US-Ölpreis weiter im Sinkflug So billig wie zuletzt vor 21 Jahren

Der Einbruch der Preise für US-Öl beläuft sich seit Jahresbeginn auf knapp 75 Prozent. Quelle: AP

Die ausbleibende Nachfrage setzt dem Ölpreis weiter zu – vor allem der US-Sorte WTI. In den Vereinigten Staaten wird die Sorge größer, dass die Lagerstätten für Öl an ihre Grenzen stoßen.

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Seit 1999 war US-Öl der Sorte WTI nicht mehr so billig zu haben wie zum Wochenauftakt. Die US-Sorte verlor zeitweise bis zu 21 Prozent auf 14,47 Dollar je Barrel. Auch bei der Nordseesorte Brent ging es weiter nach unten – allerdings lange nicht so stark: Ein Barrel (159 Liter) kostete im asiatischen Handel am Montag rund 27,24 US-Dollar. Das waren 44 Cent weniger als am Freitag.

Wegen der einbrechenden Nachfrage durch die Coronavirus-Pandemie geht der Ausverkauf am Rohölmarkt also weiter. „Am Markt glaubt man nicht an eine baldige Stabilisierung der Nachfrage“, sagte Marktanalyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus AxiTrader. „Der OPEC-Deal hat den Absturz der Preise nur leicht verzögert, konnte ihn aber nicht verhindern.“

Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen beläuft sich der Einbruch der Preise für US-Öl seit Jahresbeginn auf knapp 75 Prozent. Die Sorgen in Bezug auf die Rohöllager ließen die Kurse im Vergleich zum Nordsee-Öl stärker einbrechen, hier beliefen sich die Abschläge in diesem Jahr zuletzt auf 68 Prozent. Damit habe der Abstand zwischen beiden Sorten ein Zehnjahreshoch erreicht, sagte Michael McCarthy, Markt-Stratege bei CMC Markets. Der anhaltende Druck spiegele die Befürchtung wider, dass die Vereinbarung der wichtigsten Ölförderländer, die weltweite Förderung um rund zehn Millionen Barrel pro Tag zu kürzen, den virusbedingten Nachfrageausfall nicht ausgleichen könne.

Die großen Exportländer hatten sich vorvergangene Woche auf die Drosselung der Fördermengen ab Mai um knapp zehn Millionen Barrel pro Tag geeinigt. Weil die Raffinerien aber immer weniger Rohöl nachfragen, sind vor allem die US-Lagerbestände gefüllt. Da Rohöl der Sorte Brent nicht mit den gleichen Engpässen konfrontiert ist, ging der Brent-Preis moderater zurück. Wie Marktbeobachter der Australia & New Zealand Banking Group berichteten, stieg der Lagerbestand in Cushing, Oklahoma, seit Beginn des Monats März um satte 50 Prozent an. „Wir haben noch Hoffnung auf eine Erholung zum Ende des Jahres“, äußerten die Experten. Die Internationale Energie-Agentur IEA taxiert den Nachfrage-Rückgang durch die Beschränkungen des öffentlichen Lebens im April auf 29 Millionen Barrel pro Tag. Daher befürchten Anleger, dass die Tanklager-Kapazitäten bald erschöpft sind. Experten schätzen, dass in ein bis zwei Monaten Tanks weltweit zum Überquellen gefüllt sein werden.

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In den vergangenen Wochen stiegen die US-Bestände um knapp 20 Prozent und liegen mit gut 500.000 Millionen Barrel auf dem höchsten Stand seit etwa drei Jahren. Das Rekordhoch von 2017 ist nur noch etwa 35.000 Millionen Barrel entfernt. Gleichzeitig werden immer mehr Tanker als schwimmende Lager genutzt. Insidern zufolge verdoppelte sich die dort geparkte Rohölmenge binnen zwei Wochen auf den Rekordwert von 160 Millionen Barrel.

Vor einem weiteren starken Preisrückgang und den Problemen der Lagerkapazitäten insbesondere beim US-Öl hatte der Chef-Rohstoffanalyst der Commerzbank, Eugen Weinberg, bereits Anfang April im Gespräch mit der WirtschaftsWoche gewarnt: „In einigen Gebieten der USA sind die Preise mittlerweile sogar streckenweise negativ, weil die Lagerkapazitäten erschöpft sind, die Quellen aber nicht stillgelegt werden können“, sagte Weinberg im WirtschaftsWoche-Interview. „Wer den Produzenten Öl abnimmt, bekommt noch Geld obendrauf. Mit diesem Horrorszenario für den Ölmarkt müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen.“

Ein Ende der Talfahrt insbesondere beim Preis für US-Öl sei nicht in Sicht, warnt auch Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Preis für WTI auf zehn Dollar fällt.“ Der entscheidende Faktor seien die Fördermengen in den USA, die nicht zur „Opec+“ gehören. Zwar sei die Zahl der US-Bohrungen im Vergleich zu ihrem Hoch von Dezember 2018 um gut die Hälfte zurückgegangen, liege aber noch knapp 40 Prozent über dem Tief von 2016. „Das Besondere hierbei ist, dass man nicht einfach einen Schalter umlegen kann.“ Wegen des technisch aufwendigen Fracking-Verfahrens und vertraglicher Verpflichtungen dauere die Stilllegung einer Bohrung einige Zeit. US-Schieferölförderer haben bereits Investitionen drastisch zusammengestrichen, um Kosten zu sparen. Sie benötigen Experten zufolge einen Ölpreis von etwa 50 Dollar, um profitabel zu arbeiten. Einige Firmen mussten bereits aufgeben.

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Die amerikanische Energieindustrie steht nunmehr mit dem Rücken zur Wand. Nachdem die Fördermenge im Zuge der Corona-Pandemie zuletzt ohnehin schon gesunken war, stürzte die letzte Preisattacke aus Russland und Saudi-Arabien die Branche schon Ende März vollends in die Krise. „Wir erleben gerade so etwas wie den perfekten Sturm schlechter Nachrichten“, sagte Fracking-Erfinder Nick Steinsberger vor drei Wochen im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Seine Prognose: Vorübergehend könnten bis zu 50 Prozent der Förderanlagen stillgelegt werden. Auf Hilfe aus Washington kann die Industrie kurzfristig auf den Fall nicht hoffen. Im mehr als zwei Billionen Dollar teuren Rettungspaket für die amerikanische Wirtschaft, das im März verabschiedet wurde, finden sich keine speziellen Hilfsmaßnahmen für die Öl- und Gasbranche.

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