Virtuelle Börsengänge US-Börsenaufsicht greift durch

Der Boom virtueller Börsengänge setzt sich unvermindert fort – trotz neuer Warnungen des höchsten US-Wertpapieraufsehers vor betrügerischen Angeboten und enormen Risiken für Anleger.

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Der Chef der US-Börsenaufsicht warnt seit Monaten vor betrügerischen Angeboten im Umfeld von virtuellen Währungen. Quelle: AP

New York Sie sind ein Produkt des Hypes um die Digitalwährung Bitcoin – und sie werden immer zahlreicher: Initial Coin Offerings (ICO). Ihr Name ist angelehnt an das englische Wort für Börsengang „Initial Public Offering“ (IPO) und die Idee hinter der neuartigen Form der Geldbeschaffung relativ einfach: Um das nötige Startkapital für ihre Geschäftsidee einzusammeln, geben junge technologieaffine Unternehmen keine Aktien aus, die Investoren dann erwerben können. Stattdessen verlassen sie die üblichen Wege der Finanzierung und bieten Geldgebern virtuelle Gutscheine, sogenannte Tokens an. Anleger können diese virtuellen Gutscheine handeln – in der Hoffnung auf fantastische Gewinne analog zur Kursrally bei der virtuellen Währung Bitcoin.

Was Anleger aber für die Tokens bekommen, ist oft unklar. Manche Start-up-Firmen versprechen eine Beteiligung an künftigen Gewinnen der Firma, andere bieten ein Tauschgeschäft – etwa den Zugang zur Dienstleistung, die das junge Unternehmen anbieten will. Teilweise deklarieren Start-ups ihre Tokens auch nur als „Spenden“. Insider glauben, dass die meisten ICOs zum Scheitern verurteilt sind, da den Start-ups funktionierende Geschäftsmodelle fehlen. In diesem Fall verlieren Anleger zumeist ihren Einsatz.

Dennoch läuft das Geschäft mit ICOs wie am Schnürchen. Bis drei Wochen vor Jahresende hatten Investoren Start-ups im letzten Quartal des Jahres virtuelle Tokens im Wert von 1,4 Milliarden Dollar abgekauft. Damit könnte das letzte Jahresquartal noch besser werden als das dritte: Im Herbstvierteljahr lag das ICO-Volumen bei 1,7 Milliarden Dollar. Die Zahl der Token-Emissionen wird im vierten Quartal wohl auf 500 steigen, erwartet die Analyseplattform Token Report.

Insgesamt haben Start-ups in diesem Jahr die Rekordsumme von annähernd 3,7 Milliarden Dollar über die Ausgabe virtueller Tokens bei Investoren eingesammelt, zeigt eine Auswertung der Analyseplattform Coin Schedule. Und das, obwohl einer von fünf ICO im dritten Quartal aufgeben musste, berichtet Token Report.

Der Markt ist überhitzt

Kein Zweifel, der Markt läuft heiß: Auch deshalb wiederholte Jay Clayton, Chef der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC), am Montag seine Warnung: Viele der sogenannten Tokens seien als Wertpapiere einzustufen und müssten daher bei seiner Behörde angemeldet werden.

Privatanlegern rief er zu besonderer Vorsicht bei Angeboten mit garantierter Verzinsung auf. Anbietern und Vermittlern von ICOs schließlich riet er, darauf zu achten, dass das jeweilige Investment alle Wertpapierregularien erfülle.

„Jede Aktivität, die ein Wertpapierangebot beinhaltet, muss im Sinne des Anlegerschutzes von entsprechenden Anzeigepflichten und Beratungsprozessen begleitet werden, die unsere Wertpapiergesetze vorschreiben“, sagte Clayton in einer Stellungnahme. „Investoren sollten wissen: Bislang gibt es kein Initial Coin Offering, das bei der SEC registriert ist.“

In einem separaten Statement teilte die SEC am Montag mit, dass ein Start-up aus San Francisco seinen geplanten ICO vorerst auf Eis gelegt hat. Die Plattform zur Bewertung von Restaurants wollte 15 Millionen Dollar bei Investoren einsammeln, doch nach einer Unterlassungsanordnung durch die SEC wegen fehlender Genehmigung durch die Wertpapierregulierungsbehörde stoppte das Unternehmen Munchee seine Pläne und überwies bereits geleistete Zahlungen zurück an die Investoren. Wegen der raschen Reaktion des Unternehmens hatte die SEC auf Anordnung einer Strafzahlung verzichtet. Munchee legt Wert auf die Feststellung, dass mit dem Stopp des ICOs kein Eingeständnis eines Fehlers verbunden sei.

Bereits Anfang Dezember hatte die SEC im Eilverfahren einen ICO stoppen und dessen Vermögenswerte einfrieren können: Die Aufsichtsbehörde hatte den Initiatoren vorgeworfen, Anleger hintergangen zu haben. Das Unternehmen hatte Profite in Höhe des dreizehnfachen Einsatzes versprochen ­– und das in einem Zeitraum von weniger als einem Monat.

Der Fall war der erste Erfolg einer neuen, erst im September gegründeten Einheit der SEC. Sie konzentriert sich auf Verfehlungen im Zusammenhang mit ICOs und der sogenannten Ledger-Technologie, die als Basis für virtuelle Geldbörsen gilt. Seit Monaten warnen Clayton und die SEC vor Betrügern, die den Hype um Bitcoin & Co. nutzen, um die neue Anlageform ICO in den Markt zu drücken.

Hätten unwissende Anleger erst einmal angebissen, werde zu überhöhten Preisen verkauft: „Die Erfahrung zeigt, dass aggressive Werbung in volatilen Märkten mit geringen Handelsumsätzen ein Indikator für sogenannte Pump-and-Dump-Geschäfte und andere Marktmanipulationen sein kann“, sagte Clayton in seinem Statement von Montag. Als „Pump-and-Dump-Geschäfte“ bezeichnet man eine Form von Aktienbetrug, bei dem der Anteilspreis von günstig erworbenen Aktien durch falsche, positive Aussagen künstlich aufgepumpt wird – um die Papiere dann teuer an gutgläubige Anleger zu verkaufen.

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