Gemäßigt optimistisch. So gibt sich die Deutsche Bank in ihrem Ausblick auf die Entwicklung an den Kapitalmärkten im kommenden Jahr. In Deutschland gilt das vor allem für den Aktienmarkt. Die Anlagestrategen von Deutschlands größter Bank sehen den Dax Ende 2015 bei 11.500 Punkten - klingt machbar, deutet aber nicht auf ein Wachstumswunder hin, wie Chef-Anlagestratege Ulrich Stephan im Interview erklärt.
WirtschaftsWoche Online: Herr Stephan, nach sehr volatilen Zeiten steigen die Aktienkurse jetzt wieder. Sind das bereits die ersten Anzeichen für Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB), das sogenannte Quantitative Easing (QE)?
Ulrich Stephan: Wahrscheinlich schon. EZB-Chef Mario Draghi hat ja bereits mehrfach von weiteren Maßnahmen gesprochen. Auch das Wort Staatsanleihen fiel. Zuletzt sind die Kurse nach Draghis Satz 'Wir werden das tun, was wir tun müssen' deutlich gestiegen. Der Markt preist das jetzt ein, die Kurse dürften also zunächst weiter steigen. Wir rechnen damit, dass die EZB im Frühjahr 2015 damit anfangen wird, Staatsanleihen zu kaufen.
Zur Person
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für 28 Millionen Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.
Und falls sich die EZB doch noch anders entscheidet?
Das Enttäuschungspotenzial im Markt wäre schon groß. Weiten die Notenbanker ihre Anleihekäufe nicht aus, könnte es zu deutlichen Kursrückschlägen kommen.
Obwohl die bisherigen Lockerungsübungen der EZB kaum gefruchtet haben?
Ja. Denn Europa wird versuchen, den Amerikanern nachzueifern.
Die US-Notenbank Fed lässt ihr milliardenschweres Anleihekaufprogramm gerade auslaufen. Wäre in der Euro-Zone denn eine ähnliche Wirkung zu erwarten?
Nein, die amerikanische Wirtschaft ist deutlich stärker an den Kapitalmarkt gekoppelt als die europäischen Volkswirtschaften. Hier sind Kredite die Treiber. Und die Kreditvergabe an Unternehmen ist trotz der bisherigen Maßnahmen seitens der EZB weiterhin zu niedrig.
Warum sollte das mit QE anders werden?
Das ist tatsächlich fraglich. Denn dafür muss die Liquidität in der Realwirtschaft ankommen. Bisher hat das kaum funktioniert, da die Unternehmen sich bei Investitionen weiter zurückhalten. Durch strukturelle Reformen müssen unbedingt die Rahmenbedingungen für steigende Investitionen geschaffen werden. Mittlerweile gibt es allerdings noch einen anderen Faktor, der die Wirkung von QE begünstigen könnte.
Nämlich?
Der schwache Euro. Gegenüber dem Dollar dürfte der Euro in den nächsten Monaten weiter abwerten. Unter anderem, weil die Fed 2015 erstmals die Zinsen wieder leicht erhöhen könnte. Wir sehen den Euro Ende nächsten Jahres bei etwa 1,15 Dollar. Davon profitieren vor allem die exportorientierten Unternehmen in der Euro-Zone. Wenn deren Gewinne steigen sind auch Investitionen wieder ein Thema, die Nachfrage wird angekurbelt. Wir sollten aufhören, die Devisenentwicklung schlecht zu reden. Der schwache Euro ist der Lichtblick für Europa.
Bis die USA irgendwann gegensteuern.
Ich glaube nicht, dass wir einen Währungskrieg sehen werden. Ein wachsendes Europa ist auch für die USA gut, außerdem ist die amerikanische Volkswirtschaft weniger offen als die der Euro-Zone. Und zurzeit ist der stärkere Dollar fundamental gerechtfertigt, die US-Wirtschaft erholt sich. Wir erwarten für die USA 2015 ein Wachstum von 3,5 Prozent. Für Europa und Deutschland liegt unsere Prognose jeweils nur bei 0,8 Prozent.
"Die Sorgen um eine Blase sind berechtigt"
Was trübt den Ausblick? Vom schwächeren Euro dürften doch einige Unternehmen profitieren.
Das schon. Allerdings erwarten wir, dass das Wachstum im Winter etwas schwächer ausfallen wird, auch bedingt durch Krisen wie die in der Ukraine. Zudem belasten Reformen wie der Mindestlohn oder das Rentenpaket den Arbeitsmarkt.
Und trotzdem sind Sie optimistisch für den Dax?
Ja, ein Plus von gut neun Prozent ist für 2015 möglich. Zum einen wird QE helfen. Zum anderen ist der Dax noch deutlich günstiger bewertet als andere Indizes, das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) ist niedriger als zum Beispiel beim EuroStoxx. Optimistisch sind wir vor allem für zyklische Branchen wie die Auto-, Bau- oder Chemieindustrie und Medien- oder Finanzwerte.
Gilt das auch für die US-Aktien?
Dort sind neben Finanztiteln vor allem IT- und Pharmawerte spannend.
Aktien bleiben also für renditeorientierte Anleger weiterhin unverzichtbar. Wie sieht es bei Anleihen aus?
Staatsanleihen sollten nur einen kleinen Teil des Portfolios ausmachen. Gegen zu viele Bonds spricht allein die attraktivere Rendite, die mit Dividendentiteln zu erreichen ist. Chancen gibt es allerdings in den USA, bei Unternehmensanleihen im Investment Grade-Bereich. Auch der stärkere Dollar spricht für solche Investments. Für risikofreudigere Anleger könnten auch Schwellenländeranleihen in lokaler Währung interessant sein.
Das ist die richtige Anlagestrategie für 2015
Aber wie hoch ist das Risiko an den Anleihemärkten? Einige befürchten bereits eine Blase. Bringt QE das Fass zum Überlaufen?
Die Sorgen um eine Blase sind berechtigt. Auch die Bundesbank warnte ja in ihrem Stabilitätsbericht vor Überhitzungen in bestimmten Segmenten, besonders bei Unternehmensanleihen. Das Problem besteht darin, dass der Kreditkreislauf nicht richtig funktioniert. QE wird meines Erachtens helfen, den Euro zu schwächen, und die Gewinne der Unternehmen zu steigern, die dann wiederum investieren. Tritt der Effekt allerdings nicht ein, sehe ich tatsächlich die Gefahr einer Blase, da die Anleihemärkte mit dem EZB-Geld vollgepumpt werden.
Trotz der Aussicht auf QE rechnen Sie nicht mit steigenden Inflationsraten. Ist die Beimischung von Gold als Inflationsschutz für das Depot ein Mythos?
Inflationsängste haben sich bisher als Phantomschmerzen entpuppt. Gut möglich, dass die prognostizierten hohen Inflationsraten irgendwann kommen, aber das dauert. Denn im Moment fallen die Inflationserwartungen. Auch die mögliche Zinserhöhung der Fed und der starke Dollar sprechen nicht für Gold. Ich würde es eher zur Absicherung von Eventualitäten und volatilen Phasen nutzen.
Was könnte Schwankungen auslösen?
Politische Entwicklungen in Europa könnten die Kurse durcheinander bringen. Gleiches gilt für eine Zinserhöhung in den USA. Auch wenn die sehr gut kommuniziert wurde und eingepreist ist, könnte es zu kurzfristigen Schwankungen kommen.