Verkehrte (Finanz)welt
Heute ist China der weltweit zweitgrößte Asset Management Markt (auf Länderebene) hinter den USA. Quelle: dpa

China: Neues Epizentrum der Finanzwelt?

Noch sind die USA der Tonangeber in der weltweiten Finanzindustrie. Egal ob Aktien, Anleihen, Währungen oder Rohstoffe: China könnte die USA bald überholen.

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Wer das Zentrum der Finanzwelt sucht, blickt schnell in Richtung USA. Größte Volkswirtschaft, größter Aktienmarkt, größter Rentenmarkt, größte Asset-Management-Industrie, größte Anzahl von Milliardären. Der US-Dollar ist die Währung, in der der grenzüberschreitende Handel von Dienstleistungen und Gütern, insbesondere Rohstoffen, abgewickelt wird und in der Firmen und Länder zu ihrer Finanzierung Kredite aufnehmen.

Doch mit dem Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, seiner Schlüsselfunktion im globalen Handelssystem und seinem rasant wachsenden Anteil am internationalen Kapitalmarkt richtet sich der Blick bei der Frage nach dem Zentrum der Finanzwelt zunehmend nach China.

Dies hat vor allem drei Gründe:

1. Rohölmarkt: Der größte Importeur bestimmt den Preis (mit)

Lange Zeit galt, dass auf der Angebotsseite Saudi-Arabien – als einflussreichstes Mitglied der Organisation Erdöl-exportierender Länder (OPEC) – den Ton angab. Auf der Nachfrageseite dominierte die USA als weltweit größter Konsument von Rohöl. Ihr Zusammenspiel bestimmte den Ölpreis. Die USA war ein zuverlässiger Abnehmer und Saudi-Arabien sorgte mit seiner festen Wechselkursanbindung zur US-Währung dafür, dass Rohöl und US-Dollar international eine Einheit bildeten.

Das letzte Jahrzehnt sah jedoch einen Boom in der Rohölproduktion von Nicht-OPEC-Produzenten und der weltweite Marktanteil der OPEC sank Ende 2019 auf knapp 30 Prozent. Die Dominanz auf der Angebotsseite nahm also ab. Zudem machte der Schieferöl-Boom die USA nicht nur zum weltweit größten Rohölproduzenten, sondern sorgte auch dafür, dass die USA international deutlich weniger Rohöl einkaufen musste.

Somit verschob sich die Rolle des größten Nachfragers auf den weltweit zweitgrößten Konsumenten und nun weltweit größten Rohölimporteur: China. Es mehren sich die Indizien dafür, dass in Zeiten schwächeren Wirtschaftswachstums in China die Ölpreise unter Druck geraten und dies die Ölproduzenten zu Produktionskürzungen zwingt, um ein auskömmliches Preisniveau zu erhalten

2. Kapitalmärkte: Rasante Entwicklung aufgrund der Suche nach Alternativen

Vor 25 Jahren gab es keine Milliardäre und keine nennenswerte Asset Management-Industrie in China. Die heimischen Aktien- und Rentenmärkte steckten noch in den Kinderschuhen. Heute ist China der weltweit zweitgrößte Asset Management Markt (auf Länderebene) hinter den USA und die Anzahl der US-Dollar-Milliardäre in China wird mittlerweile höher geschätzt als in den USA.

Bei der Marktkapitalisierung der heimischen Aktienmärkte umgerechnet in US-Dollar hat China gegenüber den USA, die Anfang dieses Jahres bei rund 44 Billionen US-Dollar lag, noch deutliches Aufholpotenzial, aber rangierte im weltweiten Ranking immerhin schon auf Platz zwei mit knapp 18 Billionen US-Dollar (inklusive Hongkong). Bei der Anzahl der börsennotierten Unternehmen scheint China (inklusive Hongkong) mit ca. 6700 Firmen die USA (rund 5800 Firmen) schon überholt zu haben. Im rekordverdächtigen IPO-Jahr 2020 konnte allein Festland-China 365 einheimische IPOs verzeichnen, knapp mehr als die USA (345). Der Hongkonger Markt sah zusätzlich eine dreistellige Anzahl von IPOs, die vor allem durch chinesische Firmen beflügelt wurde, die – gezwungen durch politische Trends in den USA – nach einer Alternative zu ihrer US-Börsennotierung suchten und „nach Hause kamen“.

Ähnliche Entwicklungen wie an den Aktienmärkten sehen wir auch bei Anleihen: Die Statistiken für den globalen Rentenmarkt zeigen China per Ende August 2020 auf einem knappen zweiten Platz hinter den USA. Im Markt für Anleihen staatlicher und supranationaler Emittenten vereinten die USA und China knapp die Hälfte des Marktes auf sich mit einem Volumen von mehr als 22 Billionen beziehungsweise fast 20 Billionen US-Dollar. Im Markt für Unternehmensanleihen machen beiden Länder circa 45 Prozent des weltweiten Gesamtvolumens aus (USA gut elf Billionen US-Dollar, China mehr als sieben Billionen US-Dollar). Die anhaltende Niedrigzinspolitik in den USA könnte die Attraktivität des chinesischen Rentenmarktes weiter beflügeln, der sich immer mehr für internationale Investoren öffnet.

3. Währungen und Zahlungsmittel: Digitalisierung „Made in China“

Einschlägigen Berichten nach ist Ostasien der weltgrößte Markt für Kryptowährungen, verantwortlich für gut ein Drittel aller Kryptowährungstransaktionen. Das Zentrum des Bitcoin-Minings liegt in China, wo laut einer Analyse der Universität Cambridge 65 Prozent der globalen Bitcoin-Hashrate (Rechenleistung im Bitcoin-Netzwerk) herkommen, die zur Erzeugung neuer Coins befähigt. Die USA liegt mit 7,2 Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei. Paart man dies mit Berichten über einen sehr konzentrierten Bitcoin-Besitz (95 Prozent der Bitcoins gehören scheinbar nur zwei Prozent der Investoren) kann man vermuten, dass der Bitcoin-Markt ein entschieden chinesisches Flair besitzt.

Die eigentliche digitale Währungssensation chinesischer Herkunft heißt aber DC/EP, kurz für „Digital Currency/Electronic Payment“ – oder anders gesagt: Der digitale Renminbi. Ein Ziel ist es, chinesischen Firmen die Abwicklung internationaler Geschäfte in ihrer Landeswährung (statt in US-Dollar) zu ermöglichen und sie so unabhängig vom US-dominierten internationalen Bankensystem zu machen.

Der digitale Renminbi bietet dem chinesischen Staat die perfekte Kontrolle: Alle inländischen und ausländischen Zahlungsdaten könnten nachverfolgt und gebündelt analysiert werden. Information zu Transaktionen chinesischer Konsumenten, die heute zu einem erheblichen Teil über private Plattformen wie Alipay oder WeChat Pay abgewickelt werden, kämen zurück in staatliche Hand. Darüber hinaus könnten geld- oder fiskalpolitische Maßnahmen (zum Beispiel Zuschüsse für bestimmte Bevölkerungsgruppen) punktgenau durchgeführt und an überwachbare Bedingungen geknüpft werden. Die landesweite Einführung des digitalen Renminbis scheint zum Auftakt der Winterolympiade in Peking Anfang 2022 geplant zu sein. Das Potenzial für internationale Schockwellen ist gegeben.

Ausblick: Wird China der Tonangeber?

Schaut man sich die dominante Stellung Chinas in den internationalen Rohstoffmärkten, seine zentrale Rolle im globalen Handelsgefüge und seinen rasant gewachsenen Status am globalen Kapitalmarkt an, so verwundert es schon, warum Chinas Währung bisher weltweit eine eher untergeordnete Rolle spielt. Angst vor Kontrollverlust ist der Grund. China möchte die Kontrolle über seine Zinspolitik aber auch über seinen Wechselkurs und über seine grenzüberschreitenden Kapitalströme haben. Eine Internationalisierung der Währung verlangt aber nach offenen Grenzen für Kapital und einem frei beweglichen Wechselkurs.

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Noch ist die USA das Zentrum der Finanzwelt. Doch wäre China als neuer Tonangeber tatsächlich so abwegig? Künstlich niedrig gehaltene Zinsen, Zentralbankinterventionen bei unerwünschter Wechselkursstärke und ein hoher Grad staatlichen Engagements in Finanz und Industrie: Dies finden wir heute nicht nur in China, sondern auch in Europa. Macht der „Kapitalismus chinesischer Prägung“ weiter Schule, dann wäre eine Finanzwelt mit China als Epizentrum eine mögliche beziehungsweise beinahe logische Folge. Anleger sind daher gut beraten, auf der Suche nach Marktimpulsen ihren Blick nicht nur standardmäßig nach Westen, sondern verstärkt auch gen Osten zu richten.

Mehr zum Thema: Die USA und Europa zittern sich noch durch die Krise. China geht schon wieder voran. Nacheifern, das war einmal. Ein Blick in die zehn wichtigsten Technologiefelder zeigt: China ist ehrgeizig, doch Panik ist nicht nötig.

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