National 100 legte, in Euro gerechnet, um fast 33 Prozent zu. Nach zuletzt herben Verlusten in der vergangenen Woche unterschritt der ISE National jedoch den Stand vom Jahresanfang – Kaufgelegenheit oder Zeichen einer anhaltenden Schwäche?

Teure Exporte

Vor allem das steigende Leistungsbilanzdefizit beunruhigt die Börsianer: Im März stieg es gegenüber dem Vorjahr um 128 Prozent auf 9,8 Milliarden Dollar. Eine "alarmierende Entwicklung", sagt Mehmet Besimoglu, Volkswirt beim Istanbuler Brokerhaus Oyak Securities. Das Defizit ist ein Ergebnis der starken Binnennachfrage und der starken Lira. Sie verbilligt Einfuhren und verteuert Exporte. Die türkische Zentralbank versucht, hier dagegenzusteuern: Statt die überhitzte Binnenkonjunktur mit Zinserhöhungen zu dämpfen, was nur noch mehr heißes Geld anlocken und die Lira weiter aufwerten würde, zwingt sie die Geschäftsbanken, einen größeren Anteil von Kundeneinlagen bei ihr vorzuhalten, um so das Kreditwachstum zu bremsen und die Konjunktur abzukühlen.

Die Aktienkurse am Bosporus haben ihre Finanzkrisenverluste längst aufgeholt Quelle: Bloomberg

Ob die Rechnung letztlich aufgeht, ist fraglich. Für Verunsicherung bei Anlegern sorgen auch die Unruhen in der arabischen Welt. Denn diese Länder sind in den vergangenen Jahren zu wichtigen Absatzmärkten für die Türkei geworden. Allein in Libyen haben türkische Baufirmen aktuell ein Auftragsvolumen von 15,3 Milliarden Dollar.

Das derzeitige Umfeld sei für die Istanbuler Börse "nicht vielversprechend", meint denn auch Gregor Holek, Fondsmanager für Emerging Markets Equities bei Raiffeisen Capital Management in Wien. "Es fehlt 2011 an Performancetreibern", fürchtet Holek. Überdies seien die gegenwärtigen Bewertungen bereits fair, das Gewinnwachstum werde aber dieses Jahr schwach ausfallen. Potenzial sieht der Raiffeisen-Manager am ehesten in türkischen Automobilpapieren, die von der starken Binnennachfrage profitieren könnten. Banken, die im türkischen Index starkes Gewicht haben, sieht er skeptisch.

Bessere Bonität winkt

Optimistischer ist Baris Büyükdemir, Fondsmanager des Türkei 75 Plus und Geschäftsführer der Istanbuler Investmentbank Pozitif Menkul Degerler. Positive Impulse für die Börse erwartet er von den Ratingagenturen: Sie könnten nach den Parlamentswahlen im Juni die Bonität der Türkei auf "Investment Grade" heraufstufen. Das würde weiteres Kapital ausländischer Finanzanleger anlocken. Auch wenn sich die Unruhen im Nachbarland Syrien beruhigen sollten, könnte der ISE National 100 wieder anziehen.

Ein Investment in Einzeltitel ist für deutsche Anleger schwierig, weil türkische Aktien wegen der komplizierten türkischen Steuerbestimmungen an den deutschen Börsen praktisch nicht gehandelt werden; wenn überhaupt Titel erwerbbar sind, dann nur zu hohen Aufschlägen. Als Ausweg bieten sich Türkei-Aktienfonds als kleine Depot-Beimischung an.

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