Verkehrte (Finanz)welt
Ein Kurs auf einem Monitor durch eine Lupe betrachtet Quelle: imago images

Unternehmensanleihen: Extremer Tiefpunkt oder neue Normalität?

Das Börsenjahr 2020 überrascht mit Superlativen: negativer Ölpreis, kürzester Crash aller Zeiten und Unternehmensanleihen mit historisch schlechter Entwicklung. Extreme Marktbewegungen häufen sich. Was steckt dahinter?

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Gerade einmal 20 Tage brauchte der S&P 500 vom Erreichen des Bärenmarkts, als er einen Verlust von mehr als 20 Prozent gegenüber seinem Allzeithoch verzeichnete, bis zu seiner Rückkehr in den Bullenmarkt, das heißt, seiner Erholung um mehr als 20 Prozent vom Tiefpunkt des Bärenmarktes aus betrachtet.

Unternehmensanleihen in Euro und US-Dollar verzeichneten im März sogar die schwächste jemals aufgezeichnete Entwicklung. Es kam zu bis dahin nie gesehenen Mittelabflüssen bei Anleihefonds: zwei bis drei Prozent des verwalteten Vermögens pro Woche, bei Schwellenländerfonds sogar drei bis vier Prozent, und das über Wochen. Zum Vergleich: Schwellenländer-Aktienfonds kamen dieses Jahr am Scheitelpunkt gerade mal auf Abflüsse von 0,7 Prozent der Fondsvermögen pro Woche, Aktienfonds insgesamt sogar nur auf 0,3 Prozent.

Drei Fundamentalfaktoren

Der Corona-Schock war jedoch letztlich nur der Auslöser dieser Entwicklungen. Bereits seit einigen Jahren häufen sich abrupte, außergewöhnlich starke Tagesbewegungen. Wo also liegen die tieferen Gründe für die Ausschläge seit Jahresbeginn?

Drei Fundamentalfaktoren sind zu nennen: erstens die im Vorfeld extrem niedrigen Risikoaufschläge, zweitens die kaum noch positiven laufenden Renditen nach Jahren der „Jagd nach Rendite“ und drittens die im Durchschnitt längeren Laufzeiten ausstehender Anleihen. Sie alle bewirken, dass die Preise von Anleihen deutlich negativer auf eine Ausweitung der Risikoaufschläge reagierten als früher.

Marktveränderungen

Vor allem aber haben sich die Struktur und das Verhalten der Kapitalmärkte in der vergangenen Dekade wesentlich verändert. So agieren beispielsweise Anleger in zunehmendem Maße gleichgerichtet, wobei regelbasierte Anlagestrategien eine wichtige Rolle spielen.

An den Anleihemärkten hat sich eine weitere Tendenz herausgebildet. Bedeutender sind dort die einseitige Positionierung der Anleger nach Jahren der expansiven Zentralbankpolitik und das Wachstum von ETFs. Und nicht zuletzt hat sich die grundlegende Marktliquidität verändert.

Portfoliostruktur zunehmend risikofreudig

Liquidität und Staatsanleihen warfen im Umfeld negativer Zentralbankzinsen und massiver Anleihekäufe durch die Zentralbanken eine negative oder kaum noch positive Rendite ab. Anleger haben diese deshalb zunehmend durch riskantere Investments ersetzt. Dabei haben sie nicht nur die damit verbundenen ökonomischen Risiken übernommen, sondern sich meistens auch in weniger liquide Anlageklassen begeben.

Deshalb weisen Multi-Asset-Portfolios heute oft höhere Aktien-, Kredit- und Liquiditätsrisiken auf als früher. Die Portfolios sind deutlich weniger diversifiziert und somit anfälliger als früher. Das führt dazu, dass Anleger bei steigenden Marktrisiken verstärkt pro-zyklisch Risikopositionen reduzieren, um Verluste zu begrenzen.

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