US-Notenbank Fed Kommt heute die Zinswende?

Gespannt warten Börsianer weltweit auf die Zinsentscheidung der US-Notenbank. Läutet Janet Yellen das Ende der Nullzinspolitik ein? Wäre das richtig? Selbst Nobelpreisträger streiten darüber. Pro und Contra Zinsanhebung.

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Die Händler an der Wall Street warten auf die Zinsentscheidung von US-Notenbankchefin Janet Yellen Quelle: REUTERS

Seit dem Sommer 2006, kurz vor dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise, gab es für den Leitzins der US-Notenbank FED nur eine Richtung: nach unten. Seit 2008 liegt der Richtwert gar bei null Prozent bis maximal 0,25 Prozent. Ausschlaggebend für die Zinspolitik der Notenbank sind drei Kriterien: das Beschäftigungsniveau in den USA, stabile Preise und langfristig moderate Zinsen.

Auf ihrer vergangenen Sitzung im Juli schätzte Notenbankchefin Janet Yellen die Lage der US-Wirtschaft durchaus positiv ein. „Wenn sich die Wirtschaft so weiter entwickelt wie wir es erwarten, wäre eine Erhöhung der Leitzinsen in diesem Jahr angemessen. Aber ich möchte betonen, dass diese Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung geknüpft sind und wir uns damit nicht festlegen, die Zinsen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erhöhen.“

Dass Yellen noch 2015 handeln wird, scheint also sehr wahrscheinlich. „Die niedrigen Ölpreise und das Wachstum der Beschäftigungsrate sollten die Ausgaben der Verbraucher antreiben, so dass zusammen mit den niedrigen Zinsen der Notenbanken im Ausland die Grundlage für globales Wirtschaftswachstum geschaffen sein dürfte", sagte sie. Klingt nach US-Aufschwung und einer baldigen Anpassung der Leitzinsen, um die Situation auf dem Finanzmarkt wieder zu einem normalen Zustand zurückzuführen.

Interaktive Infografik: Die Zinsschritte der US-Notenbank Federal Reserve seit den Fünfzigerjahren

Yellen schränkte aber schon im Juli ein, sie würde weitere Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt erwarten. Damals lag die Arbeitslosenquote bei 5,3 Prozent. Auch die Griechenlandkrise und Chinas schwankungsanfällige Finanzmärkte könnten negative Auswirkungen auf eine US-Erholung haben.
Aus ihren Aussagen lässt sich also keine exakte Prognose für die Zinsentscheidung ableiten. Noch im August hatten in einer Umfrage des Wallstreet Journals unter US-Ökonomen 82 Prozent angegeben, sie rechneten im September mit einer Zinserhöhung. Unter Aktienhändlern, die die Agentur Bloomberg diese Woche befragt hat, halten nur noch 32 Prozent eine Zinswende bereits am heutigen Donnerstag für wahrscheinlich.

Welche Aktien für eine Zinserhöhung gewappnet sind

Wenn Yellen ihre Entscheidung von der Lage der US-Wirtschaft abhängig macht, für welches Szenario sprechen dann die aktuellen Konjunkturdaten?

Der Ölpreis liegt sowohl für die Sorte WTI als auch Brent unterhalb von 50 Dollar pro Barrel. Das dürfte in den kommenden Monaten auf die Inflationsrate drücken. Sie lag im Juli schon bei 0,2 Prozent im Vergleich zu den Vorjahrespreisen, der Wert für die Preisentwicklung von Energie- und Nahrungsmitteln liegt bei 1,2 Prozent. Beide Werte bewegen sich damit unterhalb der zwei Prozent-Marke, die die US-Notenbank - wie auch die Europäische Zentralbank - als preisstabiles Niveau anpeilen. Der US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller sagte der WirtschaftsWoche: „Die Inflation in den USA ist gering. Die Fed muss deswegen nichts tun.“

Anders die Situation auf dem US-Arbeitsmarkt. Während in der Finanzkrise 2010 die Arbeitslosenquote in den USA auf bis zu 10 Prozent angestiegen war, nähert sie sich mit 5,1 Prozent jetzt stetig dem Vorkrisenniveau aus dem Jahr 2006 an. Damals waren nur rund 4,5 Prozent der erwerbsfähigen Amerikaner arbeitslos. „Der Jobmarkt spricht also nicht gegen eine Zinsanhebung“, sagte Shiller.

Weitere Faktoren wie das Wachstum des Bruttoinlandsprodukt mit zuletzt 3,7 Prozent im zweiten Quartal sprechen für eine baldige Anpassung der Leitzinsen.

Contra - Die Fed muss warten

Zuletzt waren aber Zweifel aufgekommen, ob nach dem Einbruch der Aktienmärkte in China und Brasilien das makroökonomische Umfeld eine Zinssenkung überhaupt noch zulasse. Denn höhere Zinsen in den USA würden Anleihe-Investoren, die in den Schwellenländern auf Renditejagd waren, zurück in die USA locken - und die Währungen in den BRIC-Staaten unter Druck setzen. Der Ausverkauf auf dem chinesischen Aktienmarkt hatte in diesem Sommer wiederum den US-Aktienmarkt und die europäischen Börsen belastet.

Überwiegen also die Argumente gegen eine Zinserhöhung?

Der Chef der Notenbank des Staats Atlanta scheint noch unentschlossen. Eigentlich hatte er sich im August bereits deutlich geäußert, dass im September die Zinswende bevorstehen könnte. Jetzt schränkte er seine Aussagen stark ein. "Gegenwärtig machen es Entwicklungen wie die Aufwertung des Dollar, die Entwertung der chinesischen Währung und der weitere Ölpreisverfall schwierig, die Wirtschaftsentwicklung vorauszusagen", sagte Dennis Lockhart der Agentur Reuters. Man werde vermutlich "irgendwann im Laufe dieses Jahres" mit einer Erhöhung der Zinsen beginnen und den Markt schrittweise normalisieren.

Auch Fondsguru Bill Gross zeigt sich im Börsenroundtable der WirtschaftsWoche unentschieden: „Die Fed wird den Leitzins im September oder Dezember anheben."

Völlig entschieden gegen eine Zinserhöhung argumentiert der Präsident der Notenbank des Staates Minneapolis, Narayana Kocherlakota. Dem TV-Sender CNBC sagte er, er sehe nicht, dass eine Zinsanhebung in nächster Zeit angemessen sei, wenn sich der Ausblick für die Wirtschaft nicht noch erheblich ändere. Das hieße konkret: keine Zinserhöhung mehr im Jahr 2015, bekräftigte er im Interview.

Auch Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hält nichts von einer baldigen Zinswende. „Ich sehe dafür keinen Grund", sagte er der WirtschaftsWoche. „Es gibt viel versteckte Arbeitslosigkeit, eine realistische Quote läge wohl bei fast 12 Prozent. Wir bräuchten in den USA rund drei Millionen zusätzliche Jobs.“ Seine Lösung für die heutige Mitteilung der Notenbankchefin Yellen an die Märkte: „Die Verantwortlichen können sagen, sie seien derzeit zu besorgt über weltweite wirtschaftliche Instabilität, etwa in China - ohne auszuschließen, dass sie die Zinsen in der nahen Zukunft erhöhen werden. Es geht ja auch um die Botschaft, die sie senden – sie könnten so signalisieren, dass viele Amerikaner den Aufschwung noch nicht spüren", sagte Stiglitz.

Den Zweiflern stehen aber Experten entgegen, die jetzt schon den richtigen Zeitpunkt gekommen sehen.

Pro - Schon heute höhere Zinsen

„Wir werden noch in diesem Jahr eine Anhebung auf bis zu einen Viertelprozentpunkt sehen", sagte Robert Shiller im Interview mit der WirtschaftsWoche - und betont, dass eine schnelle Zinswende nötig sei: „Wenn wir jetzt nicht die Zinsen anheben, dann werden wir sie nie mehr erhöhen." Die Fed müsse zwar behutsam vorgehen, dieses Feingefühl traut Shiller Janet Yellen aber zu. Und ein neuer, nur leicht erhöhter Leitzins in Höhe von 0,25 oder 0,5 Prozent dürfe die Märkte nicht in Aufruhr bringen.

Auch der Präsident der Fed aus St. Louis hält die Zinswende für angemessen. Die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten würden den Ausblick für die US-Wirtschaft nicht so radikal ändern, dass der geldpolitische Pfad überarbeitet werden müsste, sagte James Bullard der Agentur Reuters. „Meine Präferenz wäre, und die Strategie gibt es, eher schneller vorzugehen, aber dann schrittweise.“

Martin Feldstein, Wirtschaftsprofessor an der Universität Harvard, argumentierte schon im Mai in der WirtschaftsWoche entschieden für eine Erhöhung der Zinsen im September. „Die amerikanische Geldpolitik kann die Zinswende nicht endlos hinauszögern. Meine Vermutung ist: Die Fed wird im September damit beginnen, die Zinsen zu erhöhen. In diesem Fall sollte sie den realen Zinssatz auf Tagesgelder relativ schnell auf zwei Prozent hochschrauben. Und bis 2017 werden wir dann wahrscheinlich die Drei-Prozent-Marke erreichen - und damit ein Stück Normalität." In einem Interview mit dem Fernsehsender Bloomberg wiederholte er im August diese Einschätzung: „Ich sehe keinen ökonomischen Grund dafür, dass sie sich nicht bewegen.“

Michael Mewes, Anleiheexperte von JP Morgan freut sich ebenfalls auf höhere Zinsen am US-Anleihemarkt. „Wir rechnen mit einer aggressiven Fed, die die Zinsen im September und Dezember um je ein Viertel-Prozent anheben und dann 2016 weitere Zinsschritte folgen lassen wird", sagte er der WirtschaftsWoche in einem Interview.

Wie wirkt sich eine Zinserhöhung auf die Märkte aus?

Glaubt man den Krisenpropheten, könnte die Fed einen erheblichen Crash an den Märkten auslösen. Jim Rogers, Hedgefondsmanager, prophezeite der WirtschaftsWoche etwa in einem Interview düstere Aussichten: „Die Fed folgt meist nur den Märkten. Deshalb beobachte ich lieber die Märkte selbst. Die Zinsen am langen Ende steigen seit 2012, und nun steigen sie auch am kurzen Ende. Nach einigen Zinserhöhungen werden die Börsennotierungen nach Süden drehen und die Marktteilnehmer den Weltuntergang ausrufen. Dann wird in der Fed Panik ausbrechen und Chefin Janet Yellen zur Rettung der Anleger geritten kommen. Politiker und Zentralbanker glauben, Probleme ließen sich durch noch mehr Schulden lösen. Ein schlimmer Irrtum. Am Ende werden soziale Unruhen und Krieg stehen.“

Martin Armstrong, Finanzmarktanalyst, der mit Computermodellen Börsencrashs vorhersagt, will bereits das genaue Datum des nächsten Einbruchs kennen. „Ich erwarte einen Crash im Oktober dieses Jahres, weil dann die Blase an Staatsanleihen platzt. Um den 17. herum sollten die meisten das verstanden haben. Erste Anzeichen werden weitere wirtschaftliche Unruhen in Europa sein. Hinzu kommt, dass die Federal Reserve die Zinssätze anheben wird.“ Armstrong hatte mit seinen Modellen die Krisen 1987 und 1999 vorhergesagt.

Deutlich positiver sieht Anleiheguru Bill Gross eine anstehende Korrektur der US-Zinspolitik. "Die Fed will beweisen, dass sie wie ein kranker Patient aus dem Bett kriechen und aufstehen kann. Nullzinsen sind schön für Kreditnehmer, aber sie haben negative Auswirkungen für Pensionsfonds, Versicherungen und andere große Anleiheinvestoren.“ Das ließe sich nun mit einer Zinsanhebung korrigieren - natürlich zulasten der hochgetriebenen Aktienkurse in den USA.

In den Schwellenländer dürfte der Schritt kurzfristig zu starken Schwankungen an den Märkten führen. Lutz Röhmeyer, Fondsmanager eines Schwellenländer-Anleihefonds bei LBB Invest hält die Auswirkungen aber für überschaubar. „Langfristig spielt die Zinspolitik der US-Notenbank in den Schwellenländern eher eine untergeordnete Rolle. Auch die Zinswende wird relativ glimpflich ablaufen", sagte er im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Das Kapital ist ja tatsächlich aus den Ländern abgeflossen, allerdings bereits zwischen 2013 und 2014, als der damalige Notenbankchef Ben Bernanke erstmalig vom Tapering der Fed sprach und damit die Märkte überraschte. Damals haben Privatanleger aus den Schwellenländern innerhalb eines Jahres so viel Kapital abgezogen, wie sie vorher in zehn Jahren investiert hatten. Seitdem sehen wir aber eher eine Seitwärtsbewegung, die Fed hat die Zinswende mehr als ausreichend vorbereitet.“

Nick Robinson, der bei Aberdeen einen Brasilien-Aktienfonds managt, sieht das ähnlich. „Was die Fed angeht, sehen wir einer Zinserhöhung in Brasilien relativ gelassen entgegen. Die brasilianische Notenbank hat diesen Schritt bereits seit einigen Monaten vorweggenommen und ihre Leitzinsen erhöht, zuletzt um 0,5 Prozentpunkte auf 14,25 Prozent. Sie geht in die richtige Richtung, um die Inflationsrate im kommenden Jahr bei 4,5 Prozent stabil zu halten.“

Und schließlich dürfte die Fed-Entscheidung heute Abend selbst den Goldpreis nicht kalt lassen. „Die Angst vor der Zinswende hat den Preis bereits gedrückt", sagte Eugen Weinberg, Chef-Rohstoffanalyst der Commerzbank im WirtschaftsWoche Interview. "Wenn die Fed das tut, was alle erwarten, dann hat das keinen Einfluss mehr auf den Goldpreis. Sollte die Fed dagegen die Zinswende verschieben, wäre das eine Nachricht, die den Goldpreis bewegen würde - und zwar nach oben. Im übrigen war der Beginn eines Zinserhöhungszyklus in der Regel auch der Tiefpunkt für den Goldpreis.“

Mit Material von Reuters und Bloomberg

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