US-Fondsmanager zu Börsenkrisen „Spekulationsfieber gibt es auch heute“

US-Fondsmanager Thorsten Becker

US-Fondsmanager Thorsten Becker erklärt, was die jetzige Situation an den Aktienmärkten mit der Zeit vor den letzten großen Crashs gemein hat – und wieso er trotzdem keinen Absturz befürchtet.

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Herr Becker, die Aktienkurse schwanken sehr stark, Anleger fürchten einen großen Crash. Sie arbeiten seit 1996 als Fondsmanager in den USA, haben das Platzen der Internet-Blase und die Finanzkrise miterlebt. Wodurch hatten sich diese Abstürze angekündigt?
Während der Internet-Euphorie lief jede Aktie, die „.com“ im Namen hatte, wie verrückt. Niemand hinterfragte Bewertungen. Die Begeisterung für die Börse habe ich auch im privaten Umfeld gespürt. Mir hat damals tatsächlich ein Taxifahrer von seinen Aktiengeschäften erzählt. Das war natürlich ein klares Anzeichen, dass hier Leute im Markt unterwegs sind, die sich normalerweise nicht für Aktien interessieren. Sie hofften, dadurch schnell reich zu werden. Das ist immer gefährlich.

Und vor der Finanzkrise?
Vor der Finanzkrise gab es mehr warnende Stimmen als zu Zeiten der Internet-Euphorie. Vielen Experten war klar, dass es mit dem US-Hypotheken so nicht weitergehen kann. Das war auch im Alltagsleben spürbar. Plötzlich kaufte ein Bekannter von mir, ein Polizist, ein unbebautes Grundstück in Florida, weil er darauf spekulierte, dass das bald zu Bauland werden würde und er dann gewinnbringend verkaufen könnte. Mit Immobilien hatte der vorher überhaupt nichts am Hut. Das Grundstück hat er heute noch – und zahlt jedes Jahr Steuern dafür.

Sehen Sie Parallelen zur heutigen Situation?
Was den Aktienmarkt angeht: Nein. Spekulationsfieber gibt es aber auch heute. Ich saß kürzlich mit einem Bitcoin-Investor im Restaurant. Er schwärmte davon, dass die Kryptowährung die Zukunft sei und man mit einer Investition schnell reich werden könne. Dass dem Bitcoin kein wirtschaftlicher Wert zugrunde liegt, interessierte ihn gar nicht. Wer zweifelt, hat es in seinen Augen einfach nicht verstanden. Auch dieser blinde Optimismus kann für die, die einsteigen, gefährlich werden. Allerdings ist der Markt für Kryptowährungen so klein, dass ein Absturz für die Anlagemärkte insgesamt kaum Auswirkungen hätte.

Trotzdem haben die jüngsten Kursverwerfungen an den Aktienmärkten Crash-Ängste ausgelöst. Auch bei Ihnen?
Nein. Was wir in der aktuellen Quartalssaison in den USA sehen, ist, dass Unternehmen langsam Druck durch höhere Löhne spüren. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig, dass Arbeitnehmer selbst für einfache Arbeiten relativ gute Löhne fordern können. Das könnte die Inflation weiter anheizen. Träte das ein, würden wahrscheinlich auch die Aktienmärkte korrigieren. Aber einen Auslöser für einen abrupten Absturz sehe ich derzeit nicht.

Das gilt für die USA. Was ist mit Europa?
Hier in Amerika sehen Investoren kritisch, dass nicht klar ist, wie es mit dem Euro weitergeht. Auch das ist ein Grund dafür, dass sich die Aktienmärkte dort schlechter entwickeln als in den USA. Dennoch: Ganz abkoppeln werden sich die Märkte nicht voneinander, dafür bestehen dann doch zu viele Verbindungen.

Zu Person

Angesichts der vielen Krisen erscheint es riskant, jetzt in Aktien zu investieren. Woran orientieren Sie sich, um zu bewerten, wo die Märkte aktuell stehen?
Ich schaue mir gerne die fundamentalen Daten an. Also etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das den aktuellen Kurs in Bezug zum Gewinn je Aktie setzt. Für sich genommen ist es aber wenig aussagekräftig. Ein Unternehmen, das schnell wächst, darf ein höheres KGV haben als eines, dessen Gewinne stagnieren. Meine Faustformel lautet: Ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis einer Aktie niedriger als das jährliche Gewinnwachstum in Prozent, ist eine Aktie interessant. Das gilt auch für den Aktienmarkt insgesamt.

Und was sagt Ihnen Ihre Faustformel im Moment?
US-Nebenwerte, gemessen am Index Russell 2500, haben aktuell ein relativ hohes KGV von 18. Allerdings liegt das erwartete Gewinnwachstum für das kommende Jahr mit 19 Prozent ebenfalls sehr hoch. Hier zeigt der Indikator also noch ein positives Umfeld. Anders sieht es in Europa oder Japan aus. Die Aktienmärkte dort sind zwar auf den ersten Blick wesentlich billiger als der US-Markt, haben aber eben auch eine viel geringere Gewinndynamik. Das KGV liegt in beiden Märkten weit über dem Gewinnwachstum in Prozent. Deswegen halte ich den US-Markt nach wie vor für attraktiver.

Auf welche Indikatoren achten Sie noch?
Grundsätzlich ist wichtig, auch das Zinsumfeld im Blick zu behalten. Und das ist nach wie vor positiv. Die US-Notenbank erhöht zwar die Zinsen, aber das aktuelle Niveau von zwei Prozent halte ich noch nicht für kritisch für die Unternehmen.

Wo ziehen Sie die Grenze?
Bei vier Prozent würden sicher einige Branchen in Schwierigkeiten geraten. Gerade hoch verschuldete Sektoren sind anfällig, etwa die Immobilienbranche. Deswegen sind wir dort vorsichtig. Auf der anderen Seite stehen die US-Banken, die von steigenden Zinsen profitieren, deutlich konservativer Kredite vergeben als noch vor der Finanzkrise und dazu moderat bewertet sind.

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