Verfall der Türkischen Lira Erdogan und die „Zinslobby“

Die türkische Lira verfällt, die Inflation ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr - doch entgegen der gängigen Lehre fordert Präsident Erdoğan Zinssenkungen. Was steckt dahinter?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Devisenhändler in Istanbul: Die türkische Lira verliert durch sinkenden Wechselkurs und hohe Inflation nahe zwölf Prozent. Quelle: dpa

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hält beinahe täglich Ansprachen, und bei einigen Reden lässt sich schon vor deren Ende erahnen, dass die Lira nun weiter an Wert einbüßen wird. Vor einigen Tagen war so ein Fall, als Erdoğan ein weiteres Mal die Zentralbank anging. An die Adresse derjenigen, die auf die Unabhängigkeit der Notenbank pochen, sagte er: „Eben weil wir nicht eingreifen, ist es soweit gekommen.“ Denn die Lage ist aus Erdoğans Sicht unbefriedigend: Die Inflation ist längst zweistellig, die Lira sinkt von einem Rekordwert zum nächsten.

Im Vergleich zum Euro hat die türkische Währung innerhalb eines Jahres mehr als 20 Prozent an Wert verloren - und fiel am Freitag auf ein Rekordtief: Für einen Euro musste mehr als 4,7 Lira bezahlt werden. Beim US-Dollar dürfte die Marke von 4 Lira bei der derzeitigen Entwicklung bald erreicht sein. Auch zu anderen wichtigen Währungen - wie zum Beispiel dem britischen Pfund und dem Schweizer Franken - ist die türkische Währung so schwach wie nie zuvor.

Die Inflation lag im Oktober verglichen mit dem Vorjahresmonat bei 11,9 Prozent - der höchste Wert seit der Wirtschaftskrise 2008 und weit über der Zielmarke von 5 Prozent. Die Zentralbank korrigierte ihre Erwartungen für 2017 erst kürzlich nach oben und rechnet nun mit einer Preissteigerungsrate von 9,8 statt 8,7 Prozent.

Dafür kann die Türkei beeindruckende Wachstumsraten vorlegen - denen allerdings nicht alle ausländischen Analysten trauen. Im ersten Halbjahr legte die Wirtschaft nach offiziellen Angaben um mehr als 5 Prozent zu, und aus Sicht der Regierung ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: Erdogan sagte kürzlich, das Wachstum könnte dieses Jahr bei sieben Prozent liegen. Ihm liegt alles daran, dass die Wirtschaft brummt, und zwar mindestens bis November 2019. Dann stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an, mit denen der Umbau zu Erdogans Präsidialsystem abgeschlossen werden soll. Eine kriselnde Wirtschaft könnte Erdogans Wahlsieg in zwei Jahren gefährden.

Einige Branchen profitieren vom Verfall der heimischen Währung: Der Tourismussektor etwa, der Erlöse meist in Euro macht, Ausgaben aber in Lira bestreitet. Oder die türkische Automobilbranche, in der Löhne in Lira bezahlt werden - und die in den ersten neun Monaten des Jahres 24 Prozent mehr Fahrzeuge exportierte als im Vorjahreszeitraum. Firmen, die auf Importe angewiesen sind, ihre Geschäfte aber in Lira machen, leiden dagegen.

Besonders belastet sind Unternehmen, die sich in Fremdwährung verschuldet haben. Ein mittelständischer IT-Unternehmer in Istanbul, der seine Erlöse in Lira macht, erzählte unlängst, er habe beim Kurs von 1:1,8 einen Dollar-Kredit aufgenommen. Als der Firmeninhaber sein Leid klagte, lag der Kurs bei 1:3,6. In Lira hatten sich seine Schulden verdoppelt - Zinsen nicht mit eingerechnet.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%