Vom Drogenloch zur Boomstadt Wie die EZB die Stadt Frankfurt aufpoliert

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Die Schattenseite des Booms

„70 Prozent der Neubaufläche sind hier für Büros vorgesehen. Die braucht keiner“, sagt Anette Mönich und schaut empört. „Das ist mal wieder so ein völliger Blödsinn.“ Die Frau mit den langen grauen Haaren und der Lederjacke steht im Innenhof des Universitätsgeländes, die Wände sind vollgesprayt, einzelne Studenten tragen Bücher vorbei, viele sind es nicht mehr. 2017 ist im Stadtteil Bockenheim Schluss, die Hochschule zieht um, und wenn sie weg ist, rollt auf die meisten Gebäude aus den Sechzigerjahren trotz Denkmalschutz der Abrissbagger zu. Wo jetzt noch Fahrräder stehen, wird es nach dem aktuellen Plan eine Straße geben, gesäumt von Neubauten, die Mönich „total leblos, total steril“ findet.

Sie will es anders, lebendig, interessant, will bezahlbare Wohnungen und Kultur für möglichst viele. All das sieht sie bedroht.

Mönich führt einmal quer durch den Stadtteil, in dem sie seit 32 Jahren zu Hause ist, vorbei an Spuren des Wandels, an neuen Eigentumswohnungen, das frühere Verwaltungsgericht nennt sich jetzt Headquarter, aus den Amtsstuben sind kleine Apartments geworden, vermietet vor allem an Studenten und „sehr teuer“, wie Mönich sagt.

Sie beklagt sich nicht aus Passion, ihre Sorgen teilen viele in Bockenheim. Das Viertel war sozial immer munter gemischt, nun droht eine Monokultur der Gutverdiener. Um die zu verhindern, hat die Initiative ein Büro gemietet, an den Wänden hängen Baupläne, Broschüren verkünden „Wir bleiben hier“. Mittwochs trifft sich die Mieterinitiative, es gibt Deutschkurse für Migranten, Beratung, Diskussionen. Als die städtischen Wohnungsgesellschaften die Mieten um 1,30 Euro je Quadratmeter erhöhten, machten die Berater Überstunden. „Das war richtig krass, da kamen Dutzende“, sagt Mönich. „Die Menschen haben Angst, dass sie sich ihr Leben bald nicht mehr leisten können.“ Es sind Menschen wie Veronika Walter (Name von der Redaktion geändert).

Wie viel Geld Fondsanbieter in Frankfurt für Privatanleger managen Quelle: BVI

An den Rand gedrückt

1975 ist sie in ihre Bockenheimer Altbauwohnung eingezogen, hat dort vier Kinder bekommen und großgezogen, das Wohnen war immer günstig, weil sich der alte Vermieter nur wenig um sein Haus kümmerte. Das änderte sich, als er das Haus 2011 verkaufte. Der neue Eigentümer erhöhte die Miete sofort um 20 Prozent, ein älteres Ehepaar konnte sich das nicht leisten und musste sofort ausziehen. Inzwischen ist von den ursprünglichen Bewohnern nur noch Walter da. Mansarden und Dachboden hat der Investor zu einer Maisonette-Wohnung mit großer Dachterrasse umgebaut. Hier wohnt keine Familie, sondern eine Business-WG – Gutverdiener, die keinen Anhang haben oder am Wochenende nach Hause pendeln. Anfang des Jahres ist Walters Miete noch mal um 20 Prozent gestiegen. Die Rentnerin hat ihr Auto abgeschafft, seit vier Jahren ist sie nicht mehr in den Urlaub gefahren, sie spart, wo sie kann, aber es reicht nicht. Jetzt will sie sich eine neue Bleibe suchen, in eine Wohngemeinschaft mit anderen Älteren ziehen – eine Zwei-Zimmer-Wohnung kann sie sich von ihrer Rente nicht mehr leisten.

Das ist die Schattenseite des Booms. Die sonnige zeigt sich direkt vor der Tür des Bockenheimer Stadtteilbüros. Wo bis vor Kurzem noch Ein-Euro-Resterampen, Internet-Cafés und Spielhallen dominierten, gibt es heute internationale Käsespezialitäten, gehobene Kochausrüstung und Tapas-Bars. In efeuberankten Höfen sitzen Lattemacchiato-Trinker vor Kunstgalerien. Selbst die über Jahre verlassene Kaufhof-Filiale ist wieder vermietet, hier ist gerade eines der ersten Outlet-Stores des InternetHändlers Zalando eingezogen.

Solche Einsprengsel verwandeln Frankfurt selbst da, wo es immer am finstersten war. Die Straßen um den Hauptbahnhof haben das negative Bild der Stadt geprägt, mit Drogen, Nutten und ab und an Schießereien. All das gibt es noch, aber heute ist das Bahnhofsviertel auch das angesagteste Ausgehquartier, an warmen Abenden stehen Hunderte auf den Straßen.

Abgefuckt bis alternativ

Maxie Eisen, Bar Plank und Walon & Rosetti sind keine Kneipen, sondern Locations, sie geben sich abgefuckt bis alternativ – globale Konfektionsware für vollbärtige Hornbrillenwerber, die Mojitos trinken und sich nach Berlin träumen. Sechs S-Bahn-Stationen weiter aber ist nicht Mitte, sondern Offenbach.

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