Verkehrte (Finanz)welt
Kraftwerk in Sachsen, Lippendorf. Short-Selling der Aktien von Unternehmen, die viel CO2 ausstoßen, kann dazu beitragen, dass der Druck zu mehr Klimaneutralität steigt. Quelle: dpa

Kann man mit Short-Selling Klimaziele erreichen?

Die Stiftung der traditionsreichen Harvard Universität erwägt, Klimaziele künftig mittels Leerverkäufen zu erreichen. Kann das funktionieren?

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Short-Selling, also der Leerverkauf von Aktien um von fallenden Kursen zu profitieren, hat in der breiten Öffentlichkeit einen eher schlechten Ruf. Short-Seller, so die gängige Meinung, würden aus dem Niedergang eines Unternehmens auch noch Kapital schlagen. Ist der schlechte Ruf gerechtfertigt?

Tatsächlich ist es so, dass Short-Selling durch eine effizientere Preisfindung und höhere Liquidität auch eine positive Auswirkung auf die Kapitalmärkte haben kann. Leerverkäufer sind informierte Marktteilnehmer. Durch ihre Handelstätigkeit werden negative Einschätzungen zu einer Aktie berücksichtigt. Unternehmen mit schwacher Governance werden so eher aufgedeckt: Wirecard ist das jüngste Beispiel.

Short-Selling und Klimaziele

Doch was hat dies mit Klimazielen zu tun? Der Kauf, das Halten und der Verkauf von Aktien verursachen doch keinen CO2 Ausstoß, so die Vermutung. Man sollte sich darüber im Klaren sein: Investoren stellen Kapital zur Verfügung und unterstützen damit die Handlungen eines Unternehmens sowie die damit verbundenen Auswirkungen auf das Klima, weshalb Emissionen dem Anleger zugerechnet werden können.

Ein Praxisbeispiel: Ein Anleger tätigt ein Investment in Höhe von 25.000 Euro in einen Dax 40 ETF. Für die Ermittlung des CO¬2-Fußabdrucks werden Daten zur Emissionsmenge der 40 Portfoliowerte herangezogen. Insgesamt lassen sich diesem Investment circa 4,1 Tonnen CO2-Emissionen zuschreiben, was in etwa dem Ausstoß zweier Interkontinentalflüge von Frankfurt nach Boston (Hin- und Rückflug) entspricht.

Wie können nun Leerverkaufsaktivitäten für die Betrachtung des CO2-Fußabdrucks eine Rolle spielen? In unserem Beispiel hat alleine RWE im Portfolio des Investors einen CO2-Anteil von knapp zwei Tonnen. Verleiht der Investor nun seine RWE-Anteile einem Short Seller, würden sowohl der Investor als auch der neue Käufer diesen CO2-Fußabdruck zugerechnet bekommen, denn beide haben sich für den Kauf von RWE-Aktien entschieden. Jedoch hat sich die Gesamtemission von RWE nicht verändert. Erst wenn der Short-Seller sich den CO2-Ausstoß negativ anrechnen lässt, entspricht der den Investoren zugerechnete CO2-Fußabdruck dem tatsächlichen CO2-Fußabdruck und ein Gleichgewicht ist wiederhergestellt.

Neben RWE machen HeidelbergCement und Linde in diesem passiven Dax-Portfolio über 75 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes aus. Da nur eine Handvoll von Unternehmen für den Großteil der Emissionen verantwortlich ist, würde bereits ein Leerverkauf von wenigen Titeln eine deutliche Absenkung des CO2-Fußabdrucks bewirken.

Kritik und Ausblick

Wird im Beispiel oben tatsächlich eine nachhaltige Veränderung erreicht oder handelt es sich nur um eine Verbesserung „auf dem Papier“? Werden Kapitalströme aus emissionsintensiven Geschäftsfeldern abgezogen und fließen diese in nachhaltige Bereiche? Die Logik: Verkaufen genug Investoren Anteile eines Unternehmens mit hohen CO2-Emissionswerten, verringert sich die Nachfrage bei gleichbleibendem Angebot. In Folge steigen die Refinanzierungskosten, welche als wichtige Variable für die interne Bewertung von Investitionsprojekten herangezogen wird. Bestehende Investitionsprojekte, oder solche, die mit einem hohen CO2-Ausstoß verbunden sind, werden dadurch weniger rentabel. Langfristig ergibt sich dadurch ein Anreiz, um das Geschäftsmodell zu überdenken. Eine Studie des Rotterdamer Forschungstrios Gianfrate, Schoenmaker und Wasama hat auf diesen negativen Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeitsprofil und Kosten aufmerksam gemacht: Je schlechter das Nachhaltigkeitsprofil einer Firma, desto höher sind im Durchschnitt dessen Refinanzierungskosten.

Es gibt jedoch auch Kritikpunkte. Vergleicht man die Kosten, die bei einem Leerverkauf von emissionsreichen Titeln anfallen, entspricht dies nur einem Bruchteil dessen, was eine tatsächliche Kompensation (z.B. durch einen Ausgleich auf dem Europäischen CO2-Zertifikatemarkt) kosten würde. Dies könnte ein Indiz für einen geringeren Wirkungsgrad der Shorting-Methode sein. Zweitens lässt sich ein Großteil der Emissionen auf Aktienwerte aus den Sektoren Versorger, Rohstoffe und Energie zurückführen. Anstatt ganze Branchen abzustrafen, könnte es für Investoren eher erstrebenswert sein, innerhalb von Wirtschaftszweigen diejenigen Titel zu identifizieren, die sich auf einem nachhaltigen Entwicklungspfad befinden und in der Transformation zur Klimaneutralität eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen. Drittens: Bei einem Leerverkauf stehen dem Investor keine Stimmrechte zu, welche er zur Einflussnahme bei Hauptversammlungen ausüben könnte. Ein aktives Engagement, das sich positiv auf künftige Entscheidungen der Geschäftsführung auswirkt, ist somit nicht möglich.



Zusammenfassend lässt sich festhalten: Short-Selling ist besser als sein Ruf. Als Instrument zur Erreichung von Klimazielen in Anlegerportfolios dürfte es jedoch auch in Zukunft eine eher untergeordnete Rolle spielen. Schon heute können Privatanleger aus einer Vielzahl an Fonds und ETFs diejenigen auswählen, die eine Reduzierung des CO2-Fußabdrucks anstreben. Hier lohnt es sich genau hinzuschauen, denn die Maßnahmen, wie eine solche Reduzierung erzielt werden soll, unterscheiden sich zum Teil erheblich.

Mehr zum Thema: Von Adidas bis Zalando: Der auf 40 Werte erweiterte Leitindex Dax im Einzel-Check – welche Aktie jetzt kaufenswert ist, was Anleger halten sollten und wovon sie sich besser trennen.

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